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Vatikan und Vietnam

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Was man bisher nicht laut sagen durfte, wollte man nicht in den Geruch eines verkappten Kommunisten oder Brunnenvergifters in demokratischen Landen kommen, hat der amerikanische Außenminister Rusfc vor Monatsfrist den Journalisten eingestanden: daß es im Krieg gegen Hanoi und den Vietkong nicht „um die Freiheit des südvietnamesischen Volkes“ geht, sondern um interkontinentale Machtpolitik, um ein Vorpostengefecht gegen China. Vom strategischen Standpunkt aus, meinte Rusk, sei es wenig ermunternd, „den asiatischen Kommunismus durch Südostasien und Indonesien vormarschieren zu sehen, so daß hunderte Millionen Menschen unter den ständigen Druck Pekings gelangen“.

Ob es für das vietnamesische Volk ermunternd ist, daß dieser Kampf um die Vormacht in den asiatischen Randzonen des Pazifischen Ozeans seit 25 Jahren auf seinem Rücken ausgetragen wird, steht freilich auf einem anderen Blatt.

Auf diesem anderen Blatt stehen dem Ziel der Aufrechterhaltung des amerikanischen Einflusses und damit eines — für die unterentwickelten Völker Asiens vorerst recht problematischen — Raumes der individuellen und politischen Freiheit unsägliche Leiden geschundener Menschen, unwägbare Opfer an Blut und Leben, unvorstellbare Not und Verzweiflung gegenüber. Schon Pius XII. forderte als Kriterium eines „gerechten“ Krieges, daß die Opfer nicht in krassem Mißverhältnis zu den Zielen der Verteidigung menschlicher Werte stehen. Dieses Mißverhältnis ist in Vietnam seit Jahren eingetreten. Sehr richtig — und sehr mutig — schrieb eine katholische Zeitung der USA, die Eskalation des Krieges, vor allem des Bombenkrieges, habe der Zivilbevölkerung Vietnams bisher schon ungleich mehr Opfer abverlangt, als sie der grausamste überhaupt denkbare kommunistische Terror je hätte kosten können. Damit soll nicht der Preisgabe Südvietnams — und vielleicht ganz Südostasiens — an den Kommunismus, wohl aber dem Einsatz wirklich aller, auch der außergewöhnlichsten und dramatischesten Mittel zur Schaffung der Voraussetzungen für einen beiderseits akzeptablen Frieden das Wort geredet werden.

In diesem Zusammenhang erhebt sich die Frage, ob die katholische Kirche, deren Auftrag als Vermittlerin des Friedens heute unbestritten ist, bisher alles in ihrer Macht Stehende getan hat, um das vietnamesische Volk von der C-eißel, von der Heimsuchung des Krieges zu befreien. Gewiß, die „Macht“ der Kirche ist gering, wo sie in Widerstreit zu weltlichen Machtinteressen tritt; sie ist, gemessen am Potential der irdischen Mächte, nicht größer geworden, seit Stalin nach den Divisionen des Papstes gefragt hat. Das Gewicht ihrer moralischen Autorität

aber, vor allem jener des Papstes, ist im gleichen Maße gewachsen, als die Kirche sich auf ihre eigentliche Sendung besann und mit den Mächten dieser Welt ins Gespräch anstatt in Konkurrenz trat.

Die Beziehungen der katholischen Kirche zum vietnamesischen Volk waren lange Zeit durch das Regime der Familie Ngo beeinträchtigt. Zwei Drittel der Bevölkerung Südvietnams bekennen sich zum Buddhismus, genauer: zu Mischformen der konfuzianischen und buddhistischen Religion. Nun verfolgte zwar der katholische Präsident Ngo Dinh Diem. nicht den Buddhismus als solchen, wohl aber die Politik der reformistischen „Generalvereinigung“, einer militanten Gruppe um den Bonzen Thich Tri Quang, die es verstand, nach und nach alle Buddhisten des Landes um sich zu scharen und die Krise hochzuspielen. Dreimal griff Papst Paul VI. mit geringem Erfolg in die Krise ein. Im Sommer 1963, bald nach seiner Wahl, schrieb er an Ngo Dinh Diem. Kurz darauf wurde eine Botschaft des Papstes an das vietnamesische Volk durch das Regime zensuriert: Die Sorge des Heiligen Vaters durfte nicht „schmerzlich“, die Ereignisse durften nicht „bedauerlich“ sein. Im September 1963 wandte sich Paul VL an den Erzbischof von Saigon, Nguyen Van Birih, der seinerseits in einem klugen Hirtenbrief die Grundlagen für ein neues Verhältnis zwischen Kirche und Staat schuf.

