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Schattenboxen in China

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Schattentanz und Schattenboxen haben eine uralte Tradition in China und in Südostasien. Das Pekinger Politbüro ist gegenwärtig Schauplatz eines solchen Spektakels. Man sieht oft gar nicht, wer mit wem boxt. Manchmal scheint jemand, vom Schatten eines gegnerischen Schlages getroffen, zu Boden zu fallen, ein anderes Mal fällt einer, ohne von seinem Rivalen auch nur berührt worden zu sein, aus dem Ring. Schatten verbergen oft die kurzen, starken, entscheidenden Schläge.

Im Pekinger Politbüro ringen derzeit zwei oder drei Fraktionen miteinander. Jedenfalls wurde eine Kampagne gegen die „gemäßigte Gruppe“ gestartet, beeinflußt von einer Bewegung der Hochschüler, die wiederum von der „Shanghai-Gruppe“ manipuliert wird. Die „Shanghaier“ stehen außerhalb des Politbüros, sie versuchen jedoch, ihre verlorene Position zurückzugewinnen.

Die Zielscheibe des derzeitigen „Schattenboxens“ ist zweifellos Teng Hsiao-Ping, Tschus Vertrauter, der

vor neun Jahren von der „Kulturrevolution“ beiseitegeschoben wurde. Teng hatte es allein Tschu zu verdanken, daß er wie ein Phönix aus der eigenen Asche wiederauferstehen konnte. Vielleicht findet jetzt Tengs zweites Begräbnis statt. Eine zweite Auferstehung ist jedenfalls nicht mehr möglich. Die rebellierenden Studenten bezichtigen Teng der „kapitalistischen Rechtsabweichung“. Den Wandzeitungen zufolge ist Teng „der chinesische Chruschtschow“, ein Befürworter des „Gulaschkommunismus“.

Aber warum leitet Teng keinen Gegenangriff ein? Er ist ja noch Vizepräsident der Partei, außerdem

Stellvertretender Premierminister, obendrein Generalstabschef der Volksarmee. Und die Armee ist der wichtigste Machtfaktor in China! In Tengs Boot rudern auch andere wichtige Persönlichkeiten durch die trüben, hochgehenden Wellen: Außenminister Chiao Kuan-Hua zum Beispiel, der wegen seiner angeblichen „Entgleisungen“ zusammen mit Teng während der Kulturrevolution „auf ewig begraben“ wurde.

Eine andere, wesentliche und bisher unbeantwortete Frage lautet: „Was für eine Rolle spielt eigentlich Mao Tse-tung in dem ganzen Schauspiel?“ Vielleicht hat dieser Halbgott der chinesischen Revolution die Vernichtung Tengs geplant, weil er Teng nicht verzeihen kann, daß dieser vor 20 Jahren Partei für Lin-Shao-Chi und nicht für Mao Partei ergriffen hat? Oder will Mao nur die Rolle des Schiedsrichters spielen? Und Maos Gattin Chiang Ching? Hetzt sie die Extremisten gegen Teng und gleichzeitig auch gegen

Mao? Wer könnte heute darauf eine sichere und gültige Antwort geben?

Jedenfalls wird angenommen, daß die Nominierung des regierenden Ministerpräsidenten Hua Kuo-Feng nur provisorischen Charakter habe und das Resultat eines Kompromisses sei.

Mehrere Experten glauben, daß Mao und Tschu gemeinsam Teng als Nachfolger auserkoren hätten. Es ist jedenfalls fraglich, ob Teng überhaupt die Absicht hatte, als Interimspremier zu fungieren. Eine Konfusion nach dem Tode Tschus war vorauszuahnen. Die Ernennung Huas soll im übrigen Tengs Plänen entsprechen, der vielleicht darauf wartet, später vom Zentralkomitee zum ständigen Ministerpräsidenten gewählt zu werden. Es ist auch nicht ausgeschlossen, daß der 71jährige Teng nach dem Ableben des 82jähri-gen Mao dessen Platz auf dem Pekinger Olymp erobern möchte.

Es ist anderseits aber auch nicht ausgeschlossen, daß die jetzigen Angriffe Teng tödlich treffen könnten. In Hongkong weist man darauf hin, daß nicht Peking, sondern Shanghai das Zentrum der Agitation sei. Interessant ist, daß Regierung und Armee ruhig bleiben. Es wird erwartet, daß Teng und „seine Partisanen“ nach gewisser Zeit die Unruhestifter zerschmettern und manche Opfer der Kulturrevolution rehabilitieren werden.

Die wichtigste Frage aber ist es, ob sich nach einem eventuellen Sieg der Extremisten die chinesische Politik gegenüber der Sowjetunion ändern wird. Alle China-Beobachter in Hongkong sind der Meinung, daß keine Fraktion an der grundlegenden chinesischen Auffassung etwas ändern könne, derzufolge die UdSSR Hauptfeind des chinesischen Reiches ist. Peking muß also nach wie vor eine Annäherung an die Vereinigten Staaten suchen. Chinas eminentes Interesse ist es, die strategische Balance in Südostasien zu bewahren. Nach Pekinger Ansicht will Moskau China einkreisen, um zu einem günstigen Zeitpunkt dis Schlinge um Pekings Hals zuzuziehen. Deshalb hat Peking gegen amerikanische Basen im Fernen Osten nichts einzuwenden.

