Rechtsanwälte an die Kandare

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Während die Welt auf Chinas Erdbebenopfer schaut, knöpft sich das Regime kritische Juristen und Bürgerrechtler vor.

Bitte keine Fragen im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen." Die Antwort des Pekinger Juristen bei einem Treffen mit westlichen Journalisten ist eindeutig. Über das seit Jahresbeginn geltende neue Arbeitsvertragsgesetz könne er sprechen. Aber bitte nicht über den Einsatz von Wanderarbeitern bei Olympiabauten. "Das Thema Olympia ist zu sensibel", so seine Begründung. Auch ein Arbeiteraktivist aus der boomenden Ostküstenstadt Qingdao, wo im August die olympischen Segelwettbewerbe stattfinden, will kritische Fragen in dieser heiklen Zeit nicht beantworten. Und nach dem Gespräch bittet er, keine kritischen Äußerungen zu zitieren.

Teng Biao nimmt sich dagegen kein Blatt vor den Mund. Dafür wurde der 34-jährige Pekinger Rechtsanwalt bestraft. Am 31. Mai lief seine jährlich zu erneuernde Anwaltslizenz aus. Teng und seinem Kollegen Jiang Tianyong wurde die Verlängerung verweigert. "Unsere Lizenz wird aus politischen Gründen nicht verlängert", sagt Teng. Er ist in vielen Menschenrechtsfällen aktiv. Vor allem seine Bereitschaft, wegen der Unruhen vom März angeklagte Tibeter zu verteidigen, hat die Behörden erzürnt. "Man will verhindern, dass ich Menschenrechtsfälle übernehme", glaubt er. Laut Human Rights Watch ist die Verlängerung der Lizenzen für mehrere Kanzleien verzögert worden, bei denen Menschenrechtsanwälte arbeiten. Insgesamt sind 500 Anwälte in zehn Kanzleien betroffen. Doch abgestraft wurden nur Teng und Jiang.

Der sanfte Teng, der wie ein braver Musterschüler wirkt, hatte im April einen offenen Brief von 20 Anwälten initiiert. Darin werden die Behörden aufgefordert, sich bei der Strafverfolgung mutmaßlicher tibetischer Randalierer an die Gesetze zu halten, die Unabhängigkeit der Justiz zu achten und Verdächtige nicht zu foltern. Zudem erklären sich die Anwälte zur Verteidigung hunderter Verdächtigen bereit. Teng verteidigte schon Anhänger von Falun Gong, Wanderarbeiter, Christen sowie Menschenrechtsanwälte. 2003 wurde der einstige Karrierejurist von Chinas Justizministerium als "eine der zehn wichtigsten Persönlichkeiten des Rechtswesens" ausgezeichnet.

"Hinter Fassade schauen!"

Teng, der auch Juradozent ist und eine Fachzeitschrift herausgibt, veröffentlichte im letzten September mit dem Aids-Aktivisten und Blogger Hu Jia einen olympiakritischen Text. Der fordert Besucher der Spiele auf, hinter die glitzernde Fassade zu schauen. "Die Spiele bieten die Chance, China weiter für die Welt zu öffnen und der Welt zu helfen, China besser zu verstehen", sagt Teng. "Die Spiele haben aber auch Nachteile, weil mit ihnen die Vertreibung von Menschen für Bauten verbunden ist." Werden die Spiele nicht genutzt, um Menschenrechte einzufordern, werde eine Chance vertan, ist Teng überzeugt. "Ich bin vom Internationalen Olympischen Komitee sehr enttäuscht", sagt er. "Das IOC sollte negative Auswirkungen der Spiele verhindern und wissen, wieviele Menschen dafür umgesiedelt und wieviele Olympiakritiker verhaftet wurden, und dagegen etwas tun."

Laut amnesty international haben bisher "die Spiele nicht als Katalysator für Reformen gewirkt". Im Gegenteil: "Ein Großteil der gegenwärtigen Welle der Repression findet nicht trotz der Olympischen Spiele statt, sondern wegen ihnen." Viele Aktivisten sind festgenommen worden, weil sie Eingaben bei den Behörden gemacht oder versucht haben, internationale Aufmerksamkeit auf anhaltende Menschenrechtsverletzungen zu lenken. Am härtesten sind diejenigen betroffen, die eine Verbindung zwischen Menschenrechtsverletzungen und Spielen gezogen haben. So ist der Slogan "Wir wollen unser Land, nicht die Olympischen Spiele" dem Landrechtsaktivisten Yu Changwa zum Verhängnis geworden. Er wurde zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt.

