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Die Kluft zu Rom ist groß

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Mehr als fast alle seine vorangegangenen Reisen war der Besuch Johannes Pauls II. in den Benelux-ländern von den Symptomen einer innerkirchlichen Krise überschattet.

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Mehr als fast alle seine vorangegangenen Reisen war der Besuch Johannes Pauls II. in den Benelux-ländern von den Symptomen einer innerkirchlichen Krise überschattet.

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Die innerkirchliche Krise, die der Papst durch seinen persönlichen pastoralen Einsatz auch auf seiner jüngsten Reise zu überwinden versuchte, ist nicht zuletzt auch eine Frucht jener „schönen und zugleich schrecklichen Geschichte Europas”, von der der Papst zur Europäischen Gemeinschaft am Montag in Brüssel sprach: „Aus den Erfahrungen der eigenen Vergangenheit kann das Christentum die Welt lehren, daß Differenzen überbrückbar sind”.

Dies ließ sich freilich in der Hauptstadt Belgiens, die den Papst freundlich, ja zuweilen begeistert, wenn auch nicht unkritisch, empfing, leichter sagen als in den Niederlanden, wo der Gast aus Rom fast lästig empfunden wurde und die Kluft zwischen Amtskirche und Gläubigen nicht zu schließen vermochte.

Dabei war der Pontifex diesem Holland, in dem ein Drittel der Katholiken meinen, er wäre besser zu Hause geblieben, von der ersten Stunde an keineswegs — wie viele erwarteten — als römischer Diktator entgegengetreten. „Ich will mein Bestes tun, um das

Leben eures Landes besser zu begreifen”, hatte er schon bei der Ankunft beteuert und nicht nur wie sonst den Boden des Landes, sondern auch ein Evangelienbuch geküßt, gleichsam als Reverenz vor höherer Autorität.

Dennoch trat jenes sensationelle Ereignis ein, das diesen Besuch in den Niederlanden von allen bisherigen 25 Reisen Johannes Pauls II. unterschied: die massenhafte Gleichgültigkeit, die weitgehende Abwesenheit der immerhin fünfeinhalb Millionen Katholiken der Niederlande, allenfalls noch übertroffen von der Indifferenz der Moslembevölkerung beim Papstbesuch 1979 in der Türkei.

Es war nicht gerade ein Spießrutenlaufen, aber auch nicht ein beschaulicher Kirchgang: Ein paar hundert biedere, brav gekleidete holländische Bürger zwängten sich mühsam durch ein Spalier feixender Hippies, Punks und Transvestiten, vorbei an ironischen Spruchbändern wie „Glaubt ihr an den Papstrummel?” oder „Auch Homos haben Eltern!”. Schließlich gelangten sie in jenen Utrechter Ausstellungspalast, in dem Johannes Paul II. seinen niederländischen Sonntag verbrachte: ohne Massen-Messen, Freialtäre und Jubelchöre.

Sogar der katholische Regierungschef Rudolphus Lubbers hatte den Papst mit mehr direkter als herzerfrischender Höflichkeit begrüßt: Er wolle seiner Heiligkeit „nicht verheimlichen, daß das Wort Rom bei vielen von uns hierzulande eine reservierte Haltung, ja manchmal sogar Mißtrauen wachruft”.

Die Polarisierung im niederländischen Katholizismus, die vor 15 Jahren nach der Ernennung des konservativen Primas Adrianus Simonis durch Paul VI. begann, ist so weit fortgeschritten, daß sich Lubbers nicht scheute, Auge in Auge mit dem Papst, die früheren Episkopatsvorsitzenden, deren Antifaschismus, Modernität und Toleranz er rühmte, dem heutigen Kardinalprimas Simonis gegenüberzustellen, dem er nur kühl bescheinigte, „mit seiner Einfalt, Frömmigkeit und Gebetsmahnung auf seine Weise” die Gläubigen anzusprechen.

