6823840-1974_01_08.jpg
Digital In Arbeit

Maschinen fallen nicht vom Himmel

19451960198020002020

Frank Thiess, 1890 in der Nähe von Riga geboren, als baltischer Emigrant Student in Berlin und Tübingen, später Dramaturg, Regisseur und Theaterkritiker, war nicht nur ein erfolgreicher Romanautor während der zwanziger Jahre, sondern auch einer der bedeutendsten deutschen Kulturkritiker der Nachkriegszeit. Bereits 1923 erregte seine Essaysammlung „Gesicht des Jahrhunderts“ Aufsehen. Der 1941 erschienene Roman eines Jahrtausends, eine Geschichte von Byzanz unter dem Titel „Das Reich der Dämonen“, wurde von den Nationalsozialisten bald als Schlüsselroman erkannt und aus dem Verkehr gezogen. 1957 veröffentlichte er „Die griechischen Kaiser“ und gegenwärtig ist er wieder mit einem neuen kulturkritischen Werk beschäftigt. Nach einer vor zehn Jahren unternommenen Chinareise erregte sein 1966 erschienenes Buch „Plädoyer für Peking“ beträchtliches Aulsehen, denn er sprach Erkenntnisse aus, die damals sehr neu waren, heute aber fast zum Gemeingut des politisch Gebildeten gehören. Da Thiess zwar immer Antikommunist war, sich aber nie zu einer politischen Rechten bekannt hat, konnte dieses Buch die meinungspolitischen Vorurteile nicht durchbrechen. Auch der vorliegende Beitrag ist ein Bericht und enthält Betrachtungen eines Einzelgängers.

19451960198020002020

Frank Thiess, 1890 in der Nähe von Riga geboren, als baltischer Emigrant Student in Berlin und Tübingen, später Dramaturg, Regisseur und Theaterkritiker, war nicht nur ein erfolgreicher Romanautor während der zwanziger Jahre, sondern auch einer der bedeutendsten deutschen Kulturkritiker der Nachkriegszeit. Bereits 1923 erregte seine Essaysammlung „Gesicht des Jahrhunderts“ Aufsehen. Der 1941 erschienene Roman eines Jahrtausends, eine Geschichte von Byzanz unter dem Titel „Das Reich der Dämonen“, wurde von den Nationalsozialisten bald als Schlüsselroman erkannt und aus dem Verkehr gezogen. 1957 veröffentlichte er „Die griechischen Kaiser“ und gegenwärtig ist er wieder mit einem neuen kulturkritischen Werk beschäftigt. Nach einer vor zehn Jahren unternommenen Chinareise erregte sein 1966 erschienenes Buch „Plädoyer für Peking“ beträchtliches Aulsehen, denn er sprach Erkenntnisse aus, die damals sehr neu waren, heute aber fast zum Gemeingut des politisch Gebildeten gehören. Da Thiess zwar immer Antikommunist war, sich aber nie zu einer politischen Rechten bekannt hat, konnte dieses Buch die meinungspolitischen Vorurteile nicht durchbrechen. Auch der vorliegende Beitrag ist ein Bericht und enthält Betrachtungen eines Einzelgängers.

Werbung
Werbung
Werbung

Da die meisten Europäer immer noch über die Geschichte der Volksrepublik China schlechter unterrichtet sind als über die Rückseite des Mondes, ist es nicht leicht, mit wenigen Strichen das Porträt des größten Staatsmannes unserer Tage zu zeichnen. Die Presseinformationen der sechziger Jahre rieselten aus Moskau und Hongkong in das doppel-köpflge Deutschland, wo man nicht wissen konnte, was Mao Tse-tung in seinen Kriegen gegen Tschiang Kai-schek, dann mit ihm gegen die Japaner und endlich bis 1949 gegen ihn (die Kuomintang) vollbracht hatte. Ebenfalls blieb neben den ökonomischen, sozialen, wissenschaftlichen und technischen Leistungen das eigentliche „Wirtschaftswunder“ Chinas unbeachtet. Dagegen hörte man aus Washington und Formosa von den Schrecken der Revolution, die „grausamer als der Tiger“ gewesen sein müsse, zumal Mao selber erklärt hatte, eine Revolution sei kein Blumenpflücken und Teetrinken.

Ohne Frage ist nach dem Sieg die Säuberung von Gegnern des Kommunismus nur insofern anders als unter Stalin verlaufen, als die kommunistische Partei Chinas alle Bauern bis in die mittleren Schichten des Landeigentums schonte, dagegen die „Kapitalisten“ — also die Großgrundbesitzer — beseitigte. Mao hat die Zahl derer, die zur Kuomintang Tschiangs standen und „liquidiert“ wurden, auf 800.000 beziffert. Erst als die Regierung Maos unerschütterlich den Boden ihrer revolutionären Grundsätze behauptete, setzte die Phase des inneren Friedens ein. Es war der für alle Revolutionen der Weltgeschichte typische Vorgang neuen Aufbaus durch Vernichtung einer korrupten Gesellschaft, die ausschließlich an sich selbst gedacht und das Grauen der Hungersnöte, Dürreperioden, Überschwemmungen und die Verzweiflung der Armen ignoriert hatte. Es gehört in die Weltgeschichte des Elends und der Gedankenlosigkeit des Menschen, der es verlernt, die Trostlosigkeit und das vergebliche Auswegsuchen in seiner nächsten Nähe zu bemerken. Die Rache war grausam, aber sie lag in der historischen Gesetzlichkeit aller großen politischen Erdbeben begründet.

