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Chinas Schatten über Zwischeneuropa

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Vor zwei Menschenaltern hat Wilhelm II. den erschauernden Bewohnern des Abendlandes eine Schreckvision gezeichnet: den Einbruch der gelben Rasse in den Lebensraum unseres Erdteils. „Völker Europas”, mahnte damals der Kaiser, „wahrt eure heiligsten Güter!” Der letzte Hohenzoller auf dem preußischen Thron hat wohl kaum selbst daran geglaubt, daß sich seine Prophezeiung so schnell und so anders verwirklichen werde; daß nämlich europäische Völker, in ihren heiligsten Gütern bedroht, zur Wahrung dieses Erbes sich an ein mächtiges China um Schutz wenden würden. Das aber, und noch mehr an Dingen, die man noch vor zwei Jahrzehnten kaum für möglich gehalten hätte, ist in unseren Zeiten geschehen.

Aus Schlaf und Schwäche zu dynamischer Kraft erwacht, befindet sich das Sechshundertmillionenvolk des Fernen Ostens auf dem Wege dazu, eine seiner Zahl und seinen natürlichen Hilfsmitteln entsprechende Stellung zu erringen. Nach beinahe einem Halbjahrhundert der Wirren und eines unbarmherzigen Kampfes um die Macht, der mit dem Triumph Mao Tse-tungs und der Seinen geendet hat, um den Preis unsagbarer Greuel, Millionen und Abermillionen Geopferter, des vernichteten Glücks nicht zu zählender Bevorrechteter einer untergegangenen und der Entbehrungen der Stützen einer neuen Ordnung,-entfaltet sich das Reich der ‘Blumigen Mftfe zirefheF’’Welfihäclit, Ule’ Vdf’ unseren Augen der sowjetischen ebenbürtig wird und von der man, ohne Angst, falsch zu weissagen, behaupten darf, sie werde in einigen Dezennien die UdSSR überholt und die USA eingeholt haben. Dieses neue China ist nun im Zeichen des Kommunismus entstanden; es bekennt sich durch Wort und Tat seiner Machthaber zu den Prinzipien des Marxismus-Leninismus. Es betont seine Einigkeit mit der Sowjetunion und seinen Gegensatz zur kapitalistischen Welt. Doch man lasse sich durch die Fassade nicht täuschen. Der chinesische Kommunismus ist vor allem ein Instrument der nationalen, der imperialen Wiedergeburt.

Er behält, so lange das die Leitenden für angezeigt erachten, seine anfängliche, die allgemein-marxistische Phraseologie; unter der Oberfläche aber entwickelt er sich und das von ihm beherrschte Reich weiter. Er knüpft wieder an die eigenen Traditionen an und er strebt einer Zukunft zu, die nicht von dogmatischen Schranken eingeengt ist, die den mannigfachsten Möglichkeiten die Tore öffnet. Das vieldeutige Schlagwort von den hunderterlei Blumen, die zugleich nebeneinander blühen sollen, hat auf dem vorjährigen Parteikongreß die als Gäste anwesenden europäischen Kommunistenführer, vor allem Polens und Ungarns, dazu ermutigt, jenen „eigenen Weg zum Sozialismus” zu beschreiten, den Tito schon vorher gewandelt war. Das chinesische Beispiel eines den „Sozialismus aufbauenden Landes” zeigte den erstaunten Genossen aus den Volksdemokratien „brave” Kapitalisten, die beim sozialistischen Aufbau mitwirkten und an ihm verdienten, buddhistische Mönche, die sich vergnügt in die atheistische Gesellschaft einfügten und, Höhepunkt der Ueberraschung, Sendlinge der Regierung von Taiwan-Formosa, die mit der kommunistischen Pekinger Staatfführung verhandelten, selbstverständlich darauf gefaßt, jederzeit verleugnet oder eingesperrt zu werden. In dieser Atmosphäre konnte es nicht mehr befremden, daß die Schriften Tschiangkaischeks durch einen großen kommunistischen Verlag neu herausgebracht werden; allerdings mit dem echt chinesischen Beisatz, damit man aus ihnen den Generalissimus verabscheuen lerne; daß der Dalai-Lama samt seinem Rivalen und Kollegen, dem Pantschen- Lama, mit Ehren überschüttet, von Tschu En-lai, dem sonst so Stolzen, unter tiefen Bücklingen heimbegleitet wurden, nachdem ihnen Mao Tse- tung ein großartiges Abschieds-Gala-Festessen veranstaltet hatte.

