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Kein Stillstand in der Ökumene

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Man ist heute nicht mehr sicher, ob man im Blick auf die Einheit der Christen von einem ökumenischen Stillstand reden soll oder von einem weiterführenden Weg. Mehr Einigkeit besteht in der These, daß das Papsttum der römisch-katholischen Kirche nicht nur zu den bleibenden Differenzen zwischen den reformatorischen wie den orthodoxen Kirchen gehört, sondern zugleich zu den Punkten, bei denen noch keine Annäherung der Standpunkte, noch keine Verständigung in Sicht zu sein scheint.

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Man ist heute nicht mehr sicher, ob man im Blick auf die Einheit der Christen von einem ökumenischen Stillstand reden soll oder von einem weiterführenden Weg. Mehr Einigkeit besteht in der These, daß das Papsttum der römisch-katholischen Kirche nicht nur zu den bleibenden Differenzen zwischen den reformatorischen wie den orthodoxen Kirchen gehört, sondern zugleich zu den Punkten, bei denen noch keine Annäherung der Standpunkte, noch keine Verständigung in Sicht zu sein scheint.

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Man weist darauf hin, daß zu den strittigen Fragen, die zwischen den Kirchen theologisch bereits so weit aufgearbeitet wurden, daß sie nicht mehr kirchentrennend sind, das Papsttum gerade nicht gezählt werden kann.

Hier besteht, so sagt man, ein Hindernis, das nach wie vor unüberbrückbar ist. Denn: die römisch-katholische Kirche kann darauf nicht verzichten, ohne sich als römische Kirche aufzugeben; die anderen Kirchen können das Papsttum nicht anerkennen, ohne ihre Vergangenheit, ohne ihren Protest dagegen zu verleugnen.

Die Trennung der Kirche des Westens und des Ostens 1054 entzündete letztlich an dem Konflikt zwischen dem Papst zu Rom und dem Patriarchen von Byzanz. Die beiderseitige Exkommunikation machte den Riß endgültig.

Die Reformatoren, an ihrer Spitze Martin Luther, wollten nicht die Trennung, sondern die Erneuerung der Kirche aus der Kraft und Norm des Evangeliums. Papst und Papsttum wurden gewiß ob ihrer Verweltlichung heftig kritisiert. Aber das war damals nichts Ungewöhnliches. Die Reformatoren wollten die Kirche, in der sie lebten, erneuern und das Papsttum in diese Erneuerung einbeziehen.

Noch 1531 erklärte Luther, er wolle dem Papst die Füße küssen und ihn auf Händen tragen, wenn er die Lehre von der „Rechtfertigung allein aus dem Glauben“ übernehme oder wenigstens gelten lasse.

Dieser Satz Schließt allerdings auch ein, daß Luther Papst und Papsttum nicht mehr anzuerkennen bereit wäre, wenn sie sich diesem Ruf entzögen. Luther glaubte, dies mehr und mehr feststellen zu müssen. So wurde seine Kritik an der Verweltlichung des Papsttums immer mehr zu dessen radikaler Verwerfung.

An der Ablehnung des Papsttums als einer von Jesus Christus gestifteten Struktur der Kirche haben alle Reformatoren festgehalten, wenngleich keineswegs alle sich mit dem polemischen Stil Luthers einverstanden erklärter!.

Die Antwort der alten Kirche blieb nicht aüs: Eben das, was die Reformation so entschieden bekämpfte und ablehnte, wurde nun in besonderer Weise hervorgehoben: als spezifisches Merkmal der katholischen Kirche als römisch-katholische Kirche, wobei „römisch“ der Hinweis auf den Papst in Rom sein sollte.

Das damals aufkommende Wort von der Papstkirche war keineswegs die einseitige Sicht der Nichtkatholiken, sondern die von den Katholiken selbst vorgenommene und bejahte Selbstaussage. Diese Entwicklung fand ihren Höhepunkt im Ersten Vatikanischen Konzil, im Dogma vom Universalprimat des Papstes und von der Unfehlbarkeit der Aussagen, wenn er in Ausübung seiner höchsten Lehrgewalt eine endgültige Entscheidung trifft.

Die Dogmen des Ersten Vatikanum haben die Spannungen zwischen den Kirchen verschärft. Karl Barth sprach einst vom „vatikanischen Frevel“ und Peter Brunner meinte, durch das Erste Vatikanum sei die Tür endgültig ins Schloß gefallen. Er glaubte, dies auch nach dem Zweiten Vatikanum sagen zu dürfen, ja zu müssen, weil dabei die den Papst betreffenden Aussagen des Ersten Vatikanum zum Teil wörtlich wiederholt wurden.

