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Konzil am Wendepunkt

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Am 1. September hat Paul VI. in seinem Brief an den Kardinaldekan daran erinnert, daß „jedes Glied der Kirche das einmalige geschichtliche Ereignis, das Ökumenische Konzil, als sein persönliches Interesse betrachten und mit wachsender, brennender Anteilnahme verfolgen müsse“. Doch während er am Vorabend der dritten Sitzungsperiode diese Ermahnung wiederholt, verschließt er sich realistisch nicht der Tatsache, daß „das dem Konzil geschuldete Interesse in den Herzen schwächer werden könnte, weil die so wichtige Versammlung keine Neuigkeit mehr ist“.

Das Schwinden des Interesses an den Arbeiten des Konzils ist eine leicht feststellbare Tatsache, die weder Bedauern noch Erstaunen hervorzurufen braucht.

Schon letztes Jahr mußten wir kurz vor der zweiten Sitzungsperiode ein ähnliches Phänomen zur Kenntnis nehmen, wenn auch der Wechsel im Papstamt eine nicht unbegründete Erwartung geweckt hatte, herauszufinden, ob und in welchem Maße der Übergang von Johannes XXIII. zu Paul VI. die Konzilsarbeiten und vor allem den sie beseelenden Geist beeinflußt habe.

Nachdem nun ein weiteres Jahr verflossen ist und die Richtlinien des neuen Pontifikats jedem aufmerksamen Beobachter klar vor Augen stehen, wäre es nutzlos, das Interesse und die Erwartung mit denselben Worten wiedererwecken zu wollen, die vor einem Jahr oder noch früher sich als nützlich und zeitgemäß erwiesen hatten. Es ist auch nicht unsere Aufgabe, zur Erwägung der Tatsache aufzurufen, daß ein Ökumenisches Konzil, dessen Lenker und unsichtbarer, aber wirklicher Hauptfaktor der Heilige Geist ist, seine übermenschliche Außerordentlichkeit unverändert bewahrt, selbst wenn es sich, wie dies beim Zweiten Vatikanum zutrifft, mit einer nunmehr schon einige Jahre dauernden menschlichen Langsamkeit vollzieht.

Es gibt also keine Neuigkeit — und wir sehen, daß auch der Papst dies erkannt hat —, die auf die Phantasie derer Eindruck machen könnte, denen Presse, Fernsehen und Rundfunk Tag für Tag die Nachrichten und Bilder sensationeller Geschehnisse und verschiedenartigster Überraschungen darbieten. Dennoch sind wir davon überzeugt, daß die bevorstehenden Konzilsarbeiten erneut rasch die Aufmerksamkeit vieler auf sich lenken können, weil sie zu Fragen Stellung nehmen sollen, die für das Leben der Kirche bedeutsam sind, und einige Knoten, die in den bisherigen Sitzungsperioden ungelöst blieben, lösen sollen. Deshalb meinen wir sogar, daß jetzt die entscheidende Phase beginnt.

Der Entwurf „De Ecclesia“

Wir brauchen nur darüber nachzusinnen, daß die Konzilsväter wieder jenen Entwurf erörtern werden, den der ehemalige Mailänder Erzbischof Kardinal Montini 1962 mit Recht „den vielleicht am meisten erwarteten, wichtigsten und segensreichsten Gegenstand“ unter sämtlichen anderen nannte, die das damals noch nicht eröffnete Zweite Vatikanum zu erörtern und zu klären bestimmt war. Nach Ansicht des künftigen Papstes ging es wirklich darum, in einem bestimmten Sinn das Grundgesetz der Kirche zu ergänzen, das nach dem Ersten Vatikanum beim Kapitel über den Primat und die Unfehlbarkeit des Papstes stehengeblieben war. Um dem Bedürfnis zu entsprechen, „das Wesen des Bischofsamtes, seine Funktionen, Vollmachten und Pflichten zu klären“, war es, wie Kardinal Montini darlegte, notwendig, seine Wurzeln im Evangelium, seine sakramentalen Gaben, seine Lehr-, Hirten- und Rechtsvollmachten sowohl in der Person des einzelnen Bischofs als auch in den kollegialen Äußerungen des Episkopats klar herauszustellen und seine Abhängigkeit vom Papst und gleichzeitig die Einheit, brüderliche Verbindung und Zusammenarbeit mit dem Papst zu bekräftigen… „Die Erörterung des