Das wurde nun ins Polnische und ins Ungarische übersetzt und hieß zu Warschau, wo man am besten „Chinesisch verstand”, Zusammenarbeit mit Kardinal Wyszynski, Heimkehr „reaktionärer” Schriftsteller aus dem Exil, Rückkehr fideistischer, idealistischer Gelehrter auf ihre Lehrkanzeln, freiere Diskussion in der Presse und vor allem: Uebergewicht der Intellektuellen. In China ist diese Hegemonie der Geistigen, die zumeist aus dem einstigen gehobenen Mittelstand, wenn nicht, wie Tschu En- lai, aus der Aristokratie stammen, nie erschüttert worden. Mao Tse-tung ist ja der einzige große Kommunistenführer, der ein methodisch gebildeter Wissenschaftler, ein begabter Künstler und Schriftsteller genannt werden kann. Rings um ihn gibt es keine Autodidakten auf entscheidenden Posten; alle Maßgebenden sind nicht nur mit der klassischen chinesischen, sondern auch mit der westeuropäischen Bildung und mit der russischen Kultur vertraut, dazu mehrerer europäischer Sprachen kundig (zum Beispiel Tschu En-lai des Französischen, Englischen, Deutschen und Russischen; während eines fünftägigen Besuchs in Warschau hat er im Nu eine Anzahl polnischer Sätze erlernt und dazu den Text eines Liedes, das ihm besonders gefiel).

An diese, in ihren grausamen Methoden gegenüber politischen und sozialen Gegnern sehr anfechtbaren, doch was ihre Gescheitheit betrifft, unbezweifelt überragenden Männer haben sich alle d i e Koryphäen volksdemokratischer Regime in Zwischeneuropa gewandt, die eine Intervention des Westens für unerreichbar und, wäre sie zu erlangen, für gefährlich ansehen, die jedoch den sowjetischen Druck gemildert wünschen und die nach mehr Freiheit im Innern, nach einem „eigenen Weg zum Sozialismus” begehren, bei denen es ihnen, schaute man ihnen auf Herz und Nieren, eher auf den eigenen Weg, als auf den Sozialismus ankommt. Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß die Tito, Go- mulka und Imre Nagy zwar an den Ketten rüttelten, die ihnen von Stalin auferlegt worden waren, daß sie aber von einem allzu heftigen Ausschlagen der Pendel nach rechts weder für ihre Sache noch für ihre Person Gutes zu erwarten hatten; was uns seither das ungarische Exempel bestätigt-hat. So waten den, Sagen wit • Nationalkommunisten, ChintE-der •wttlkormnenste- Fürsprecher und Verbündete innerhalb des „sozialistischen Lagers”. Mao Tse-tung hat die ihm zugedachte Rolle gerne übernommen. Einmal, um seine Position gegenüber dem Kreml zu stärken, sodann, um die schwankenden Volksdemokratien trotz allem beim Ostblock festzuhalten, drittens, um dort eine ihm verpflichtete, nicht einzig von Moskau sklavisch abhängige Equipe am Ruder zu sehen, viertens, um bei den ihm vorschwebenden künftigen Verhandlungen mit den USA über ein weiteres Atout zu verfügen.

So erklärt sich die chinesische Politik in Osteuropa: zunächst die offenbare Förderung Ier unzufriedenen Intellektuellen und Elitearbeiter in Ungarn und Polen, hierauf der scheinbare Frontwechsel, als den Nationalkommunisten in Budapest die Zügel entglitten, in Warschau beinahe entglitten wären; als endlich die USA um die Jahreswende 1956/57 die Anerkennung Mao Tse-tungs dem dafür bei Eisenhower eintretenden Nehru verweigerten. Da schaltete sich Tschu En-lai auf seiner Europareise sofort als Beschwichtiger in Moskau ein, der die drohenden Blitze von Polen ablenkte und der in Warschau den dortigen Parteigewaltigen äußerliche Nachgiebigkeit anriet. Im Kreml ist dieses Eingreifen der Chinesen mit einem heiteren und einem traurigen Auge betrachtet worden. Man war damit zufrieden, daß eine zweite, der ungarischen ähnliche Intervention den Sowjetheeren erspart blieb; doch man verhehlte sich nicht, daß Peking auf Kosten Moskaus ein glänzendes Prestige gewonnen hatte und daß die liberalisierenden Parteikreise der Volksdemokratien fortan nach dem Fernen Osten blicken würden, sooft sie sich russischen Drohungen ausgesetzt sähen.