Schwere Zeit für Aktivisten

Wegen des großen Drucks rechnet Teng zu den Spielen deshalb nur mit Protesten von Leuten, die nichts mehr zu verlieren haben: "Leute, die ihr Land verloren haben oder bereits schon mehrfach im Gefängnis waren." Die Regierung wird diejenigen, die im Umfeld der Spiele protestieren, sehr hart bestrafen, fürchtet Teng. "Bis die Olympischen Spiele beendet sind, werden Menschenrechtsaktivisten eine harte Zeit erleben!"

Tengs Ko-Autor Hu Jia wurde bereits zu dreieinhalb Jahren Haft wegen "Aufrufs zur Untergrabung der Staatsgewalt und des sozialistischen Systems" verurteilt - die Furche berichtete. "Früher hätte Hu Jia eine längere Freiheitsstrafe bekommen", meint der Pekinger Juraprofessor He Weifang, der einer der treibenden Kräfte für Rechtsreformen ist. Er sieht einen Zusammenhang zwischen dem Urteil und den Spielen. Zum einen wolle die Regierung human erscheinen, weshalb die Höchststrafe von fünf Jahren nicht verhängt wurde. Andererseits glaube sie, sich vor den Spielen einen Gesichtsverlust noch weniger als sonst leisten zu können. He: "Die Regierung hat noch keine Art gefunden, richtig mit Bürgerprotesten umzugehen. Die wertet sie für sich immer als Gesichtsverlust."

Laut Teng bedarf es in der westlichen Menschenrechtspolitik gegenüber China sowohl deutlicher Worte wie auch Gespräche im Hintergrund: "Es ist sehr wichtig für die Menschen hier, dass das Ausland Druck ausübt." Westliche Politiker sollten ihren Werten von Freiheit und Demokratie treu bleiben und wirtschaftliche Interessen nicht über die Menschenrechte stellen. "Chinas wirtschaftliche Entwicklung hat den Menschenrechten geholfen", sagt Teng, "aber wirtschaftlicher Fortschritt führt nicht automatisch zu Demokratie."

Im Januar wurde Teng sein Reisepass entzogen. Auslandsreisen sind für ihn nicht mehr möglich. Doch Teng ließ sich nicht einschüchtern. Deshalb wurde er am 6. März von Agenten der Staatssicherheit vor seiner Haustür in ein Auto gezerrt. Mit einem Sack über dem Kopf wurde er für 48 Stunden entführt. Seine Kidnapper verhörten ihn stundenlang und verlangten, dass er nicht mehr mit Journalisten spreche.

Entführungen von Kritikern

Dass Entführungen von Regimekritikern kein Einzelfall sind, zeigte sich jüngst auch beim Blogger Huang Qi aus Chengdu, Hauptstadt der Provinz Sichuan. Huang wurde laut der Organisation "Reporter ohne Grenzen" am 12. Juni von drei mutmaßlichen Angehörigen der Staatssicherheit entführt. Zuvor hatte er auf seiner Webseite 64Tianwang die Behörden für den Umgang mit dem Erdbeben kritisiert.

Die Behörden hatten nach dem Erdbeben in Sichuan vom 12. Mai eine strenge Zensur verhängen wollen. Doch da Journalisten zu schnell vor Ort waren und zahlreiche Berichte im Internet kursierten, musste man davon Abstand nehmen. Die Erdbebenregion wurde dann sogar explizit zum offenen Gebiet für Journalisten erklärt. Peking bekam dafür viel Lob. Doch als sich im Juni die Proteste von Eltern häuften, deren Kinder in schlecht gebauten Schulen verschüttet worden waren, gingen die Behörden nicht nur gegen die Proteste vor, sondern unterbanden auch Berichte darüber in chinesischen Medien und verwiesen Reporter aus einer betroffenen Stadt.

Dabei genießt die Regierung momentan wegen ihrer zunächst angemessenen Reaktion auf das Beben hohes Ansehen. Zudem hat das vom Beben ausgelöste große zivile Engagement zu einem neuen Zusammengehörigkeitsgefühl geführt. Schon zuvor hatte die internationale Kritik an Pekings Tibet-Politik zur Solidarisierung vieler Chinesen mit der Regierung und einem neuen Nationalismus geführt.

Teng glaubt, dass nach den Spielen Nüchternheit einkehrt, und der Druck für Reformen steigt. Die Zivilgesellschaft in China wird laut Teng immer stärker. Der Traum von Demokratie in China, der vor 19 Jahren auf dem Tiananmen-Platz blutig zerstört wurde, werde eines Tages wahr werden, sagt er. Schon heute gebe es mehr Freiheiten als 1989. "Aber nicht durch die Politik der Regierung, sondern weil mutige Bürger sie erkämpfen."

Der Autor ist Asien-Korrespondent der taz.

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