hesse stefan erzbischof - © Foto: imago images / epd

Die Macht des liturgischen Eigensinns

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Warum gerade in der Liturgie auch die strukturellen Probleme der Institution offenbar werden: Überlegungen zum Raum sakraler Selbstbestätigung in der katholischen Kirche.

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Warum gerade in der Liturgie auch die strukturellen Probleme der Institution offenbar werden: Überlegungen zum Raum sakraler Selbstbestätigung in der katholischen Kirche.

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„Hier sind jetzt über 60 Bischöfe versammelt, gibt es einen oder zwei, die im Zuge ihrer Beratungen gesagt hätten: Ich habe so viel persönliche Schuld auf mich geladen, ich kann eigentlich diese Verantwortung des Amtes nicht mehr tragen?“ Die Frage stellte die Journalistin Christiane Florin bei der Pressekonferenz der Deutschen Bischofskonferenz am 25. September 2018 in Fulda, als die MHG-Studie zum sexuellen Missbrauch durch Kleriker vorgestellt wurde.

Zweieinhalb Jahre später bleibt es bei der Antwort, die Kardinal Marx damals zu Protokoll gab: „Nein.“ In diesen Tagen steht der Hamburger Erzbischof Stefan Heße unter Erklärungsdruck. Als ehemaliger Personalchef des Erzbistums Köln steht er unter dem Verdacht, an der Vertuschung eines Missbrauchsfalls mitgewirkt zu haben. Ein des sexuellen Missbrauchs beschuldigter Kölner Priester soll „im Generalvikariat in einem Gespräch alles erzählt“ haben.

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In einer Gesprächsnotiz vom 3. November 2010, die den Verzicht auf ein förmliches Protokoll mit Hinweis auf eine möglicherweise drohende Beschlagnahmung durch strafverfolgende Behörden begründet, finde sich die Paraphe des heutigen Hamburger Oberhirten. Die genauen Umstände des Vorgangs bleiben unklar. Portionsweise kommen neue Informationen ans Licht. Stück um Stück muss Heße Erklärungen nachliefern. Dezente Eingeständnisse auch von persönlichen Fehlern summieren sich bislang aber nicht zu mehr.

Innere Widersprüche

Erzbischof Heße zählt zu jenen reformwilligen Mitgliedern im deutschen Episkopat, die Konsequenzen aus der MHG-Studie ziehen wollen und dabei die systemischen Zusammenhänge im Blick haben. Aber die eigene Verstrickung in einen kirchlichen Handlungskomplex, der nicht nur Missbrauch durch Kleriker zuließ, sondern auch seine Vertuschung betrieben hat und offensichtlich auf der Ebene der Aufdeckung dieses Zusammenhangs weiter betreibt, wird bei Bischöfen nicht konsequent zum Thema.

Warum ist das möglich? Wie lässt sich die Verantwortung der bischöflichen Aufklärer, die – wie Heße – „die Aufarbeitung von Missbrauch weiter vorantreiben“ wollen, mit der eigenen Rolle in der bisherigen Aufklärungspraxis vermitteln? Wieso hat bislang kein deutscher Bischof von sich aus Konsequenzen gezogen und ist in einem Akt zumindest stellvertretender Verantwortung zurückgetreten? Das ist nicht einfach eine Frage persönlicher Integrität. Der innere Widerspruch der Person erklärt sich nicht allein aus der Persönlichkeitsstruktur der einzelnen Akteure.

Die liturgischen Gewänder heben die biografische Bindung an den einzelnen Priester auf. Letztlich bekleidet man nicht sich selbst, sondern zieht Christus symbolisch an.

Dazu ist das Verhaltensmuster episkopaler Beharrungsfestigkeit im Amt zu konform; es hat selbst systemischen Charakter. Dafür gibt es theologische Gründe, die tief in das Leben und die Handlungsmuster eingreifen, die priesterliche Existenz bestimmen. Das katholische Verständnis des Amtes beansprucht einen character indelebilis: die unzerstörbare, bleibende Disposition des Geweihten. Er trägt das Prägemal Jesu Christi. Im Amt gehen Person und Dienst ineinander über. Der Priester handelt an Christi Statt. Das wird nirgendwo deutlicher als dort, wo er jene Zeichen setzt, zu denen er im Sakrament der Weihe ermächtigt wird: in der Liturgie.

