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Das Ende der Volkskirche

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Manchmal kommen die entscheidenden Anstöße aus Richtungen, aus denen man sie nicht erwartet. So scheint es auch mit der Sozialform der Kirche zu geschehen. Was seit Jahrzehnten bereits zu spüren war und immer wieder betont wurde, daß nämlich das Ende der Volkskirche endgültig gekommen ist, dürfte nun zum erstenmal wirksam durchbrechen, und zwar von der Seite der liturgischen Erneuerung. Die kürzlich in Wien abgehaltene Weihnachtsseelsorgertagung des österreichischen Seelsorgeinstituts hat dies in aller Deutlichkeit wieder gezeigt. Gerade das Bemühen um eine echte, seitgemäße Gottesdienstfeier erlaubt nicht mehr die Beibehaltung mehr oder minder entleerter traditioneller Formen und Vorstellungen, sondern drängt zu konsequentem Emstnehmen der soziologischen und psychologischen Gegebenheiten. Im übrigen zeigte die Tagung, die unter dem Thema „Liturgie der Gemeinde” stand, daß die bisher vom Konzil ermöglichten Maßnahmen bereits jetzt von einer ungeheuren Bedeutung waren, daß sie aber auch eine zielstrebige Weiterführung verlangen. Dabei wurde als unerläßliche Voraussetzung die Forderung nach einem breiteren Raum des Experi- mentierens an bestimmten Orten erhoben.

Es geht um das Wesentliche der Liturgie

Die Weihnachtsseelsorgertagung, an der rund 500 Priester und Laien aus Österreich, Südtirol und dem Ausland teilnahmen, war gleichsam als kurzer Rückblick nach den ersten Monaten der liturgischen Erneuerung gedacht und sollte einerseits die theoretischen Grundlagen der Liturgie und Gemeinde vertiefen, anderseits aber auch Richtlinien für die praktische Fortführung des Begonnenen erarbeiten. Die rege Beteiligung an den Diskussionen und die Anteilnahme an den liturgischen Fragen zeigte, wie sehr gerade für die Seelsorger die Feier des Gottesdienstes zu den Zentralanliegen zählt.

Die theoretische Grundlegung der Liturgie der Gemeinde setzte bei der biblischen Aussage über „Die Gemeinde Jesu als gottesdienstlicher Versammlung” an. Der Würzburger Hochschulprofessor Dr. Paul Neuenzeit — ein Laie — zeigte auf, daß im Christentum nicht mehr die individualistische Heilssuche möglich sei, daß vielmehr das Heil, die Gegenwart Christi abhängig gemacht wurde vom brüderlichen Sein, von der Gemeinde. Die christliche Gemeinde dürfe nicht eingeengt werden auf die Eucharistiefeier, sondern gelte auch für den Wortgottesdienst und die Diakone des Bruderdienstes. Interessant waren auch diie Ausführungen Prof. Neuenzeits über die Bedeutung der zweigestältigen Eucharistiefeier, wonach die Broteucharistie vorwiegend das individuelle Heil, die Bechereucharistie die Applikation des neu- testamentlichen Bundesschlusses ausdrücken und vermitteln.

Neben der Besinnung auf die Bibel wurde auch die Betonung der liturgischen Grundvollzüge in den Vordergrund gestellt. Nicht sosehr Einzelheiten und geschichtliche Formen müßten der Gegenstand liturgischer Besinnung sein, stellte der Grazer Universitätsprofessor Dr. Karl Amon fest, sondern die wesentlichen Grundformen. Dazu zählte er Gebet, Gesang und Lesung beim Wortgottesdienst sowie Brot, Kelch und Danksagung bei der Eucharistie. Eine liturgische Neuordnung müsse berücksichtigen, daß es um diese Vollzüge und nicht so sehr um bestimmte Texte usw. gehe. In diesem Zusammenhang sei es im deutschen Sprachraum ein besonderes Anliegen, die Schätze des deutschen Kirchenliedes vom „Aschenbrödeldasein” außerhalb der Liturgie zu erlösen und in den liturgischen Rang zu erheben.

Die Bedeutung der Hauskirchen

Die liturgische Erneuerung ist mit zahlreichen anderen Problemen dicht verwoben. Es wurde bereits die Form der kirchlichen Gemeinden genannt, bei der heute noch immer die anonymen Pfarren ohne lebendige Gemeinschaften vorherrschen. Hier wird es um die Grundvoraussetzung einer echten neuen Liturgie, aber auch um eine wirksame Erneuerung der Kirche selbst in der Zukunft gehen. An Stelle der Volkskirche müssen kleine, überschaubare Gemeinden mit dem Schwerpunkt in der Eucharistie, Wort Verkündigung und brüderliche Liebe treten. Dies wurde mehrfach in der von Prälat Ungar geleiteten Podiumdiskussion betont. Dahinaus zielte letztlich auch Pfarrer Josef Emst Mayer, wenn er feststellte, daß die Reform des Gottesdienstes nur dann möglich sei, wenn die Urform der liturgischen Feier (der kleine Kreis um den Tisch im Abendmahlsaal) lebendig wird und bleibt (Hauskirchen). Die bisherige liturgische Reform, sagte der Wiener Stadtpfarrer, habe bereits jetzt bei einer Gruppe von Getauften Anstoß erregt, nämlich bei jenen, die in „irgendeinem Herrgott und in der Anständigkeit” das Wesentliche des Christentums sehen. Je verständlicher der Gottesdienst geworden sei, desto deutlicher habe sich hier der Abstand gezeigt. Es gelte heute einen Weg zu bahnen, um den bloßen Gottesglauben, in dem auch die Gemeinde keinen Platz habe, zu einem umfassenden Christusglauben zurückzuführen.

