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Die Kirchen Verwaltung ist kein Rätesystem

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Als Gregor IX. die Gesetzessammlung des „Liber extra“ 1234 promulgierte, war die kom- pilatorische Tätigkeit eines kirchlichen Rechtsgelehrten, Raimund von Penafort, mit dem Charakter der Authentizität versehen worden. Raimund war mit dem ihm zu Gebote stehenden Quellen nicht kleinlich verfahren; erwies sich eine Papstdekretale als zu langatmig (offenbar ein sehr alt eingewurzelter Übelstand), schnitt der Kompilátor das Überflüssige weg; die partes decisae fielen unter den Tisch,

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Als Gregor IX. die Gesetzessammlung des „Liber extra“ 1234 promulgierte, war die kom- pilatorische Tätigkeit eines kirchlichen Rechtsgelehrten, Raimund von Penafort, mit dem Charakter der Authentizität versehen worden. Raimund war mit dem ihm zu Gebote stehenden Quellen nicht kleinlich verfahren; erwies sich eine Papstdekretale als zu langatmig (offenbar ein sehr alt eingewurzelter Übelstand), schnitt der Kompilátor das Überflüssige weg; die partes decisae fielen unter den Tisch,

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und das mag nicht immer zum Verständnis des gekürzten Textes beigetragen haben. Heute wäre man gewiß geneigt, von Manipulation zu sprechen, damals wagte man es wohl nicht. Der fleißige Sammler war nicht nur ein hervorragender Fąchmann, sondern als Mensch von so großer Integrität, daß die Kirche ihn zur Ehre der Altäre erhob. Überdies war es der Papst, der das Werk sanktionierte und damit außer Diskussion stellte. A. D.

Das Beispiel empfiehlt sich nicht zur Nachahmung, wie uns der Protest belehrt, der gegen den Entwurf einer „Lex fundamentalis“ erhoben wird. Eine päpstliche Kommission hatte sich zur Aufgabe gestellt, aus Texten des II. Vatikanums ein Grundgesetz zu formulieren. Die weitausholenden und juristisch schwer faßbaren Texte des Konzils mußten sich Kürzungen und Verdeutlichungen gefallen lassen. Dabei ist es unvermeidlich, daß eine Neufassung zu Verdichtungen oder auch zu Verdünnungen führen kann.

Ein Grundmotiv der erregten Stellungnahmen ist der Vorwurf, die Römische Kurie habe ihren Standpunkt durchsetzen wollen. Aus Liebe zur Wahrheit muß bemerkt werden, daß sich die Arbeiten der Kommission nicht in eine primitive Vorstellung der Freiheitsbeschränkung einordnen lassen. Jeder Konsultor hat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, seine Meinung schriftlich und mündlich zu äußern. Verglichen mit einem synodalen Vorgehen ist es nicht etwa so, daß nur verhältnismäßig wenige regelmäßig das Wort führen, andere jedoch schweigen oder bei abweichender Meinung damit rechnen müssen, von den Massenmedien unliebsam behandelt zu werden, und dies vielleicht sogar in einem hintergründigen Zusammenspiel mit synodalen Leitungsgremien. Da die römische Atmosphäre weder durch Reden zum Fenster hinaus noch durch einen publizistischen Druck vergiftet ist, bleibt der Wille zur Sachlichkeit unbeeinträchtigt.

Warum sollten auch Fachgelehrte, die zum Teil von ihren Bischöfen vongeschlagen wurden, ihre unentgeltliche Tätigkeit dazu mißbrauchen, um kurialen Konzeptionen, falls solche bestünden, gegen die eigene Überzeugung Beifall zu zollen? Auch im vorliegenden Fall müßte doch der Beweis dafür verlangt werden, daß die Kommissionsmitglieder, unter ihnen je zwei belgische und deutsche Fachleute, die generelle Absicht gehabt hätten, Konzilsergebnisse zu verfälschen. Mit Computermethoden wird man nicht immer an den Kern der Sache herankommen. Was nützt es etwa zu registrieren, wie oft der Ausdruck „Hierarchie“ und das Wort „Volk“ in einem Dokument vorkommen.

