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Hoffen auf den Aufbruch

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Es geht ein Aufatmen durch die Bundesrepublik. Die Papstreise ist beendet. Es gab zwar viel Regen und Wind, dennoch ist die Reise gelungen. Die Katholiken können zufrieden sein. Sie haben sich in einem selten so geschlossenen und auffälligen Maße darstellen können. (Eine allgemeine Bilanz der Papstreise unseres Romkorrespondenten Hansjakob Stehle, der den Papst auf seiner gesamten Deutschlandreise begleitete, finden Sie auf Seite 10.)

Wenn man an die Tage vor dem Papstbesuch zurückdenkt, dann gab es in der Öffentlichkeit nicht nur eine Diskussion über den Sinn dieser Reise, über die zu hohen Kosten, die anderswo besser angelegt werden könnten, es gab auch eine Kontroverse zwischen Katholiken und Evangelischen, als würden wir uns im Mittelalter befinden, da sich die konfessionellen Gegner nicht nur die Köpfe heiß geredet, sondern auch die Köpfe blutig geschlagen haben.

Die „Kleine deutsche Kirchengeschichte" des Remigius Bäumer, zum Papstbesuch redigiert und vorgelegt, hatte Martin Luther und die Reformation in so einseitiger und verkürzter Weise dargestellt, daß alle Animositäten der Evangelischen wach werden mußten, da sie sich hier wieder verketzert vorgekommen sahen.

Plötzlich schien der längst überwundene Konfessionsstreit zum Mittelpunkt der sonst fast apathischen Bundesrepublik zu eskalieren. Der politische, Rattenschwanz, der folgen hätte können, mußte Furcht einjagen.

Und so war es denn sogar der Bundespräsident, der auf dem Empfang des Papstes aufschloß Brühl von den Sorgen um den Frieden zwischen den Kirchen und Konfessionen sprach und der nach fünf Tagen beim Abschied auf dem Münchner Flughafen dem Papst erleichtert und von Herzen danken konnte, daß der Konfessionsfriede gerettet war.

Das ist er in der Tat. Ob sich der Papst von Anfang an bewußt gewesen ist, daß er mit seinem Deutschlandbesuch auch in das Mutterland der Reformation kommen würde, mag dahingestellt sein.

Spätestens seit dem Streit um das Bäumer-Büchlein mußten er und seine Berater erkennen, daß hier ein weit heiklerer Boden betreten werden würde, als dies in Südamerika und Afrika, in Irland und Polen der Fall gewesen ist.

Der Papst hat diesen Balanceakt mit meisterlicher Souveränität bewältigt. Schon bei seiner Ankunft in Bonn hat er sich ökumenisch gegeben. Und er hat immer wieder die Gemeinsamkeit der Christen hervorgehoben, die brüderlich zusammenhalten müßten. Und er hat den Evangelischen seinen Respekt erwiesen, nicht nur daß er ihre Leistung bei der Versöhnung mit dem polnischen Volk lobend anerkannte, sondern auch dadurch, daß ihm die Worte Martin Luthers und der Reformation wie selbstverständlich von den Lippen kamen. Hier gab es keine Verklemmungen mehr.

Er sprach nicht nur von einer Vergangenheit, da alle sündig gewesen sind, also auch die katholische Kirche, er zitierte auch in seiner Antwort an die Delegation der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) aus Martin Luthers Römerbriefvorlesung von 1515, die für den Reformator schon von grundsätzlicher Bedeutung war.

Nimmt man dann noch hinzu, daß der Papst in seiner Begegnung mit den evangelischen Vertretern in Mainz alle triumphalen Attitüden ablegte und sich mit ihnen, darunter auch einer Frau, an einem Tisch niederließ, so bleibt nur noch jene Schlußakte auf dem Münchener Flughafen übrig, da der Papst verheißungsvoll versprach, daß er sich ganz in den Strom der Ökumene hineinstelle, um voller Hoffnung für einen neuen Aufbruch der beiden Konfessionen zu sein.

Doch wer genauer hinsieht und analysiert, der muß feststellen, daß sich mit dem Papstbesuch im Grundsätzlichen von Theologie und Dogma nichts geändert hat. Es bleibt der Unterschied und

Gegensatz wie seit den Tagen der Reformation.

Wenn der Papst in Mainz den Römertext von Luther zitiert hat, wonach man an Christus glauben müsse und an das, was sein ist, dann meinte der Papst nicht nur die Kirche und ihre Sendung, die Botschaft und die Sakramente, sondern auch die Ämter.

In der Tat, zu dieser Zeit trat Luther noch für das kirchliche Lehramt ein, erst zwei Jahre später verwarf er den Primat des Papstes zugunsten des Primates der Bibel. Die evangelische Unmittelbarkeit zu Gott steht im Widerspruch zu dem katholischen Weg, der über die Kirche, über das Lehramt zu Gott führt.

Niemand, der klaren Sinnes ist, kann und konnte erwartet haben, daß Papst Johannes Paul II. diese jahrhundertealte Lehre der katholischen Kirche im Vorbeigehen aufgibt. Und es ist nicht nur eine Frage, ob Ökumene die totale Einheit der Kirche bedeuten müsse oder ob nicht doch die verschiedenen Konfessionen eine geistliche Bereicherung darstellen.

Doch elementarer und existentieller für die Menschen, denen ja alle Kirchen dienen wollen, sind nicht diese theologischen Komplexe, sondern die Alltagsnöte in den Mischehen, die Hindernisse in den ökumenischen Gottesdiensten und in den Eucharistiefeiern.

Ein Drittel der Ehen in der Bundesrepublik sind konfessionell verschieden. Christliches Sein besteht nicht in erster Linie in Geboten und Verboten, sondern in der Liebe, die dem Sünder verzeiht und in Gnaden aufnimmt. Hier muß über den Schatten gesprungen werden.

Denn die Kirchen, auch die katholische, schaden sich anders selber. Wir leben in einer Welt, da die christliche und transzendente Vorstellung unser Bewußtsein nur in Maßen tangiert. Werden die Menschen nicht angenommen, werden sie nicht nur trotzig und gleichgültig, sondern vermehren das große Heer der Gottlosen und Hilflosen. Die Mischehenregelung ist eine Missionsaufgabe der Kirchen.

Ob die mit dem Papst vereinbarte neue Kommission der Kirchen Erfolge erzielen wird, hängt von der Einsicht ab, wie ernst der Papst auf seine ökumenischen Anstöße Wert legt. Wir können mit den verschiedenen Konfessionen leben. Lassen wir es dabei. Doch in der Liebe zu den leidenden Menschen darf keine Anstrengung groß genug sein. HEINRICH STUBBE

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