Mit der liturgischen Erneuerung hängen auch die Fragen des Kirchenbaues, über den in einem eigenen Referat Dr. Günter Rombold, (Linz) sprach, sowie die Probleme der Kirchenmusik (Dr. Philipp Harnoncourt, Graz) eng zusammen. Die Gottesdienstreform dürfe nicht am Kirchenraum und an den Finanzen scheitern, wurde festgestellt. Umbauten (und zwar künstlerische) seien ebenso dringend wie Kirchenneubauten. Die Kirchenmusik bedürfe heute, wie nie zuvor, der zeitgenössischen Künstler, für die die erneuerte Liturgie ein ungeheurer Auftrag, aber auch eine Verantwortung darstelle.

Eine neue liturgische Sprache

Weitere Zentralpunkte der Liturgie sind die Sprache und die liturgischen Symbole. Symbole, die man immer wieder erklären muß — sagte jemand —, könnten mit Witzen verglichen werden, deren Pointe man nachher zu erklären habe. In zwei Referaten legten die Brüder P. Dr. Augustinus und P. Gregor Wucherer-Huldenfeld die theoretischen und praktischen Aspekte der Symbole in der Liturgie dar. An zahlreichen Beispielen, wie etwa die Beimengung von öl zum Taufwasser, was heute eher eine Verunreinigung als eine Erhöhung der Wirkung bedeute, wurde sichtbar, daß gerade hier noch Wichtiges zu leisten ist. Das gleiche gilt, wie Doktor Ignaz Zangerle ausführte, für die liturgische Sprache. In einer Zeit der Krise der Sprache, gelte es zielstrebig und im Teamwork eine neue sakrale Sprache zu schaffen. Weithin könne derzeit die Sprache der Kirche unsere Wirklichkeit nicht mehr richtig benennen. Eine von der Kraft heutiger religiöser Erfahrung, aber auch der profanen Wirklichkeit getragene Sprache müßte — auf längere Sicht — die notwendige Grundlage für die liturgische Erneuerung bringen. Dabei müßte, so Dr. Zangerle, jeder diözesane und österreichische Partikularismus hintanstehen und das Bemühen, den gesamten deutschen Sprach- und Kulturraum erfassen.

Auf die Notwendigkeit einer neuen Sicht der Sakramente wies der Innsbrucker Universitätsprofessor Dr. Bernhard Meyer. Die Sakramente — die Verleiblichung der oft falsch verstandenen Gnade — müßten mehr dialogisch gesehen und vom Spender wie Empfänger mehr als bisher erlebt werden.

Wandlungsworte in der Landessprache

Die Wiener Weihnachtsseelsorgertagung schnitt — vor allem in den Diskussionen und im kleinen Kreis — zahlreiche praktische Probleme und für die Zukunft entscheidende Fragen der Liturgie an. Diese — oft vorwiegend an die zahlreich anwesenden österreichischen Bischöfe gerichteten — Anliegen, werden nach den Worten des österreichischen Liturgiereferenten Weihbischof

Dr. Eduard Macheiner vom zuständigen Gremium sorgfältig studiert werden. Aus der Fülle von Wünschen und Vorschlägen seien nur stichwortartig einige herausgegriffen:

• Die Verwendung von echtem Brot in der Eucharistie an Stelle der wie Papier aussehenden Hostien.

• Die Ausnützung der Kelchkommunion und die Erweiterung der Möglichkeiten dazu.

• Gänzliche Neuordnung des Kanon, Verwendung der Landessprache bei den Wandlungsworten.

• Eine größere Demokratisierung der christlichen Gemeinden, die in vielen Fällen noch immer nach absolutistischen, monarchistischen Prinzipien verwaltet werden.

• Erarbeitung völlig neuer Formen im Gottesdienst.

• Möglichst schnelle Einführung des nichtzölibatären Diakonats auch in Österreich.

Die liturgische Bewegung ist nicht am Ende

Die Seelsorgertagung über die Liturgie unterstrich bei aller Notwendigkeit weitgehender Reformen die Wichtigkeit eines Nachziehverfahrens für die zurückgebliebenen Pfarrgemeinden. Alles sei nicht überall möglich, man dürfe aber im geduldigen Umformungsbemühen nicht nachlassen. Die liturgische Bewegung, das war der Tenor der Tagung, die in besonderer Weise dem österreichischen Pionier der erneuerten Liturgie, Pius Parsch, die Reverenz erwies, ist heute keineswegs am Ende. Heute wie in der Zukunft geht es immer wieder von neuem darum, den lebendigen, in der konkreten Zeit stehenden Gottesdienst zu gestalten.

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