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„Gewalt-Liebchen“

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Der nationalchinesische Nachrichtendienst hat seit einiger Zeit Beweise für die Tätigkeit anti-maoisti-scher Partisanengruppen in der südwestlichen Provinz Festlandcbinas, Yunnan. In den gebirgigen Weiten des chinesischen Südwestens haben sich vor allem zwei Gruppen ehemaliger Rotgardisten zur „Nationalen Roten Garde — Vereintes Revolutionäres Aktionskomitee“ zusammengeschlossen, kurz „Vereinte Aktion“ genannt. Diese Guerillagruppe steht unter der Führung von Chen Hsiao-hu, dem Sohn eines maoistischen Helden namens Chen Yi, der kürzlich „verstorben“ ist, und einer jungen Studentin, die unter dem ihr von Mao selbst verliehenen Namen Yao-wu („Raufe-gern“ oder „Gewalt-Liebchen“) bekannt ist. Die authentische Lebensgeschichte dieses Mädchens klingt wie der dramatische Vorwurf für eine chinesische Oper:

Ihr Vater, Sun Shih-chun, war der Erste Sekretär des nordöstlichen (mandschurischen) Büros der chinesischen kommunistischen Partei, seine Tochter hatte ursprünglich den Namen Ping-ping („Zart-und-fein“).

Am 18. August 1966 stand sie mit ihren Schulkolleginnen auf dem weiten Asphaltplatz vor Tien An Men, dem Tor des Himmlischen Friedens, auf dem mit großen weißen Ziffern bezeichneten Standplatz, der für ihre Schule reserviert war. In der heißen Sonne nahm dort Mao Tse-tung die Huldigungen seiner jungen, mit Mao-Zitaten angestopften Hitzköpfe entgegen. Die Große Proletarische Kulturrevolution war gerade zwei Monate alt. Ping-ping und ihre Genossen trugen Armschleifen mit der Aufschrifte „Rote Garde“. Ping-ping äußerte den Gedanken, eine ihrer roten Armbinden dem Vorsitzenden Mao selbst anzuheften. Sie erbat vom Anführer ihrer Gruppe die Erlaubnis, sich der Tribüne zu diesem Zweck zu nähern. Nur ein hübsches Mädchen oder die Tochter eines geeichten kommunistischen Funktionärs hätte den Mut dazu besessen. Sie drängte sich lächelnd vor und gab durch Zeichen zu verstehen, was sie mit der extra Armschleife, die sie trug, beabsichtigte; der Vorsitzende nickte zustimmend, sie erkletterte die Stufen bis hinauf zu den Würdenträgern — und vielleicht haben ihre Hände gezittert, als sie den Stoffstreifen am Ärmel des großen Vorsitzenden befestigte. 1

Folgender Dialog ist überliefert: „Wie heißt du?“ fragte Mao. „Ping-ping.“

„Aber wie kann ,Zart-und-fein' Revolution machen? Du mußt deinen Namen ändern. Nenne dich Yao-wu“ („Gewalt-Liebchen“).

Der Vorfall begeisterte die Masse und fixierte den Stil und die Bezeichnung der „Roten Garde“. Bald nennen sich andere Studenten Yoa-kan („Haue-gern“), ja sogar Yao-sha („Morde-gern“). Und erst seither führt die ganze Bewegung den Namen „Rote Garde“. Ping-pings ordentliche Erziehung endet in dieser Zeit und sie selbst leitet unzählige Aktionen.

Die grundlegende Idee der Großen Proletarischen Kulturrevolution ist der Kampf gegen die „fünf alten“ Grundsätze der Tradition oder des Brauchtums; allerdings mischt sich bereits früh eine Ablehnung jeder Autorität dazu, schließlich sogar die Ablehnung Mao Tse-tungs. Yao-wu bleibt zuerst linientreu. Sie denunziert ihren eigenen Vater. Er wird gesäubert. Und Sie wird eine' von Maos „jungen Generalen“.

Schließlich aber setzen wirkliche Generale und wirkliche Soldaten dem Chaos ein Ende. Sie zerstreuen oder liquidieren die Roten Garden. Sung Yao-wu wird zum Tode verurteilt. Die Öffentlichkeit erfährt davon nur durch Gerüchte.

Doch plötzlich taucht sie, offenbar aus einem Arbeitslager im chinesischen Nordosten entflohen, in der entgegengesetzten Ecke Chinas, in Yunnan, auf. Nach den neuesten Nachrichten hat sich die von ihr und Chen Hsiao-hu geführte „Vereinte Aktion“ mit einer anderen Partisanengruppe aus früheren Roten Garden vereinigt. Diese steht unter der Führung des Sohnes von Li Ghing-chuan (dem gesäuberten Führer der maoistischen Lokalorganisation in Südwestchina) namens Li Li-feng.

Der letzte Akt der Geschichte vom „Partisanenmädchen“ wird noch geschrieben werden müssen — als Tragödie oder als Triumphgesang.

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