Eine mutige Frau

Als Versuch eines Dialoges waren Begegnungen des Papstes mit einigen hundert Vertretern verschiedener kirchlicher und gesellschaftlicher Organisationen gedacht; die Unmöglichkeit, den Gast aus dem Vatikan mit dem1 tatsächlichen Leben zu konfrontieren, sollte dabei durch gesiebte Meinungsäußerungen, ja sogar durch einen Lichtbildvortrag ausgeglichen werden.

Und da geschah es, daß, ähnlich wie beim Papstbesuch in München, eine mutige Frau das ausgetüftelte Konzept durchbrach. Hedwig van Leijen-Wasser, Vorsitzende des Missionsrates von Groningen, wandte sich mit einem „persönlichen” Zusatz an den Papst: Ob denn die Botschaft des Evangeliums glaubwürdig bleibe, „wenn denen, die eine nichteheliche Lebensgemeinschaft führen, den Geschiedenen, den Homosexuellen, den verheirateten Priestern und den Frauen nicht Raum geboten, sondern der Ausschluß verkündet wird? Wenn mit erhobenem Zeigefinger statt mit der ausgestreckten Hand gepredigt wird?”

Wortlos, ohne eine Reaktion zu zeigen, reichte ihr der Papst die Hand. Hat er sie überhaupt verstehen können? Auch auf Fragen, die vorher bekanntgemacht waren, vermied er freilich eine Antwort und berief sich auf „technische Inkompetenz”, aber auch Sprachschwierigkeiten.

Bei der ökumenischen Begegnung wurde die Bitte ausgesprochen, die Annäherung der Konfessionen in Fragen der Mischehe, der Abendmahlsgemeinschaft und der Frau in der Kirche nicht weiter abzubremsen. Auch unter Brüdern ließ da der Pontifex nicht mit sich reden. Er befürchtet, wie er sagte, einen „Verschleiß der Glaubensüberzeugung” und bezweifelt, daß die Unterschiede überwunden würden, „wenn wir sie nicht mehr ernst nähmen”.

Eben dazu neigt jedoch eine Mehrheit der Katholiken Hollands. Auf ihre Weise nehmen sie den Papst ernst. Und manche seiner Worte, in den Wind gesprochen, wurden so zu einer Saat, aus der ,die Kirche von Rom noch manchen Sturm ernten kann.

Dann in Luxemburg und mehr noch während der fünf Tage in Belgien waren die begeisterten Massen wieder zu sehen, die der Papst in den Niederlanden vermissen hatte müssen. Oder hatte er sie gar nicht vermißt? Wer ihn seit Jahren auf seinen Reisen beobachtet, kommt zu dem Schluß, daß er sich weder durch Kritik beirren, noch durch Beifall zu Illusionen verleiten läßt. Schon deshalb, weil all sein Tun von einer Grundüberzeugung ausgeht, die er in Lüttich in das Bedauern darüber kleidete, daß „diese Welt leider nicht mehr wie eine richtig christliche denkt”.

Deshalb auch sprach er vor den 32 Bischöfen Belgiens aus, was er in Holland nur vorsichtig angedeutet hatte und was nun fast schon wie eine Direktive für die römische Sondersynode am Ende des Jahres klang: Die Konzilserneuerung sei „falsch angepackt, schlecht verstanden und falsch angewendet” worden; so sei in der Kirche aus Nostalgie oder aus Ungeduld eine Unzufriedenheit entstanden.

Johannes Paul II. glaubt, diese Krise, deren tiefste Ursache für ihn im Säkularismus westlicher wie östlicher Machart liegt, durch „Wiederherstellung des christlichen Gewebes der Gesellschaft” überwinden zu können. Ein inte-gralistisches Konzept? Jedenfalls eines, das leichter gepredigt als verwirklicht wird.

Und die Erfahrungen dieser Papstreise zeigen, daß „christliches Gewebe” gerade dadurch, daß man es enger oder gar allzu eng zu knüpfen versucht, erst recht Zerreißproben ausgesetzt wird. Auch wenn dies Bischöfe und ihre Gläubigen nicht überall so verkrampft wie in Holland und so gelassen wie in Belgien hinnehmen.

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