Es wird sich in Kürze herausstellen, ob Teng zum zweitenmal sang-und klanglos begraben werden wird, oder ob sich der kleine ehemalige Arbeiter der Pariser Renault-Werke zu einem zweiten Mao oder Tschu auswächst. Es sei daran erinnert, daß laut Mao ein heftiger Streit immer die wahre Lage eines Landes widerspiegelt. Der japanischen Presse zufolge ficht Mao derzeit seine letzte politische Schlacht aus. Wer wird siegen? Mao allein? Mao mit Teng? Mao gegen Teng? In Kürze werden wir die Antwort wissen.

Der Pool

In Neu-Delhi beschlossen Vidya Charan Shukla, Informationsminister der Indischen Union, und sein Gast, Muhamed Berberovic, Informationsminister Jugoslawiens, gemeinsam an der Gründung und am Aufbau eines Pools der Presseagenturen der Blockfreien zu arbeiten. Minister Shukla ist der starke Mann der Neuen Ordnung der Indira Gandhi für die Disziplinierung der Presse; der inländischen wie der ausländischen. Er hat die Ausweisung von mehr als einem Dutzend Auslandskorrespondenten verfügt. Shukla ist ein überaus energischer Mann aus Madkya Pradesh, der Provinz der harten Kriegerkasten. In den neun Monaten seit der Proklamation des Ausnahmezustandes hat er die Staatskontrolle über Fernsehen und Radio stählern gehandhabt, die Presseagentur und alle Zeitungen auf den gleichen Ton — auf seinen nämlich und jenen Indiras — trainiert. Berberovic, sein Partner, ist in Jugoslawien der Fachmann für die Kontrolle der Meinungen unter den Nationalitäten, besonders den Minoritäten, der Wächter der journalistischen Gratwanderung zwischen Moskau und westlicher Freiheit. Drei Tage genügten den kongenialen Männern, Plan und Programm für die Zusammenarbeit der Presseagenturen zu verfassen.

Die indische Pressewelt war das echte Szenenbild für das Treffen dieser Informationsminister, die frei über ihre Agenturen verfügten, und für deren Zukunftspläne. Die beiden indischen Presseagenturen sind, um Führung und Kontrolle zu erleichtern, fusioniert und mit dem Monopol der Verteilung von Auslandsnachrichten versehen. In den Zeitungen sind die Besitzverhältnisse und die Redaktionsführungen radikal verändert worden, um selbst im unwahrscheinlichen Fall einer Wiederherstellung der Pressefreiheit die Kontrolle durch die herrschende Gruppe der Kongreßpartei zu sichern. Unliebsamen Journalisten wird die Akkreditierung entzogen. Das bedeutet lebenslängliche Arbeitslosigkeit. Auf Grund dieser Errungenschaften strebt Indien die führende Rolle in dem geplanten Pressepool an, der sich so bald wie möglich in eine Dachorganisation der Agenturen der Dritten Welt entwik-keln soll.

Hier freilich macht Indien die Rechnung ohne den Wirt. Nicht nur Pakistan, sondern auch andere Anrainer, wie Bangladesh und selbst Sri Lanka, haben, durch Indiens Streben nach einer dominierenden Rolle gewarnt, auf Vorsicht geschaltet. Der Plan wird ihnen gefallen, die indische Federführung weniger. Und da wird der Kern des Projektes zum Hindernis für seine Verwirklichung.

Die beiden Informationsminister in Delhi rechnen aber mit der hektischen Aktivität der Blockfreien. Die Vorschläge sollen im März beim „Symposium“ der Blockfreien in Tunis den anderen schmackhaft gemacht werden. Eine eigene Massenmedienkonferenz der Blockfreien soll im Juli in Delhi die grundlegende Arbeit leisten. Und die internationale Konferenz der Blockfreien, im August in Colombo, soll dann freie Fahrt gewähren. Neu-Delhi breitet das Arbeitsgebiet jetzt schon aus. Auch die TV-Dokumentation der Blocklosen soll „gepoolt“ werden.

Bei allen Widerständen und Vorbehalten wird in Tunis und in Colombo die gute Sache die Blockfreien interessieren. Endlich wird es jeder blockfreien Regierung möglich sein, die Informationen aus dem demokratischen Westen zu verdrängen und an deren Stelle doppelt — nämlich vom Ursprungsland sowohl wie Empfängerland — kontrollierte Nachrichten auszustrahlen. Sicherlich werden viele Staaten und Presseagenturen mit den Nachrichtenagenturen aus den kommunistischen Staaten nicht anders verfahren als mit den westlichen. Doch zusammen könnte das Massengewicht der kontrollierten Weltpresse, der kommunistischen und der blockfreien, die Presseagenturen der demokratischen Länder allmählich erdrücken.

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