Damit sei nicht ausgeschlossen, daß einzelne Textierungen, gemessen am Konzilstext, blaß und auch mißverständlich ausgefallen sind. Die Begriffsbildung der Kirche schwankt zwischen dem Blick auf die Gesamtheit aller und der Einschränkung auf die Hierarchie. Die Mitverantwortung der Laien erstreckt sich zwar auf das Recht der Anhörung und Meinungsäußerung, behandelt jedoch ihre organisatorisch faßbaren Mitsprachemöglich- keiten ganz am Rande. Das Prinzip der Subsidiarität im Sinne einer Dezentralisierung klingt kaum auf, wenn es um den Aufbau der Mittelstufen geht, deren Aufwertung zu den Konzilsanliegen gehörte.

Ein „klerikales“ Schema?

Daraus schließen zu wollen, daß ein klerikal, hierarchisch oder kuriai ausgerichtetes Schema entstanden sei, bedürfte einer Klärung der Vorfrage: Was wollte das Konzil wirklich? Es dürfte doch reichlich schwerfallen, mit Hilfe einer methodisch richtigen Interpretation etwa beweisen zu wollen, daß der Unterschied zwischen Hierarchie und Volk auf gehört hätte zu bestehen. Weder die dogmatische Konstitution über die Kirche noch das Bischofs- und Priesterdekret bieten dafür eine Handhabe. Wer nun in der Hoffnung lebte, durch eine Weiterentwicklung der Konzilsbeschlüsse zu einem gänzlich neuen Konzept der Kirchen- verfassung zu gelangen, muß sich enttäuscht sehen.

Das Recht geht nicht vom Volk aus, sondern ist ein integrierender Bestandteil jener Sendung, die auf Lehre und Heiligung ausgerichtet ist. Daher ist die Gesetzgebung nicht Aufgabe einer Volksvertretung aus Klerus und Laien, das kirchliche Lehramt nicht einfachhin ein demokratischer Abstimmungsmechanismus unter dem Vorzeichen einer Fraktionsmehrheit; die kirchliche Verwaltung wurde vom II. Vatikanum nicht als Funktion eines gestaffelten Rätesystems aufgefaßt. Sicherlich wäre es einer Überlegung wert, wie weit etwa die Verfassung der russisch-orthodoxen Kirche vom 31. Jänner 1945 auf die katholische Kirche übertragbar wäre, wenn es heißt, daß die oberste Gewalt beim Lokalkonzil liegt; dieses wird periodisch einberufen und setzt sich aus Bischöfen, Priestern und Laien zusammen. Aus den Texten des II. Vatikanums läßt sich allerdings diese Auffassung weder herauslesen noch liegt sie im Bereich einer organischen Entfaltung der bisherigen Ergebnisse.

Die Geschichte der russisch-orthodoxen Kirche darf aber auch als Zeugnis für die Grenzen einer Verfassungsänderung beansprucht werden. Am 3. Mai 1923 faßte das Konzil der „Lebendigen Kirche" (eine gegen -die Patriarchatskirche gerichtete Spaltungsbewegung) den Beschluß, das Patriarchat abzuschaffen, da es „unvereinbar mit dem konziliaren Prinzip“ sei. Im Sinn einer radikalen Konsequenz des Konziliarismus war diese Erkenntnis verständlich; sie müßte sich in der katholischen Kirche naturnotwendig gegen den Primat richten und dem Papst bestenfalls die Rolle eines Generalsekretärs bei konziliaren Verhandlungen zuweisen. An seine Stelle hätte ein Kollegium zu treten, so daß eine Einzelentscheidung des Papstes in Sachen des Glaubens und der Disziplin ausgeschlossen wäre. Sicher mag dies die Erwartung mancher sein, die sich nun enttäuscht sehen; nur möge man sich darüber im klaren sein, daß es sich um außer- oder gegenkonziliare Vorstellungen handelt, -nicht aber um eine im Sinne des Konzils entworfene „Lex fundamentalis“.