Die sakramentale Logik bildet hier einen strengen Zusammenhang. Der Priester repräsentiert Jesus Christus. Er wird dabei selbst zu einem Zeichen, das einerseits über die konkrete Person des Einzelnen hinausweist, sie zum anderen aber radikal beansprucht. In der Liturgie gewinnt dies körperliche Anschauungskraft. Ohne den Priester keine sakramentale Buße, keine Eucharistiefeier. Weil sie aber das Zentrum des kirchlichen Lebens bildet, nimmt die liturgische Bedeutung des Amtes im einzelnen Priester eine unverzichtbare Gestalt an. Und genau das prägt.

Amt Macht Liturgie - © Foto: Herder 2020
© Foto: Herder 2020
Buch

Amt - Macht - Liturgie

Theologische Zwischenrufe für eine Kirche auf dem Synodalen Weg
Von Gregor Maria Hoff, Julia Knop, Benedikt Kranemann (Hg.)
Herder 2020 320 S., kart., € 49,40

Das liturgische Amt bestimmt die Identität des Priesters. Es nimmt nicht nur stellvertretend in Haft, es entbindet auch die Machtressourcen, die sich im sakramentalen Geschehen an seine Vermittlung koppeln. In der Eucharistiefeier setzt sich dies in einem doppelten Code um: Er koppelt Sakralität an die handelnde Person, um sie zugleich als Akteur auf Gott hin zu überschreiten. Das zeigt sich an der Funktion der liturgischen Gewänder. Sie heben die biografische Bindung an den einzelnen Priester auf. Sie sind übertragbar. Letztlich bekleidet man nicht sich selbst, sondern zieht Christus symbolisch an. Damit wird eine klare Rollenverteilung festgelegt: Christus agiert in der Eucharistie.

Aber er handelt in der Form einer Stellvertretung, die ein ambivalentes Rollenspiel in der Liturgie freisetzt. Die Feier der Eucharistie besteht in einem performativen Vorgang. Was in Zeichen bestimmt wird, ereignet sich als Vollzug: Gegenwart Gottes. Es handelt sich in einem strikten Sinn um eine Performance. In der liturgischen Inszenierung, also in der Umsetzung des Geschehens in der kultischen Feier, gewinnt sie eine objektive Form. Unabhängig von der persönlichen Glaubwürdigkeit des Priesters gilt, was hier geschieht. Zugleich nimmt die Rollenfestigkeit des Amtes damit eine ungeheure Stabilität an. Sie lässt sich durch nichts ins Wanken bringen – weshalb letztlich die Entlassung aus dem Priesteramt die höchste Bestrafung eines Missbrauchstäters wie des Ex-Kardinals Theodore McCarrick darstellt.

Ein Orbit sakraler Macht

Die Liturgie bildet den Raum, in dem sich die Logik des Amtes darstellt und vollzieht – mit der Aufladung der Rolle durch die Insignien ihrer Funktion. Die liturgischen Textilien und Instrumente bebildern nicht nur die Eigenwirklichkeit und den Eigensinn eines heiligen Spiels, sondern erweitern den sakralen Raum in der Übertragung auf den liturgischen Akteur. Sie macht an den Grenzen des Gottesdienstes nicht halt. Im Raum der Liturgie, die sich zwar nicht von der Welt abschirmt, sich aber von ihr räumlich wie mit den Zulassungsbedingungen zur liturgischen Teilnahme unterscheidet, vermittelt sich der Kontakt zum Allerheiligsten. Der Zugang zu ihm, priesterlich vermittelt, bildet damit auch einen Orbit sakralisierter Macht. Ihre Performance prägt habituell – bis in die Fortsetzung liturgischer Kleidung ins klerikale Standesschwarz.

Tatsächlich handelt es sich nach kirchlichem Recht und dogmatischer Bestimmung um einen Stand. Ständisch organisiert, erweist sich die Beharrungskraft im Amt insofern als konsequenter Ausdruck eines Systems, das sich liturgisch je neu bestätigt. Gerade weil das Amt in der Kirche einen theologisch präzisen Sinn hat, weil es die sakramentale Dimension der Kirche zur Geltung bringt, erweist es sich als so schwierig, den Schritt aus dem Amt von sich her zu vollziehen. Es wird sich zeigen, ob dies am Ende auch für Hamburg und darüber hinaus weiter gilt – und welche Konsequenzen sich daraus nicht zuletzt für das liturgische Leben der Kirche ergeben.

Der Autor ist Professor für Fundamentaltheologie und Ökumene an der Katholisch-­Theologischen Fakultät der Universität Salzburg.

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