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Teng Hsiao-pings drittes Leben

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Am Abend des 19. Juli verkündete eine über zehn Meter breite Wandzeitung außerhalb des Ministeriums für Außenhandel in Peking eine Nachricht, die schon seit Monaten erwartet worden war: Der 74jährige Teng Hsiao-ping sei in alle seine früheren Ämter wieder eingesetzt worden, als Vizevorsitzender der Partei, Vizepre- mier, Vizevorsitzender des Militärausschusses und Generalstabschef der Befreiungsarmee. Diese Ämterfülle hatte ihm der fähigste Staatsmann der Volksrepublik, der Premier Tschou En-lai verschafft. Dieser hatte Teng 1973 aus der Versenkung geholt, in die ihn die Kulturrevolution (1966-69) gestürzt hatte. Tschou bestimmte Teng zu seinem Nachfolger.

Teng hatte vor seinem ersten Sturz in einer Reihe wichtigster Funktionen bewiesen, daß er einer der fähigsten Männer in der Führungsspitze der Volksrepublik ist. Er hatte noch in West-Europa und in Rußland eine erstklassige Ausbildung genossen. Im Bürgerkrieg führte er die einzige große Feldschlacht gegen die Nationalisten, in der diese ihre besten Divisionen verbluten ließen, setzte tollkühn seine Truppen auf kleinen Schiffen über den Yangtse und besiegelte damit den Sturz Nankings und das Ende der Nationalisten. 1954 übernahm er das Amt des Generalsekretärs der Partei, von 1958-66 versah er auch wichtige Funktionen in der Diplomatie und Finanzverwaltung.

Seine geniale Begabung, seine immense Arbeitskraft, seine Erfahrung auf allen Gebieten der Verwaltung machten ihn zum unentbehrlichen Mitarbeiter Tschous, aber seine Arroganz, seine Rücksichtslosigkeit in der Durchführung seiner Pläne, seine offene Kritik an Gegnern machten ihn in der Kulturrevolution nach Lhi Schao- tschi zum -zweitgehaßten Mann des Landes. Ihm wurde sein aufwendiger, allen Genüssen zugewandter Lebensstil angekreidet, vor allem aber galt ihm der Vorwurf, er sei ein „Kapitalistenknecht”. Sogar als „feindlicher Agent” wurde er bezeichnet, der gleiche Vorwurf, der ironischerweise jetzt auch gegen die Schanghaier Mafia erhoben wird, die die Kulturrevolution angeführt hatte.

Diesen Vorwurf erwarb er sich durch seine Betonung einer pragmatischen Wirtschaftspolitik, in der Leistung und Produktionssteigerung den Vorrang vor puritanischer Orthodoxie im SinneMaos erlangten. Mit Tschou wollte er sein rückständiges Land bis Ende des Jahrhunderts in eine moderne Großmacht umwandeln. Dafür war er bereit, einen hohen Preis zu zahlen: Einführung westlicher Technologie, Steigerung des Außenhandels, Einführung eines achtstufigen Leistungslohnes.

Die Nähe zum „Revisionismus” des gestürzten Liu Schao-tschi ist nicht zu übersehen. Dies ist um so erstaunlicher, als sich Teng in den heftigen doktrinären Auseinandersetzungen in der Zeit des „Großen Sprunges vorwärts” (1958) völlig als Sprachrohr Maos betätigte, die Ausschaltung des Klassensystems der bürgerlichen Rechten forderte, eine „Antirechtsbewegung” anführte und Beamte anleitete, die Theorie zu studieren und sich mit der Praxis allein nicht zu begnügen. Auch die Ausübung von Handarbeit für Studenten und Beamte fand seine Unterstützung. Bis heute sind dies Dogmen der Maoisten.

Daß er später die ausgesprochene Gegenposition bezog, ist vermutlich damit zu erklären, daß alle großen Kampagnen Maos, die Kollektivierung der Landwirtschaft, der Große Sprung und die Kulturrevolution, unfehlbar im Chaos endeten, und daß China r^ur dank dem staatsmänni- schen Genie Tschous, der die Staatsmaschinerie in Gang hielt, dem Zusammenbruch entgehen konnte. Der spätere Teng faßte diese Erkenntnis in den berühmten Satz zusammen: „Mir ist gleich, ob eine Katze weiß oder schwarz ist, wenn sie nur Mäuse fängt.”