Seinen bisher nachdrücklichsten Versuch, in Vietnam zu vermitteln, hatte Paul VI. offensichtlich von langer Hand durch diplomatische Kontakte vorbereiten lassen, die ihren Ausgang von der Reise des Papstes zur UNO am 4. Oktober 1965 nahmen. Am 19. Dezember jenes Jahres bekannte sich der Heilige Vater in einer Ansprache an die Pilger auf dem Petersplatz offen zu diesen Bemühungen: Er hoffe, daß „wenigstens“ die Waffenruhe über Weihnachten eingehalten werde. In der Tat waren die Hoffnungen des Papstes viel weiter gerichtet; er arbeitete mit allen Mitteln, die ihm auf normalen diplomatischen Wegen zur Verfügung standen, auf die Einleitung von Friedensgesprächen in einer unbefristeten Pause der Bombardierung Nordvietnams hin. In Telegrammen an die Präsidenten beider Vietnam hieß es: „Wir beten zu Gott, daß aus der friedlichen Weihnacht ein Schritt zur Errichtung eines gerechten und brüderlichen Friedens werde.“ Ho Tschi-minh antwortete, wenn auch mit dem Hinweis auf die Verantwortung der USA. Diese machten in public relations und schickten Goldberg als Reisenden in Goodwill nach Europa. Am 28. Dezember empfing ihn auch der Papst, es kam zu einem Austausch von Botschaften mit Präsident Johnson. Am Silvesterabend entschloß sich Paul VT. zu einer dramatischen Geste: Er richtete beschwörende Friedenstelegramme nicht nur erneut an die Präsidenten Nord- und Südvietnams, sondern auch an Moskau und Peking, an Podgorny und Mao Tse-tung! Alle antworteten — mit Ausnahme des letzten.

Der Eskalation schließlich enttäuschter Friedenshoffnungen folgte eine Eskalation des Krieges. Die wievielte? Niemand zählt das mehr; sicher ist nur, daß jede neue Eskalation, jede Stufe hinauf zum totalen Krieg, die Leiden des Volkes verdoppelt, verdreifacht, ins Unermeßliche steigert. Angesichts dieser Leiden wollte die Kirche wenigstens

materielle Hilfe bringen. Mit einer Spende von 150.000 Dollar gab der Heilige Stuhl Anfang 1966 die Initialzündung zu einer internationalen Hilfsaktion für die Bevölkerung beider Vietnam. Das Motto der Aktion kommt einer Parole gleich: „Den Frieden aufbauen!“ Die Caritas und evangelische Wohlfahrtseinrichtungen, die sich anschlössen, haben seither beachtliche Summen zur Linderung der Not aufgebracht. Summen, die jenem Tropfen auf den heißen Stein verzweifelt ähnlich sind...

„Unter Tränen“ bat der Papst in seiner Friedensenzyklika „Christi matri“ vom 15. September 1966 „die Lenker der Staaten, sich mit aller Kraft zu bemühen, den Brand zu löschen, damit er nicht weiter um sich greife“. Diesen Lenkern der Staaten rief der Papst ihre „schwere Gewissenspflicht“ in Erinnerung, rief ihnen „im Namen Gottes“ zu: „Haltet ein!“ In einem Friedensgottesdienst am Jahrestag seiner Reise zu den Vereinten Nationen wiederholte Papst Paul diesen Appell, ohne zu fürchten, wie er sagte, sich durch ständige Friedensaufrufe „rhetorischer Übertreibung oder überflüssiger Worte schuldig zu machen“. In dieser Ansprache vom 4. Oktober 1966 prägte er den historischen Satz, daß Frieden heute „Entwicklung der Völker“ bedeute. Schwer, aber nicht unmöglich sei dieser Frieden, denn: „Was für Menschen unmöglich ist, ist möglich für Gott.“

Aus diesem Wissen versuchte Papst Paul VI. weiterhin, das Unmögliche möglich zu machen. Er sandte Anfang Oktober seinen persönlichen Vertrauten, den mittlerweile ins Staatssekretariat berufenen Erzbischof Pignedoli, nach Südvietnam. Die Mission Pignedolis war trotz wiederholter Versicherungen, sein Auftrag sei ausschließlich religiöser Natur, von der Weltmeinung

überbewertet worden. Nach der Rückkehr des Delegaten am 9. Oktober hieß es in Rom, seine Hauptaufgabe sei es gewesen, eine Konferenz der südvietnamesischen Bischöfe zu leiten, die „gemeinsame Aktionslinien“ auszuarbeiten hatte. Sollte Pignedoli Weisungen gehabt haben, die seiner Mission weitere Ziele steckten, müßte man diesen Teil des Auftrags als gescheitert betrachten. Die Unterredung mit dem starken Mann, General Ky, dauerte jedenfalls nur 20 Minuten.

In seiner letzten Weihnachtsansprache wandte sich der Papst am 22. Dezember 1966 mit einem Friedensappell neuerlich „an alle, die der einen oder anderen Seite Beistand leisten“. Denn die Schwierigkeit liege darin, daß die Verantwortlichen beider Fronten gleichzeitig den Schlüssel zum Frieden handhaben müßten. „In aller Achtung und Dringlichkeit“ mahnte Paul VI. beide Lager, die weihnachtliche Waffenruhe zu verlängern, bis man zu ehrlichen Verhandlungen komme: Das sei der einzige Weg, einen Frieden in Freiheit und Gerechtigkeit zu erreichen. Die Verantwortlichen aber schritten zur nächsten Eskalation: noch mehr Bomben, noch mehr Terror, noch mehr Not und Tod.

Schon nach der etwas geheimnisvollen Mission Pignedolis gab es Stimmen, die verlangten, der Papst selbst solle nach Vietnam fliegen, nach Saigon und Hanoi, um durch eine wahrhaft dramatische Demonstration, durch äußersten Einsatz seiner selbst den Frieden gleichsam zu erzwingen. Der Papst flog inzwischen nach Fatima, um für den Frieden zu beten. In realistischer Einschätzung der Macht, die ihm gegeben ist? Sicherlich. Und dennoch: sollte er es nicht wagen — morgen — übermorgen — bald — ehe es zu spät ist? In Christi Namen...?

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