Doch da hieß es gute Miene machen. Woro- schilow, das sowjetische Staatsoberhaupt, nahm eine Einladung nach Peking an —.der nun Folge geleistet wurde — und er muß es hinnehmen, daß diese mehr protokollarische Fahrt Vorwand und Anlaß zum Gegenbesuch Mao Tse-tungs wird, der nun als Triumphator nach Europa kommt. Er wird mit großem Gefolge außer Moskau auch Warschau und Belgrad beehren: als Freund, Beschirmer und Vermittler. Begrüßt nicht nur von den Kommunisten (von denen ihn viele zum Teufel wünschen mögen), sondern auch und gerade von denen, die an den russischen Ketten zerren. Schon vorher sind der tschechoslowakische Ministerpräsident Široky, dieser freilich mit einer wenig repräsentativen Begleiterschar und gerade nur mit dem Minimum an üblicher inter-kommunistischer Höflichkeit empfangen, und sein polnischer Kollege Cyrankiewicz durch Süd- und Ostasien gezogen. Cyrankiewicz ist mit betonter Herzlichkeit und mit besonderer Auszeichnung aufgenommen worden. Mao Tse-tung unterstrich durch mehrere Reden die Bedeutung des polnischen Besuchs und die enge Solidarität mit dem Regime Gomulkas. Man muß die gemeinsame chinesisch-polnische Erklärung vom 11. April 1957 genau lesen, um zu ermessen, wie sehr sie die beiden Hauptmotive der Pekinger Osteuropapolitik und die der nichtstalinisti- schen Volksdemokratien berücksichtigt. Es wird da die Einigkeit der zwei Gesprächspartner untereinander und mit den andern Gliedern des Ostblocks in allen internationalen Grundfragen — westdeutsche Aufrüstung, Antikolonialismus, Eisenhower-Doktrin, Abrüstung, NATO, Warschauer Pakt — ebenso betont, wie die Treue zum Marxismus-Leninismus. Doch weit beachtlicher ist die zweite Gruppe von gemeinschaftlichen Grundsätzen. Da werden unterstrichen: die Gleichheit zwischen allen Ländern, die Notwendigkeit in jedem von ihnen dessen „Specifica” zu pflegen, die Gegnerschaft zu Doktrinarismus und Dogmatismus (also zum starren Festhalten an den vordem als unabänderlich bezeichneten Grundsätzen der Stalin-Aera). Von der Sowjetunion ist im gesamten langen Kommunique nur zweimal flüchtig die Sprache, um an die völlige Gleichheit zwischen ihr und China, Polen zu erinnern und auf die internationale Abrüstung hinzuweisen. Nichts von einer führenden Rolle, nichts vom Muster oder gar vom allein verpflichtenden Vorbild der UdSSR.

China legt dagegen nachdrücklichen Wert auf seine direkte!), nicht über Moskau laufenden Beziehungen zu den europäischen Volksdemokratien. Wirtschaftlieh ist es vornehmlich mit Polen, mit der Tschechoslowakei in Kontakt, die zahlreiche Techniker, Ingenieure, Spezialarbeiter nach dem Fernen Osten entsandt haben und die komplette Fabrikeinrichtungen, neuestens eine Großsenderanlage exportieren, außerdem viele chinesische Studenten heranbilden. Doch das Reich der Mitte ist auch anderwärts in Zwischeneuropa auf dem Platz. Eine chinesische Parlamentsdelegation hat zum Beispiel Bulgarien und Albanien bereist. Tschu En-lais Blitzbesuch in Ungarn Mitte Jänner hat wesentlich dazu beigetragen. die Position Kadars zu stützen. Mit Rumänien ist ein reger Kulturaustausch eingeleitet. Und es bildet ein öffentliches Geheimnis, daß seit längerer Zeit die chinesische Diplomatie eifrig bemüht ist, die neuen Differenzen zwischen Moskau und Belgrad wieder beizulegen. Krönung dieser Bestrebungen soll ein Aufenthalt Mao Tse-tungs und Tschu En-lais in Jugoslawien sein.

Gewiß fördert das alles den Zusammenhalt des Ostblocks, der „sozialistischen”, „friedliebenden”, „fortschrittlichen” Länder. Doch für die künftige Politik dieser Staatengruppe ist es von schicksalhafter Bedeutung, ob in ihr allein die Männer im Kreml, oder zusammen mit denen, wenn nicht vor ihnen die geschmeidigeren Chinesen das große Wort führen.

Wahlprognose: Mehrheit für überparteilichen Kandidaten

Eine vom Oesterreichischen Gallup-Institut im März durchgeführte repräsentative Befragung der österreichischen Bevölkerung, ob der neue Bundespräsident einer der politischen Parteien oder gar keiner Partei angehören soll, ergab eine überwältigende Mehrheit für einen überparteilichen Kandidaten. Das Resultat zeigt deutlich, daß nicht nur vor allem die mit der OeVP sympathisierenden Kreise die Besetzung der höchsten Stelle im Staate mit einer überparteilichen Persönlichkeit, von Rang und Namen wünschen, sondern auch nahezu 50 Prozent der sozialistischen Wähler. Nur 21 Prozent der Bevölkerung treten für einen sozialistischen Bundespräsidenten ein, 11 Prozent für einen Kandidaten, welcher der OeVP angehört, und 64 Prozent für einen überparteilichen Kandidaten. Auf diese Tatsachen gestützt, ist zu sagen, daß die OeVP und die FPOe die Einstellung der österreichischen Bevölkerung richtig eingeschätzt haben und daher am Ausgang der Wahlen kaum ein Zweifel bestehen kann.

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