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Chinas Mao Zedong: Der „rote Moses“

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Moses ist nicht modern. Mao, der rote Moses, führte als Fünfundsiebzigj ähriger das Riesenreich in eine Katastrophe, durch die „Kulturrevolution", von der es sich bis heute nicht erholt hat. Seine Nachfolger haben alle Hände und alle Hirne nötig, um die riesenhaften Schwierigkeiten des größten Menscherirei-ches der Erde, wenn nicht zu meistern, so doch soweit in den Griff zu bekommen, daß es nicht, wie der alte Mao befürchtet, „in achthundert Fürstentümer" verfällt.

Der tiefe Pessimismus des alten Mao, der in den letzten fünf Jahren seines Lebens nicht mehr in der Öffentlichkeit erschien, gezeichnet von Krankheit und Kummer, hat sich in den Jahrzehnten zuvor bereits in ihm gebildet, ihn unterwandert, bedrängt.

Keine weltgeschichtliche Gestalt unseres Jahrhunderts bleibt nach wie vor so modern, so erregend, so prall in der Fülle prospektiver, also in Zukunft weisender Lebens-Elemente wie diese. Mao also.

Es ist sinnvoll, daß soeben ein Mann des Westens, Ross Terrill, ein Harvai-d-Professor, eine Mao-Biographie vorlegt, die zu wirklich „weltgeschichtlichen Betrachtungen" einlädt.

Es gibt keine fruchtbarere Einladung, Einforderung an den „Westen", an die Adresse der jungen Generationen, die heute in Europa die politische Verantwortung ihrer Nationen, ihrer Gesellschaften übernehmen müssen, zäh noch vielfach übermachtet von „Alten", die ihr Weltbild -auch wenn sie Vierzigjährige sind, vielfach aus vorsintflutlichen Zeiten - fixiert erhalten (links, rechts \md in fi'agwürdiger Mitte) als ein Verstehen-Lemen dieses ungeheuren Prozesses, der Mao ist.

Mao, „ein Teil Tiger und ein Teil Affe" (so sieht er sich selbst): Kämpfer, zäh, unermüdlich — Tiger — und: ein vielschichtiges Wesen, das sich in allen Krisen, Niederlagen, Katastrophen seines Lebenskampfes immer tiefer in den „Vätern" einhaust: in den Erzvätern, den Patriarchen Altchinas, den Weisen, Dichtern, Sängern, den großen Kaisern.

Zukunft kann nur durch Aktivierung der besten Vergangenheiten gewonnen werden. Es ist dieser „Maoismus", dem die Zukunft in allen Kontinenten gehört: in beiden Amerika, in Asien, in Europa: Sich einwurzeln, tief, tief, in den Lebens-Weisheiten dieser Erzväter der Zivilisation, der politischen Bildung, der Menschenführung.

„Durch Maos Marxismus hindurch schimmerte die alte chinesische Vorstellung von yin und yang, dunkel und hell, weiblich und männlich. Er stand für die nicht reduzierbare Dualität aller Dinge einschließlich Maos eigener Doppelnatur als Tiger und Affe."

Der ganze Hochmut des Westens trat Mao entgegen in Stalin, in einer orthodoxen, intellektua-listischen, marxistischen Heilslehre, die er als Unheilslehre -schwer in sich kämpfend - erlebt, im abgründigen Hochmut der Kommunisten - in Moskau und China - den Bauern gegenüber (Marx sah auf den „Schwachsinn auf deih Lande" herab). Kein einziger Bauer in der KPCh, der Kommunistischen Partei Chinas, 1924.

Nach seinem Ausschluß aus dem Zentralkomitee kehrt Mao auf den vom Vater geerbten Bauernhof zurück, ab 1926 setzt er auf die Bauern. Mit seiner „Analyse der Klassen in der chinesischen Gesellschaft", März 1926, öffnet er sich den Weg ins Freie. Ein halbes Jahr später erscheint „Die nationale Revolution und die Bauernbewegung".

Mit diesem Artikel versank Karl Marx in den Reisfeldern Asiens.

Auf dem „Langen Marsch" 1935/ 36, sechstausend Meilen in zehn Monaten, der ihn als ,3oten Moses" — auch wörtlich früher so genannt - ausweist, findet er endgültig zu sich selbst.

Wiedergeburt des Vaters: der Knabp, der Junge, der Student Mao hatte gegen seinen Vater als Grundbesitz-Bauer gekämpft. Der Mao der späteren Jahre kehrt immer wieder ein: im Vaterhaus, am Grab der Eltern.

Mao will China als Wiedergeburt des archaischen Heils-Kollektivs, als Mutter-Schoß, als „Volk" einer großen Familie: hier soll der große Friede der Welt einsetzen: in einer Kommunion des Menschen mit der Natur, mit der Geschichte, mit den großen Vergangenheiten.

Mitte 1956 schlägt Mao ein Bündnis China-Japan-USA vor (1955: der österreichische Staatsvertrag ist auch in dieser weltgeschichtlichen Perspektive zu sehen!). Bereits 1944/45 wollte Mao zu Roosevelt nach Washington: die USA-Beamten haben dies nie an Roosevelt weitergeleitet…

Mao sieht auf Japan als künftigen Bundesgenossen, er, der den Kampf gegen die Japaner zur Maxime seiner Revolution gemacht hatte. Gräßliche Fehl-Leistungen Maos (man mag sie bei Ross Terrill jetzt nachlesen). Mao: „Es ist unvorstellbar, daß jemand ohne Bedauern oder Reue ist." (Wer von den „maßgebenden" Politikern im Heute kennt auch nur diese Worte!) Mao, dem Sterben entgegen: „Ich habe eine Verabre-'dung mit Gott."

Und noch einmal hier diese seine Maximen: „Widersprüche auszunutzen ist der richtige Weg, um Macht zu erlangen und zu behalten. Gleichgewicht ist eine Illusion und sogar etwas Schlechtes; ein gestörtes Gleichgewicht ist ein viel furchtbarerer Zustand. Fortschritt wird in Wellen erzielt. Es ist nichts gewonnen, wenn die Veränderung nur durch Verordnung von oben zustande kommt, ohne daß die Massen aufgewühlt werden, durch deren Begeisterung erst Leben in die Veränderung kommt. Kampf reinigt; er ist nicht nur ein Mittel, um zu bekommen, was man will, sondern das heilige Sakrament der Politik. Vertrauen sollte man nicht den Fachleuten schenken, sondern den Unschuldigen, den Amateuren, den schlichten Gemütern, jedem, dessen Herz dem Wohl der Allgemeinheit zugeneigt ist."

Furchtbares Scheitern

Scheitern, furchtbares Scheitern des Mao. Kein Sieg der „Unschuldigen". Bürokraten und „Fachleute" übernehmen das zerschlissene Erbe. Nun: Weltgeschichte wird durch die großen Scheiternden gemacht.

Wer das hier nicht versteht, möge in der Bibel nachlesen, in den „Büchern der Bibel", ta biblia (griechisch), der Juden und der Jesus-Gläubigen. Es sind die großen Wider-Sprüche, die schweren Verwundungen, von denen die Menschheit lebt. Das ist eine furchtbare Geschichte, die Geschichte der Menschheit und ihrer Beweger.

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