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Ende gut, alles gut?

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Von einer Krise der Beziehungen zwischen dem Vatikan und dem westdeutschen Episkopat scheint nach der jüngsten Begegnung in Rom keine Rede mehr zu sein.

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Von einer Krise der Beziehungen zwischen dem Vatikan und dem westdeutschen Episkopat scheint nach der jüngsten Begegnung in Rom keine Rede mehr zu sein.

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Für zwei Tage, 13. und 14. November, begaben sich die westdeutschen Diözesanbischöfe zusammen mit Vertretern der Kurie und Johannes Paul II. in Klausur, um einander zu informieren und über die Situation der Kirche in Deutschland zu beraten. Am Ende des für die Kirche in der Bundesrepublik Deutschland turbulenten Jahres 1989 - man denke nur an die sogenannte Kölner Erklärimg von

163 Theologieprofessoren und den seit Monaten geführten Streit um die Morallehre der Kirche - ging es um viele aktuelle Fragen, aber auch um Grundsätzliches. Das Treffen der Bischöfe mit dem Papst stand unter der Überschrift: „Begegnung über die Weitergabe des Glaubens an die kommende Generation und die Dienste der kirchlichen Glaubensvermittlung. “

Die Bischöfe, so betonte es der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Mainzer Bischof Karl Lehmann, hatten das Treffen weder strategisch noch taktisch vorbereitet. Mit bewußt kurz gehaltenen Statements hatten sie lediglich ihre vatikanischen Gesprächspartner über die Kirche in ihrem Land informiert. Karl Lehmann selber hatte zu Beginn schonungslos analysiert, die Sorgen der Bischöfe beim Namen genannt. Das Vordringen eines säkularen Weltbildes habe Religion und Glaube erheblich geschwächt. Die „religiöse Sinngebung hat für immer mehr Lebensbereiche an Bedeutung verloren“, sagte er.

Bisweilen könne man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß zwar alles ganz gut funktioniere in der reichen Kirche in Deutschland. Doch die Kirche stünde vor einer schweren Herausforderung in einer Gesellschaft, die das Christentum längst zu kennen scheint, sich aber im Alltagsleben weit von jenen Fundamenten entfernt habe, auf denen die Kultur dieser Zivilisation gebaut wurde.

Kirche in Deutschland - eine geschäftige und wohlorganisierte Einrichtung? Viel Aktivität, wenig Effektivität - ist das die kürzeste Beschreibung der Kirche in Westdeutschland? Nicht nur der Kölner Kardinal Joachim Meisner, dessen Stimme offensichtlich im Vatikan ein besonderes Gewicht hat, wünscht sich, daß aus einer Colle-gialitas affectiva immer mehr eine Collegialitas effectiva zwischen Ortskirchen und der Weltkirche werden möge.

So fragte der “deutsche Kurienkardinal Joseph Ratzinger, Präf ekt der Glaubenskongregation, ob beispielsweise die sprunghafte Vermehrung der theologischen Lehrstühle in der Bundesrepublik und die wachsende Zahl der Theologiestudenten begleitet seien von einer notwendigen Spiritualität. Ratzinger, der als anerkannter Theologieprofessor und ehemaliger Münchener Erzbischof die Kirche in Deutschland bestens kennt, glaubt einen „Trend zur Entkirchlichung der Theologie beziehungsweise zum Verständnis der Theologie als Machtfaktor in der Kirche gegen die Kirche“ beobachten zu können.

Johannes Paul IL, der bei allen Gesprächen und Diskussionen anwesend war, erwies sich bei diesem Treffen wieder einmal als ein aufmerksamer Zuhörer. Ihm lag nichts ferner, als die deutschen

Bischöfe zu maßregeln. Die Atmosphäre, in der der Gedankenaustausch praktiziert wurde, straft alle Behauptungen Lügen, der Papst habe - wie es manche bundesdeutschen Medien gerne verkünden -die Deutschen „gedeckelt“.

Wie konkret in der Sala Bologna gesprochen wurde, verrät die Schlußansprache des Papstes. Sie ist, wie es Bischof Lehmann formulierte, „das am meisten zum Nachdenken herausfordernde Dokument“ dieses Treffens. Der Papst nannte Stärken und Schwächen der Kirche in Deutschland. Zu den Stärken zählt er die hohe Spendenfreudigkeit der deutschen Katholiken, eine bis heute nicht nachlassende Verantwortung für die armen

Menschen in der Welt. Die Solidarität der deutschen Katholiken mit den Armen ist ungebrochen und beispielhaft, sie konnte - so der Papst - auch nicht durch den „Konsumismus der Wohlstandsgesellschaft“ gemindert werden.

Zu den Vorzeigeseiten der Kirche in Deutschland gehöre auch der hohe Organisationsstand in den Räten und Verbänden sowie das intellektuelle Gewicht, „das sich der deutsche Katholizismus vor allem durch die Präsenz Theologischer Fakultäten und Lehrstühle in der gesamten akademischen Landschaft Deutschlands sichern konnte“. Aber es gibt auch Schattenseiten. Der Papst nannte sie beim Namen. Er verwies auf die spirituelle Dynamik, die zu Beginn des Jahrhunderts von den deutschen Katholiken ausging und eine ganze Weltkirche in Bewegung setzte: zum Beispiel durch die Liturgische Bewegung und die Jugendbewegung.

Die Bischöfe schienen besonders aufmerksam zuzuhören, als Johannes Paul II. den Finger in manche Wunden legte: „Was zum Beispiel einmal eine inspirierende Jugendbewegung gewesen ist, droht zu einer selbstgenügsamen Institution zu werden, die weniger aus der Begeisterung lebendigen Aufbruchs von unten lebt, sondern auf finanziell gut ausgestatteten Strukturen beruht, hinter denen sich wenig wirklich fruchtbares Leben verbirgt.“

Der Bischof von Rom formulierte aber nicht nur die Krise einiger katholischer Jugendverbände, als er sagte, der Mut zu Klärungen und vielleicht auch zum Verzicht auf manche Einrichtung sei jetzt notwendig. Und als wollte er Zauderer aus ihrer Ängstlichkeit herauslok-ken, ermunterte Johannes Paul II. die deutschen Bischöfe, „wieder risikofreudiger und kritischer zu werden, kritischer dem scheinbar Gesicherten' und Unerläßlichen, risikofreudiger dem Möglichen gegenüber.“

Die deutschen Bischöfe beantworteten die brüderliche Predigt des Papstes mit Beifall. Viel Nachdenkliches nahmen sie mit nach Deutschland. Manche Fragen des Papstes werden vermutlich ihre Wirkkraft erst in den nächsten

Monaten zu erkennen geben. „Entspricht“, so wollte der Pontifex wissen, dem großen • Einsatz der Kirche in Deutschland eigentlich „auch wirklich eine angemessene innere Vertrautheit mit dem Glauben und ein möglichst breiter Zugang zu ihm? Was geschieht zum Beispiel im schulischen Religionsunterricht, in der Erwachsenenbildung wirklich?“

Eigentlich geschah hinter den Mauern des Vatikans Mitte November etwas ganz Normales für den Fall, daß es Funkstörungen zwischen Menschen gibt. Und die gibt es natürlich auch immer wieder in der von Menschen belebten Kirche. Daß man einfach ungezwungen mit dem Petrusnachfolger bereden konnte, was Sorgen bereitet, war für die deutschen Bischöfe schon eine Quelle der Stärkung. Ohnehin hatten manche Bischöfe in den letzten Jahren den Eindruck gewonnen, daß schriftliche Darlegungen bisweilen mißverstanden werden.

Sie wollten selber mit dem Papst zusammen eine Bestandsaufnahme leisten - und zwar, wie es Bischof Lehmann nicht ohne Hintergründigkeit formulierte, „unabhängig von gelegentlich tendenziösen Berichten und Verzerrungen anderer“. Mit deutschem Selbstbewußtsein fügte Lehman gegenüber dem Papst hinzu: „Wenn wir so gehört werden, lassen wir uns auch gerne etwas sagen.“

Im Vatikan sieht man jetzt gewiß das Bild der Kirche in Deutschland differenzierter. Umgekehrt schaffte die Begegnung neue Kenntnisse bei deutschen Bischöfen über die Zentrale der Weltkirche, in der eben nicht nur die Nabelschau der deutschen Katholiken (und das sind nicht mehr als drei Prozent aller Katholiken) berücksichtigt werden kann.

Viel wäre erreicht, wenn die Atmosphäre des Vertrauens, die in Rom bestimmend war, wieder überall in der Kirche zu einer selbstverständlichen Tugend würde. Das hängt in Deutschland nicht zuletzt davon ab, ob es den Bischöfen gelingt, ihre römischen Erfahrungen weiterzugeben - und ob man ihnen glaubt, daß Johannes Paul II. alles andere ist als ein Seelendiktator.

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