Schließlich kann auch die Vorstellung nicht befriedigen, daß die Bischöfe sich ihrer Leitungsgewalt zu begeben hätten, das gleiche hätte dann auch auf pfarrlicher Ebene zu geschehen, um sich auf die Funktionen der Weihegewalt zurückzuziehen, soweit diesem „magischen Rest“ überhaupt noch eine Existenzberechtigung zukommt. Fände dies statt, so wäre der Bischof nichts anderes als der „große Zauberer“, dessen Tage ohnedies gezählt erscheinen. Die Idee von der Einheit der Kirchengewalt wäre damit zu Grabe getragen, und gerade in dieser Auffassung der einigen und umfassenden ‘Sendúná liegt* ein beachtlicher Fortschritt der theologischen und kirchenrechtlichen Wissenschaft. Sie zeigt den Bischof als Kristallisationspunkt jener Hirtenaufgabe, die im Zusammenwirken von Lehr-, Priester- und Leitungsamt keiner „Trennung der Gewalten“ unterliegen kann. Nichts verbietet es dem Bischof, seine Entscheidungen auf eine breite Basis der Meinungsbildung zu stützen und im altchristlichen Sinn das Einvernehmen mit Volk und Klerus zu suchen.

Der Mängel sind genug

Die Kritik an den Kritikern des römischen Entwurfes möge nicht als Scheingefecht aufgefaßt werden, um das Schema zu verteidigen. Ihm haften Mängel an, die es berechtigt erscheinen lassen, von einem unausgereiften Konzept zu sprechen. Die theologische Entwicklung ist durch das II. Vatikanum nicht zum Stillstand gekommen, im Gegenteil, manches ermangelt einer letzten Klärung, wie die Begriffe der Kollegialität, des Trägers der höchsten Gewalt, die Stellung der Einzelkirche zur Gesamtkirche wie auch die Begriffe der Kirche und der Kirchenmitgliedschaft. Mit diesen theologisch unzureichend geklärten Voraussetzungen war die Kommission genötigt zu arbeiten. Die Gefahr liegt nicht nur in der begrifflichen Unbestimmtheit, sondern in einer rechtlichen Fixierung; sie erweckt den Anschein, als sei die Frage durch Schaffung eines Rechtssatzes bereinigt. Auf dieser Erkenntnis beruht das Urteil über die mangelnde zeitliche Opportunität des Entwurfes.

Ein weiterer Übelstand scheint uns darin zu liegen, daß der Gesetzesentwurf sowohl der lateinischen Kirche als der Kirche des Ostens eine gemeinsame Grundlage bieten soll. Ganz abgesehen von der Frage, ob es gelingt, das Konzept von Vorstellungen der lateinischen Rechtsordnung freizuhalten, erwächst darauf eine Selbstfesselung, die es verbietet, konkretere Hinweise zu geben.

Tatsächlich kann der Text auch vom ostkirchlichen Standpunkt aus nicht befriedigen. Was soll etwa die Feststellung, daß das Kardinalskollegium, eine Einrichtung lateinischen Ursprungs, der oberste Senat der Kirche sei? Darin liegt ein Verkennen der patriarchalen Befugnisse, die — gemessen an der Kardinalswürde — abgewertet erscheinen. Nicht einmal die Aufnahme der Patriarchen in die Zahl der Kardinale vermag hier Abhilfe zu schaffen, da dieser Vorgang auf einer anderen Ebene liegt. Hatte das Dekret für die katholischen Ostkirchen von einer Wiederherstellung der ursprünglichen Vollmachten die unierten Patriarchen gesprochen, so fehlt im vorliegenden Dokument selbst dieser bescheidene Anstoß zur Widergut- machung.

Eine merkwürdige Stellung nimmt die Ostkirche der Römischen Kurie gegenüber ein. Sind doch die römischen Zentralstellen durch Ursprung und primäre Tätigkeit Behörden des lateinischen Patriarchates. Der Orthodoxie gegenüber ist damit ein schlechter Dienst erwiesen, wenn für den Fall einer Wiederherstellung der Einheit nichts anderes in Aussicht gestellt wird, als eine Reglementierung durch Kurialbeamte, als wären ihre Patriarchen bestenfalls Diözesanbischöfe der lateinischen Kirche. Die Lösung kann nur in der Schaffung einer doppelten Kurie liegen, einer gesamtkirchlichen und einer für das lateinische Patriarchat bestimmten.