Daß diese Zeit vorüberging und ihr ein Abschnitt beispielhafter Arbeit an der Gesundung des Volkes folgte, war das unzweifelhafte Verdienst Maos. Er hat später, als während der „Kulturrevolution“, zu Ende der sechziger Jahre, die rebellische Jugend sich an ihren sinnlos gewordenen Zerstörungen begeisterte, nicht nur deren Untaten schmerzlich beklagt, sondern die zügellosen Gesellen zu den Bauern aufs Land geschickt; Tschu En-lai sorgte dafür, daß sie schwer arbeiten und gründlich lernen mußten.

Diese dritte schöpferische Phase der revolutionären Ordnung ist in ihrer Bedeutung bei uns so gut wie vollständig verkannt worden. Der Westen lebte weiter unter dem Einfluß der antikommunistischen Propaganda, und die Unkenntnis der Leistungen Maos blieben bestehen. Dazu kam, daß unter den APOs ein deutscher „Maoismus“ sich der Öffentlichkeit präsentierte, der so gut wie nichts mit dem chinesischen Kommunismus zu tun hatte.

Die meisten unserer ahnungslosen Mitläufer Maos hatten offenbar weder seine Werke noch die Bücher Lily Aheggs und Han Suyins („Das China Mao Tse-tungs“ und „Die Morgenflut“) gelesen, und bestimmt nicht „Die Worte des Vorsitzenden Mao Tse-tung“, in denen das Gegenteil dessen stand, was die „roten Rebellen“ in der Bundesrepublik Deutschland forderten. Das erste,was sie hätten lernen müssen, war, daß man die Geschichte seines Volkes zu kennen und, von ihr ausgehend, für dieses zu wirken hat.

Die Kenntnis des wahren „Maoismus“ fängt nicht mit Demonstrationen, Plünderungen und politischen Verwünschungen an. In China setzte er mit der Arbeit an Staudämmen, Entwässerunggen, Brücken, Kanälen, Straßen und Verwaltungsarbeit ein. Maos Revolution ging nicht von einem eingetrockneten Marxismus aus, sondern von gründlicher Kenntnis des eigenen Landes, das er auf vielen tausend Meilen zu Fuß und zu Pferde durchzogen hatte. Hier begriff er aus bitterster Erfahrung, wessen ein von seinen Regierenden und Reichen ausgeplündertes, blutarmes Volk bedurfte. Er sah, daß die politische Problematik nicht mit Parteiphrasen zu lösen war und daß der kulturelle Aufbau erst recht nicht mit leeren Worten eingeleitet werden konnte. Die Lösung begann bei dem Verständnis des einzelnen Menschen.

„Von allem in der Welt ist der Mensch das Wertvollste.“ Dieses Wort Mao Tse-tungs geht durch alle seine Werke, die — mit den Reden auf dem Langen Marsch 1926 beginnend — die Geschichte eines der größten weltgeschichtlichen Siege begleiteten. Zu vergleichen ist der Revolutionskrieg, der 1949 endete, als strategische und taktische Operation gegen die Übermacht Tschiang Kai-scheks allenfalls mit dem gigantischen Zug Alexanders des Großen bis Indien. Auch Mao hat seine militärischen Erfolge von Anfang an dazu benutzt, seine Ideen aus der nationalen Wesensart des chinesischen Menschen zu entwickeln.

Mao, der wie kein anderer während des Langen Marsches Bücher gelesen und Werke der großen Philosophen studiert hatte, setzte sich bis in sein Alter für ein Bildungswerk ein, das heute in seiner umfassenden Gründlichkeit und Denkweise beispielhaft ist. „Wir müssen bescheiden sein, und zwar nicht nur heute, auch nach 45 Jahren, für alle Zukunft. In den internationalen Beziehungen müssen die Chinesen den Großmacht-Chauvinismus entschlossen, gründlich, restlos und vollständig beseitigen.“ Und in demselben Jahr (1956) sprach er bei der Eröffnung des achten Parteitages die Worte: „Selbst wenn unsere Arbeit gigantische Erfolge zeitigt, gibt es keinen Grund, überheblich und eingebildet zu werden. Bescheidenheit bewirkt, daß man Fortschritte macht; Überheblichkeit führt dazu, daß man zurückbleibt. Diese Wahrheit sollen wir stets im Gedächtnis behalten.“

Seit dem Krieg gegen die Kuomintang aber gelten bis in unsere Tage die Grundregeln, welche Mao der Armee einhämmerte: „Gehorche dem Kommando in allem, was du tust. Nimm den Massen nicht eine Nadel, nicht einen Faden weg. Liefere alles Beutegut ab. Sprich höflich. Zahle für das, was du kaufst, den angemessenen Preis. Gib zurück, was du entliehen hast. Bezahle für das, was du beschädigt hast. Schlage und beschimpfe niemanden.' Beschädige nicht die Ackerbaukulturen. Belästige nicht Frauen. Mißhandele nicht Gefangene.“

Auch heute kann jeder junge Chinese diese Sätze auswendig. Auch unsere Jugend könnte aus den Schriften Maos viel lernen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung