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Eine Kirche mit anderem Gesicht

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„Österreich drohen hollän- dische Zustände" wird oft im Zusammenhang mit der zunehmenden Polarisierung in der katholischen Kirche gemunkelt. Nun - wie sind „holländische Zustände"?

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„Österreich drohen hollän- dische Zustände" wird oft im Zusammenhang mit der zunehmenden Polarisierung in der katholischen Kirche gemunkelt. Nun - wie sind „holländische Zustände"?

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„Nein, als Schisma würde ich es nicht bezeichnen. Aber wenn je- mand sich abzutrennen versucht, dann sind es die Bischöfe. Die soll- ten endlich mal verstehen, daß sie auf die Gläubigen hören sollen und nicht umgekehrt." Entschlossene Worte aus dem Munde einer nicht mehr ganz jungen Nonne. Schwe- ster Theresa ist aber zuversicht- lich. Am 12. Mai war sie eine der i 1.000 Anwesenden bei der sech- sten Manifestation der „8. Mai- Bewegung" in Zwolle.

Eigentlich war die 8. Mai-Bewe- gung die einzige Frucht des Papst- besuches in den Niederlanden 1985. Der Heilige Vater wollte treue Katholiken sehen, keine Reformer. Um, wie sie sagten, das andere Gesicht der Kirche zu zeigen, orga- nisierten die ungeladenen Gruppen am 8. Mai auf dem Haager Malie- veld ihre eigene Veranstaltung, die mit 10.000 Besuchern beachtlich mehr Leute anzog als die Auftritte des Papstes.

Heutzutage zählt die 8. Mai- Bewegung um die hundert Mitglied- organisationen: feministische Theo- loginnen, homosexuelle Priester, Friedensgruppen und ganz norma- le Laienorganisationen. Obwohl Statistiken fehlen, ist es sehr wahr- scheinlich, daß die Mehrheit der kirchlich aktiven Katholiken mit der Bewegung sympathisiert.

Vorsitzende ist die Utrechterin Wies Stael-Merkx: „Ich nehme an, man hat mich ausgesucht, weil man gerne eine Frau und einen Laien haben möchte." Stael-Merkx ist eine gute Rednerin, macht aber einen warmen, eher mütterlichen Eindruck; sie ist keine Barrikaden- feministin und schon gar keine Kirchenpatriarchin. Sie betrachtet sich auch keineswegs als Gegen- spielerin des Utrechter Erzbischofs Adrianus Johannes Simonis. Ihr Verhältnis zu Simonis, der in ihrer unmittelbaren Nähe wohnt, be- schreibt sie als „sehr kühl": „Ich habe ihn mehrmals auf ein Glas Wein eingeladen, aber er ist nie gekommen."

Eine starke Beschäftigung mit der kirchlichen Hierarchie scheint Stael-Merkx übrigens zwecklos: „Bei unseren ersten zwei Veran- staltungen hat die Auseinanderset- zung mit den Bischöfen noch eine Rolle gespielt, aber in diesem Jahr ist sie kaum ein Thema gewesen." Für sie ist es klar, daß die künftige Kirchenordnung nur eine demokra- tische sein kann: „Die Leute sind selbstbewußt und mündig gewor- den. Sie sind nicht mehr dorthin zurückzukriegen, wo die Bischöfe sie haben möchten."

Neu ist die demokratische Bewe- gung innerhalb der niederländi- schen katholischen Kirche nicht, obwohl Neuheit hier ein sehr rela- tiver Begriff ist. „Die Quellen des radikalen und aufständischen ka- tholischen Denkens lagen bis jetzt in der französischen Arbeiterseel- sorge oder in den deutschen theolo- gischen Fakultäten. In letzter Zeit sind jedoch die bequemen und ein- fachen Holländer der Springbrun- nen voller Ideen", konnte die ame- rikanische Zeitschrift „Time" 1964 schreiben.

Bis Ende der fünfziger Jahre zählte der katholische Teil Hollands mit Irland und Polen zu den treue- sten Söhnen Roms. Ein Durch- schnittskatholik hatte drei bis fünf Taufnamen, ging wöchentlich - wenn nicht täglich - in die Kirche, wählte katholisch, las katholisch und hörte katholisches Radio. „Wenn ein halbes Dutzend Katho- liken zusammenkam, und sei es um Bingo zu spielen, bekamen sie vom Bischof einen Priester als geistigen Berater zugewiesen", schrieb der Kirchenhistoriker Rogier.

In den sechziger Jahren erfolgte aber die Wende. Das Zweite Vati- kanum bekam seine radikalere holländische Fortsetzung im Pasto- ralkonzil von Noordwijkerhout, wo Priester, Theologen und Laien über die Zukunft der Kirche diskutier- ten. Unter anderem wurde mit überwältigender Mehrheit die Abschaffung des Zölibates befür- wortet.

Trotz der demokratischen Ten- denz von .Noordwijkerhout' spielte die Hierarchie, vor allem Erzbischof Alfrink von Utrecht und Bischof Bekkers von Den Bosch, eine füh- rende Rolle beim ganzen Reform- prozeß. 1969 erklärten 84 Prozent der Katholiken, großes Vertrauen in die Führungsqualitäten der Bischöfe zu haben. 1980 hat sich die Lage grundsätzlich geändert. 52 Prozent geben an, sich mit kei- nem der Bischöfe verbunden zu fühlen.