Wesens und der Funktion des Episkopates in Harmonie mit dem römischen Papsttum“, so schloß Kardinal Montini, „wird zu einer neuen, spontanen Herausstellung der nicht allein juridischen, sondern auch lebendigen Einheit der Kirche rund um den Stuhl des heiligen Petrus führen und eine größere organische Internationalisierung der kirchlichen Zentralregierung einleiten.“

Wer sich — wenigstens in Bausch und Bogen — an die Konzilsdebatte erinnert, die letztes Jahr über den Entwurf „De Ecclesia“, insbesondere über das Problem der Kollegialität und das damit zusammenhängende Problem dęr Änderung der Strukturen und Arbeitsmethoden der römischen Kurie, entbrannte, kann nicht umhin, anzuerkennen, daß der Mailänder Erzbischof buchstäblich die wesentlichsten Dinge und die heikelsten Punkte vorher behandelt hatte. Und die außerordentliche Bedeutung, die wir den kommenden Konzilserörterungen zuschreiben, wurzelt in der Tatsache, daß alles noch zu entscheiden bleibt, vor allem dann, wenn der Streit um den Sinn und den Wert der Abstimmungen wieder entbrennen sollte, durch die am 30. Oktober 1963 die Konzilsväter mit größter Mehrheit den sakramentalen Charakter und die

Kollegialität des Episkopats bejahten.

Unter den dürren, nichtamtlichen Informationen, die wir in den letzten Monaten über die weitergegangenen Konzilsarbeiten sammeln konnten, befindet sich eine, die versichert, daß die zuständige theologische Kommission den Entwurf „De Ecclesia“ unter Berücksichtigung jener unzweifelhaften Willensäußerungen der versammelten Konzilsväter überarbeitet habe. Es ist jedoch nicht nachweisbar, wie genau diese Richtlinien im Entwurf Aufnahme fanden und ob angesichts ihrer neuen Fassung die Vorbehalte und Gegensätze abnehmen, die im letzten Jahr die Mehrheit von der Minderheit der Konzilsväter trennten. Wir selbst können verstehen, daß es schwierig ist, den Begriff der bischöflichen Kollegialität durch lehrmäßige, ja sogar dogmatische Ausdrücke auszulegen. Wir halten auch die Aufgabe der Kirchenrechtler nicht für leicht, denen es obliegen wird, ihn juristisch zu definieren. Doch ohne in schwierige Gebiete einzudringen und ohne die wesentlich pastoralen Ziele zu vergessen, die Johannes XXIII. dem Zweiten Vatikanum gesteckt hat, möchten wir die Hoffnung ausdrücken, daß konkrete Lösungen für ein „Aggiornamento“ der Regie-

rungsformen der Kirche zustande kommen, die, ohne im geringsten das Dogma vom päpstlichen Primat zu beeinträchtigen, das vielfältige Gesicht der heutigen Katholizität besser widerspiegeln.

Neutestamentliche Brüderlichkeit

Wie erinnerlich, hatte Paul VI. bei der Wiedereröffnung des Konzils eine unmittelbare Teilnahme des Weltepiskopats an seiner höchsten päpstlichen Verantwortung gewünscht und nicht davon geschwiegen, daß eine Reform der Kurie angebracht sei. Ja gerade diese Gegenstände, die letztes Jahr in Sankt Peter aufgenommen, aber nicht endgültig gelöst wurden, sollten nunmehr zu ihrer Reife gelangt sein.

Wir betonen noch einmal: Dies ist der entscheidende Punkt nicht nur der bevorstehenden Sitzungsperiode, sondern des ganzen Konzils. Nach unserer Ansicht muß die Kirche die sie selbst betreffenden Fragen erschöpfend beantworten, ehe sie ihre Stellung im Gespräch mit den getrennten Brüdern und im Dialog mit der modernen Welt zu klären sucht. Von den darauf gegebenen Antworten wird die Nützlichkeit oder Nutzlosigkeit der ökumenischen Bewegung und der täglichen Begegnung mit der modernen Welt zum größten Teil abhängen.

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