Kann das sich so verstehende Papsttum zu einer ökumenischen Möglichkeit oder gar einer Hilfe werden? Ist es nicht vielmehr der immerwährende Grund dafür, daß es zu keiner Einheit der Kirchen kommt, also ein Hindernis für die Einheit?

Mit den orthodoxen Kirchen des Ostens ist ein großer Fortschritt erfolgt, als im Dezember 1965, noch während des Konzils, die gegenseitigen Exkommunikationen von 1054 feierlich zurückgenommen wurden. Das Symbol der Trennung ist durch das Symbol der Liebe ersetzt worden, das den weiteren Weg der Kirchen bestimmt. Ihr Ausdruck ist die zwischen diesen Kirchen bereits mögliche Abendmahlsgemeinschaft.

Die Frage des Papsttums erscheint ungleich schwieriger, wenn es zum Thema eines Dialogs zwischen der römisch-katholischen Kirche und den Kirchen der Reformation wird.

Aber auch gerade hier ist ein bemerkenswerter Versuch zu erwähnen. Er stammt von der im Augenblick wohl mutigsten und aktivsten ökumenischen Gruppe, die bereits in der Frage um Amt und Abendmahl und der Möglichkeit ihrer Anerkennung wichtige Dokumente vorgelegt hat. Es ist die evangelisch-katholische Dialoggruppe in Amerika, der ungefähr 30 Theologen und Vertreter der Kirchenleitung angehören. Sie haben sich in den letzten Jahren dem Thema Papsttum zugewendet und über den Primat einen Text „Papsttum und Petrusdienst“ verabschiedet.

Es wird darin nicht verschwiegen, daß es über diese Fragen verschiedene Meinungen und Bewertungen zwischen den Teilnehmern gibt. Verschiedenheit müßte jedoch keineswegs schon zur Trennung fuhren. Aber erstaunlich, überraschend und neu ist die in diesem Dokument von evangelischen Theologen zugestandene Möglichkeit, den Primat eines erneuerten Papsttums als höchstes und universales Amt in der Kirche anzuerkennen.

Die Erneuerung soll an den Prinzipien der Vielfalt, der Kollegialität und Subsidiarität orientiert sein. Es sind Prinzipien, die völlig richtig das ■ Papsttum innerhalb der Kirche verstehen und verwirklicht sehen.

Ein höchstes Amt der Einheit könne seine Möglichkeiten nur wahmehmen und seine Aufgabe nur leisten, wenn es sich nicht in einer zentralistischen und isolierten Gestalt zu verwirklichen sucht, wenn es vielmehr jene Dimensionen praktisch zum Zug kommen läßt, die der Gestalt der Kirche gemäß sind: eine Einheit, die in der legitimen Vielfalt nicht ihre Behinderung, sondern ihren lebendigen Ausdruck findet, die den „Ersten“ in der Kirche nur dann in seiner Bedeutung erkennen kann, wenn genannt und anerkannt wird, wofür der Papst der Erste sein soll. Es ist dies die Kollegialität auf den verschiedenen Stufen und Ebenen der Kirche, die alle auf ihre Weise als Volk Gottes Verantwortung tragen.

Das Prinzip der Subsidiarität ist die Folge von legitimer Vielfalt und Kollegialität. Es überläßt den Ostkirchen einen größeren Raum de¥ Freiheit und der Verantwortung. Es entlastet die „Spitze“ und macht die Lebendigkeit sowie den Reichtum des Verschiedenen offenbar.

Werden diese Grundsätze anerkannt und verwirklicht, dann besteht nach Auffassung der evangelischen Mitglieder, die an diesem Dokument mitgearbeitet haben, kein Grund, ein höchstes Amt der Einheit der Kirche abzulehnen. Die Bedeutung und der „Segen“ eines solchen Amtes werden gerade in der heutigen, nach Einheit strebenden Menschheit und innerhalb einer die Einheit erwartenden Christenheit mehr und mehr erkannt und ausdrücklich bejaht.