Die Spitze der Kirche war da- mals schon entscheidend verändert. Anfang der siebziger Jahre versuch- te Papst Paul VI. die reformfreudi- gen holländischen Katholiken zu zähmen, indem er gegen den Willen der Diözesen zwei stockkonserva- tive Bischöfe ernannte: der Haager Kaplan Simonis bekam Rotterdam unter sich und Joannes Baptist Gijsen erhielt die Roermonder Diözese. Papst Johannes Paul II. setzte die Personalpolitik seines Vorgängers fort. Einzige Ausnah- me in der Reihe war die Ernennung des gemäßigt progressiven Kurien- kardinals Johannes Willebrands zum Erzbischof von Utrecht. 1984 wurde Willebrands jedoch sehr gegen seinen Willen von Ad Simo- nis abgelöst.

Leicht haben es die Gläubigen dem neuen Kirchenfürsten nicht gemacht. Simonis scheint dem Kontakt mit ihnen auch so oft wie möglich aus dem Wege zu gehen. Als der Erzbischof in der Sint-Jan- de-doperkerk in Utrecht eine Mes- se zelebriert, läßt sich sein Pessi- mismus über den Rückgang des Kirchenbesuches kaum von christ- lichem Optimismus verdecken. Der Anlaß ist vielsagend: die Sint-Jan- de^doperkerk muß abgerissen wer- den und ist darin schon die zwölfte katholische Kirche in Utrecht seit 1980. Im einst so christlichen Hol- land betrachten 45 Prozent der Einwohner sich als konfessionslos; der Rest verteilt sich in etwa glei- chen Teilen auf Katholiken und Protestanten.

Gänzlich negativ sieht Simonis es trotzdem nicht: „Es ist eine Sache von Ebbe und Flut... Faktisch spricht Jesus ja auch über eine klei- ne Herde, die übrigbleibt und die den Sauerteig für die Zukunft bil- det. " Für Simonis ist Qualität wich- tiger als Quantität: „Mit einem biblischen Wort: Wenn sie nicht folgen wollen, schüttele dann den Staub von deinen Füssen und gehe anderswohin."

Über die 8. Mai-Bewegung will er nicht viel sagen: „Es gibt zwar gute Elemente, aber vor allem die Füh- rung arbeitet zu sehr von einem ideologischen Hintergrund aus." Keine innerkirchliche Demokratie für Simonis: „Die Kirche kann kei- ne Demokratie sein. Jesus hat auch nicht seine Jünger gefragt: ,Was haltet ihr davon? Er sprach das Wort Gottes." Auch von einer Auf- hebung des Zölibates - zum Bei- spiel wegen des akuten Priester- mangels - will er nichts wissen: „Wir müssen wieder den Mut auf- bringen, das Charisma des Zöliba- tes zu erbeten."

Gerade im Priestermangel sieht der Dominikaner Jan van Hooy- donk, einer der Pressesprecher der 8. Mai-Bewegung, eine Möglichkeit, das Machtsmonopol der .Kirche von oben' zu brechen: „In einem gewis- sen Moment wird man für eine Gemeinde keinen Priester mehr finden können. Ich könnte mir vor- stellen, daß die Gläubigen sich dann selber jemanden, männlich oder weiblich, verheiratet oder unver- heiratet, suchen werden."

Für van Hooydonk gibt es auch keinen Zweifel, daß Leute wie Wies Stael-Merkx oder der Nimwegener Theologe Edward Schillebeekx bei den holländischen Katholiken über mehr Autorität verfügen als Simo- nis. Möglicherweise sorgt Pfarrer van Adrichem von der ökumeni- schen Gemeinde Helmer^oek schon für einen Durchbruch. Anläßlich der 8. Mai-Manifestation kündigte er an, trotz eines bischöflichen Verbotes weiterzumachen.

Eine Diskussion über Helmerhoek war einer der vielen Programm- punkte der jüngsten Manifestation der 8. Mai-Bewegung. Der Bischof von Iiigan auf den Philippinen, Fernando R. Capalla, und der so- zialdemokratische Minister für Entwicklungshilfe, Jan Pronk, sprachen über die Verschuldung der Dritten Welt. Einen Höhepunkt bildete ein Vortrag der deutschen Theologin Dorothee Solle, die auf zuweilen witzige bis bissige Weise das mangelnde politische Engage- ment der Christen kritisierte. „ Ohne Gott sterben wir zwischen unseren Banken und Bunkern." In einem Zelt stellten homosexuelle Theolo- giestudenten mittels eines sehr di- rekten Kabaretts die gängigen he- terosexuellen Normen in Frage.

Trotz des ernsten Themas - die Ungleichheit in der Welt - und des schlechten Wetters ist die Atmo- sphäre in Zwolle fröhlich und posi- tiv und erinnert an eine Friedens- demonstration oder ein Lagerfeu- er. „Wenn dies die Katholiken sind, dürfte die Ökumene kein Problem sein", sagt ein Evangelischer Theo- logiestudent. „Ein bißchen links, aber trotzdem angenehm", meint eine ältere Dame.

Ein Pfarrer aus Sittard hat den Rat seines Bischofs Gijsen mißach- tet und ist nach Zwolle gekommen: „Keiner darf seinen Glauben und Verstand an andere delegieren. Gijsen ist ja selber einer der Grün- de, warum die 8. Mai-Bewegung entstehen mußte."

Auffällig ist nur das hohe Durch- schnittsalter der Teilnehmer, eine Tatsache, die auch Wies Stael- Merkx nicht entgeht. „Viele junge Leute wollen das gleiche wie wir, nur nicht im kirchlichen Rahmen. Meine Generation hängt noch mehr an der Kirche und will sie von innen aus reformieren."

Gefragt nach der Situation in Österreich, verspürt sie einen Men- talitätsunterschied: „Ich habe den Eindruck, daß die Leute in Deutsch- land und Österreich etwas unter- würfiger sind und der Hierarchie mehr Bedeutung zumessen. Wenn etwas im Rahmen des Glaubens passiert, muß sofort ein Bischof herbei. Wir Holländer fragen uns da eher, wozu das gut sein soll."

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