Nicht im Sinn des Konzils

Von den zahlreichen Beschwerden gegen den Entwurf möchten wir nur zwei grundsätzliche Einwendungen herausgreifen. Sie betreffen den Grundsatz der Kollegialität und Subsidiarität, bei denen es allerdings weniger um theologische oder gar rechtsphilosophische Erörterungen geht. Der Satz „Kollegialität und Subsidiarität auf allen Ebenen“ 1st ein Gemeinplatz und hat daher im Rahmen eines Gesetzesentwurfes nichts verloren. Wollte man aber die Kollegialität so auffassen, daß auf allen Stufen kirchlicher Ämter, vom Papst bis zum Pfarrer, statt des Amtsträgers ein Kollegium stünde, dann hätte man zumindest nicht nach dem Wort und Geist des II. Vatikanums gehandelt.

Sicherlich kann ein Verfassungsgesetz nicht minuziöse Anweisungen für Zusammensetzung und Funktion irgendeines diözesanen oder pfarr- lichen Gremiums enthalten. Es ist jedoch zu bedauern, daß auf die beratenden Gremien so gut wie gar nicht eingegangen worden ist. Domkapitel, Priesterrat, Pastoralrat, Laienrat, Diözesanvermögensrat sind Institutionen entweder des bestehenden Kodexrechtes oder konziliarer Gesetzgebung. Weder die Kompetenzabgrenzungen noch die Verbindlichkeit wurden in den Konzilsdokumenten bzw. den nachfolgenden Ausführungsbestimmungen befriedigend festgelegt. Ihre Rolle bei der kirchlichen Verwaltung verdiente es jedoch, bereits im Rahmen des Verfassungsgesetzes richtungweisend festgelegt zu werden, sei es im Sinn einer Aufwertung oder auch einer Begrenzung. Die heftigen Angriffe gegen das verspätete Bemühen der Kleruskongregation, hier Klarheit zu schaffen, deuten bereits auf einen Mangel der bisherigen Schritte hin.

Einen Brennpunkt bildet die Mitwirkung des Bischofskollegiums bei der gesamtkirchlichen Leitung! Man mag von der theologisch vertretbaren Formel ausgehen: So wie es keine

Entscheidung des Episkopates ohne das Haupt geben kann, so ist in den Handlungen des Hauptes auch das Bischofskollegium vertreten und gegenwärtig. Die erste Satzhälfte bereitet keine grundsätzlichen Schwierigkeiten, das bisher ungelöste Anliegen betrifft päpstliche Einzelent- scheidungen. Welcher rechtlich faßbare Weg vermag dorthin zu führen, daß keine wichtige lehramtliche und disziplinäre Entscheidung ohne Mitwirkung des Episkopates erfolgt. Die Forderung, daß der Papst niemals ohne Zustimmung der Bischöfe handeln dürfe, ist ebenso unbefriedigend wie die Umkehrung des Satzes. Um dieses Problem dreht und windet sich der Text, und gerade hier käme es darauf an, fernab von Extremen ein offenes und befreiendes Wort zu sprechen.

Nicht minder unbefriedigend ist die fehlende Dezentralisierungstendenz im Sinne der angewandten Subsidiarität. Neben der Aufwertung der Patriarchen enthält der Konzilstext im Bischofsdekret den Hinweis auf eine geeignete Neufassung der Befugnisse des Metropoliten. Nichts deutet im Entwurf darauf hin, was hier geschehen soll. Das Schisma des Jahres 1054 führte auch innerhalb der lateinischen Kirche zu einer Verarmung von Strukturen. Päpstliche Primatialgewalt und patriarchale Befugnisse fingen einander an zu überdecken; der Schwund der Metropolitangewalt sowie die sporadische und kurzlebige Bedeutung des Primas vervollständigten den Nivellierungsprozeß. Ein unerträglicher Zentralismus war die Folge der Entwicklung, der sowohl innerkirchlich als auch ökumenisch einen Hemmschuh darstellt. Eine „Lex fundamentalis“ als Auftrag oder richtungweisendes Prinzip für den partikularen Gesetzgeber hätte eine Hilfeleistung sein können. Die Möglichkeit wurde nicht genützt, dafür aber ein systematisch, inhaltlich und sprachlich unbefriedigendes und daher anfechtbarer Zitatenschatz geboten.

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