Die gemeinsame Erklärung schließt mit den Worten: „Wir glauben, daß unser gemeinsames Statement eine Konvėrgenz im theologi schen Verständnis des Papsttums widerspiegelt, daß eine fruchtbare Annäherung in diesen Fragen ermöglicht. Unsere Kirchen sollten diese Gelegenheit nicht versäumen, dem Willen Christi für die Einheit seiner Jünger zu entsprechen. Keine Kirche sollte fortfahren, einen Zustand zu dulden, in dem Mitglieder einer kirchlichen Gemeinschaft die andere als fremd betrachten.“

Im Evangelischen Erwachsenenkatechismus, der im Auftrag der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirchen Deutschlands herausgegeben wurde (1975), wird zu der hier anstehenden Frage gesagt: „Alle Apostel haben nach dem Neuen Testament fundamentale Bedeutung für die Kirche. Petrus ist ihr Repräsentant. Wenn auch das Fundament rur einmal gelegt wird, kann man doch fragen, ob nicht der Dienst eines Repräsentanten und Sprechers der gesamten Christenheit auch später sinnvoll sei… Die nichtrömischen Kirchen haben bisher kein überzeugendes Modell vorgelegt, wie die Einheit der Kirche sichtbare Gestalt gewinnen könnte … Die Stellung der andėrn Kirchehgemeinschaftėn zum Papsttum wird weitgehend davon abhängen, ob es Rom gelingt, däs Papsttum als einen Dienst an der Einheit und als Zeichen der Einheit Überzeugend darzustellen.“

Wie haben sich die Zeiten - zum Guten - geändert, bedenkt man, daß es 1953 einen „Prozeß um den Papst“ gab, wo der evangelische Pfarrer Richard Baumann in einem Lehrzuchtverfahren einer Landeskirche seines Amtes enthoben wurde, weil er die Auffassung vertrat, daß das Amt des Petrus ein bleibendes Amt in der Kirche sei.

1977 hat die Arbeitsgemeinschaft ökumenischer Universitätsinstitute ein Symposium mit mehr als dreißig Fachleuten über das Papsttum als ökumenische Frage abgehalten. Die Referate und Diskussionen liegen seit kurzem als Buch vor (Kaiser-Ver- lag, München; Grünewald-Verlag, Mainz).

Einen Höhepunkt in dieser Entwicklung stellt der jüngste Brief des „Konzils der Jugend“ dar, der von Roger Schütz, dem Prior der ökumenischen Brüdergemeinschaft von Taizė, und einigen seiner Mitarbeiter verfaßt wurde. Leitthema dieses Briefes ist die Spaltung der Christenheit und die Suche nach neuer Einheit. Darin heißt es: „Gemeinsam wollen wir zu neuer Kühnheit finden, um den Riß einer jahrhundertealten Spaltung zu überwinden und zu heilen; wollen wir neue Wege des Miteinanderteilens für die ganze Menschheit bahnen.“

Dann geht der Text auf das Amt des Papstes ein und erklärt: „In den letzten Monaten ist mehr als je zuvor das Dienstamt eines universellen Pastors ins Blickfeld vieler Frauen und Männer geraten, der darauf bedacht ist, den Menschen als solchen und nicht nur den Katholiken zu dienen, vor allem und überall die Rechte der Menschen und nicht nur die der Kirche zu verteidigen.“

Der Brief appelliert an die Nichtkatholiken und an die Katholiken, sich von innen heraus mit diesem Amt auseinanderzusetzen: „Wenn Getaufte anderer Konfessionen, anstatt diesem Amt aus dem Weg zu gehen, es von innen heraus zu verstehen versuchten, wenn sich der Bischof von Rom mit Christen nichtkatholischen Ursprungs umgäbe, die in der Leidenschaft für die Einheit des Leibes Christi leben, wird sich ein Weg zur Versöhnung auftun, dessen Konsequenz eine Verwandlung seines Amtes ist.

Das ökumenische Hirtenamt des Bischofs von Rom, des Dieners der Diener Gottes, wird der Gemeinschaft unter den Kirchen neuen Auftrieb geben und die Gemeinden am Ort ermutigen, sich der universellen Dimension des Volkes Gottes zu öffnen. „Versöhnung“, betont das Schreiben, „bedeutet nicht den Sieg der einen und die Demütigung der anderen, sondern den Sieg der Wahrheit und der Liebe, an dem alle Anteil haben.“

Das Schreiben stellt am Schluß die Christenheit vor folgende Alternative: Entweder bleibt das Volk Gottes „im Zustand der Zerstückelung“ oder die Christen „finden mit einem universellen Pastor zu einer sichtbaren Gemeinschaft und dehnen ihre Solidarität auf alle Menschen aus“. Dann ist „der Frühling da, die Kirche wird zu dem, was sie ist, Ursprung einer neuen Menschheit, endlich versöhnt“.

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