So wurde er zum Hauptgegner der Radikalen um Tschiang Tsching, die ihn im letzten April ein zweites Mal zu Fall brachten. Seine Absetzung wurde durch das Politbüro ausgesprochen, ebenso die Ernennung Hua Kuo-fengs zum Partei-Vorsitzenden und Vizepremier. Für beides wäre aber nach der Verfassung der Nationalkongreß und das Zentralkomitee der Partei zuständig gewesen. Das Regime bewegt sich daher heute außerhalb der von ihm selbst festgelegten Legalität.

Der Sieg der Radikalen aber dauerte nicht lange; schon im Oktober wurden sie unter allerlei bizarren Anklagen interniert. Seither ist die Regierung zum Kurs Tschous zurückgekehrt. Die Programme, die in der wichtigen Tat- schingkonferenz vor 7000 Managern entwickelt wurden, tragen bis ins letzte den Stempel von Tschous und Tengs Denken. Deshalb wurde schon lange die Rückkehr ies gemäßigten Teng in seine früheren Schlüsselstellungen erwartet.

Daß dies bis jetzt nicht offen geschehen ist, findet verschiedene Erklärungen. Das gleiche Politbüro, das seine Absetzung aussprach, müßte, wenn es auch inzwischen beinahe auf die Hälfte zusammengeschrumpft ist, seine Fehlentscheidung zurücknehmen, eine harte Nuß für gesichtsbewußte Chinesen. Hua hielt zwar seit Oktober die Schlüsselstellungen des Premiers und Generalstabschefs für ihn offen, scheint aber gleichzeitig in dem überlegenen Mann einen Rivalen zu fürchten. Tengs Rückhalt ist in der Armee und in der Verwaltung verankert.

Das neue Regime trifft offenbar in den Provinzen immer noch auf Widerstand, vor allem bei den jüngeren Kadern, die ihren Aufstieg der Kulturrevolution verdanken. Für sie ist Teng der Inbegriff des bürgerlichen Revisionismus. Deshalb ist die mit Hindernissen gespickte Rückkehr Tengs ein Gradmesser für den Prozeß der Ent- maoisierung; natürlich ist dieses Wort Tabu: offiziell stützt auch das neue Regime seine Politik mit Maos Parolen, aber in der Praxis opfert es immer mehr von Maos Lieblingsideen einer auf Vernunft und realistischen Einschätzung beruhenden Außen- und Wirtschaftspolitik.

Deshalb wurde die Nachricht von Tengs Rückkehr in Japan mit Befriedigung aufgenommen. Fukuda erwartet die Beschleunigung der Verhandlungen über den längst fälligen Friedensvertrag. Ein Blatt in Singapore sieht darin eine Gewähr für zehn Jahre Frieden in Asien, weil von Teng Mäßigung und gesunder Menschenverstand erwartet werden.

Bis zur Stunde ist zwar die Wiedereinsetzung Tengs nur in Wandzeitungen angekündigt. Einige wurden sogar wieder entfernt. Das dürfte bedeuten, daß das Politbüro zwar die Entscheidung gefällt hat, diese aber noch durch die Plenarsitzung des Zentralkomitees der Partei und durch den Volkskongreß (Parlament), deren Zusammentreten schon lange fällig ist, bestätigen lassen will. Diese höchsten Gremien der Partei und des Staates müssen dringend die Lücken, die durch Tod und Säuberung in die Führung gerissen wurden, ausfüllen. Von den fünf Vizevorsitzenden der Partei, die 1973 ernannt wurden, bleibt nur noch der Verteidigungsminister Yeh Tschien- ying. Von den elf Mitgliedern, die vor zwei Jahren den Ständigen Ausschuß des Politbüros bildeten, bleiben noch zwei, Yeh und Hua Kuo-feng. Das Politbüro selbst sah seine Vollmitglieder von 22 auf 12 sinken.

Die Rückkehr Tengs ist in diesem Zusammenhang zu verstehen als Abschluß der inneren Krise nach dem Tod der beiden Vaterfiguren und als Beginn einer neuen Periode, in der sich China der Welt öffnet. Es ist durchaus denkbar, daß damit eine Abkehr von der kommunistischen Ideologie eintritt, doch läßt sich nicht Voraussagen, was die fernere Zukunft bringt, wenn jene Roten Garden in führende Stellungen einrücken, die sich in ihrer Jugend an Maos Idee von der permanenten Rebellion berauscht hatten.

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