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Neujahr im neuen China

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China, das neue China Hua kuo-fengs und Teng Hsia-pings, feiert den Beginn eines neuen Jahres. Am 28. Jänner wird das Jahr der Ziege das Jahr des Pferdes ablösen. In Kinos und Theatern, Festsälen und Familien wird gesungen und getanzt, getafelt und gebechert und mit Knallkörpern viel Lärm gemacht werden. Ein Knallkörper besonderer Art ist Vizepremier Teng selbst: Er wird Neujahr in Washington feiern. Die Öffnung des kommunistischen China nach dem Westen hat in der Weltpresse viele Schlagzeilen gemacht. Über politische, militärische, strategische Perspektiven ist viel geschrieben worden, was aber ist im täglichen Leben der 850 Millionen Festlandschi-nesen 'gegenüber bisher anders geworden? Wenn nicht alles täuscht: viel!

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China, das neue China Hua kuo-fengs und Teng Hsia-pings, feiert den Beginn eines neuen Jahres. Am 28. Jänner wird das Jahr der Ziege das Jahr des Pferdes ablösen. In Kinos und Theatern, Festsälen und Familien wird gesungen und getanzt, getafelt und gebechert und mit Knallkörpern viel Lärm gemacht werden. Ein Knallkörper besonderer Art ist Vizepremier Teng selbst: Er wird Neujahr in Washington feiern. Die Öffnung des kommunistischen China nach dem Westen hat in der Weltpresse viele Schlagzeilen gemacht. Über politische, militärische, strategische Perspektiven ist viel geschrieben worden, was aber ist im täglichen Leben der 850 Millionen Festlandschi-nesen 'gegenüber bisher anders geworden? Wenn nicht alles täuscht: viel!

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Bei einem Bummel durch die Straßen einer chinesischen Großstadt stößt man gelegentlich auf gemalte Plakate, die keine großen politischen Proklamationen ä la Wandzeitung enthalten. Vielmehr weisen zwei gezeichnete Pfeile in entgegengesetzte Richtungen. Der Begleittext verrät dann, daß der Arbeiter Chang 300 km weiter westlich und der Arbeiter Feng 400 km östlich von hier in einer Fabrik eingesetzt sind und gerne ihre Plätze tauschen würden: weil ihre Ehefrauen jeweils am anderen Ort zur Arbeit eingeteilt sind.

Familientrennung aus Produktionsgründen (und sicher nicht nur aus diesen): Das gehört im heutigen China zu den härtesten Belastungen der traditionell stark familienorientierten chinesischen Gesellschaft. Besonders sind auch viele Studenten davon betroffen, wenn sie noch während ihres Studiums heiraten und der Ehegatte dann in eine Fabrik im Süden und die Gattin in eine Kommune im Norden verschickt werden - für Jahre.

Oft heiraten Kommunearbeiter auch Frauen vom Land, werden dann in die Stadt zurückversetzt und erhalten für ihre Familien keine Zuzugsgenehmigung, weil die Behörden eine Übervölkerung, der Großstädte bremsen wollen. Kummer, Korruption und Familienkrisen sind unvermeidbare Folgen einer solchen Politik.

Millionen Chinesen hoffen, daß der neue Wind, der in der Politik bläst, auch hier einen Wandel bringen wird. Die ersten Anzeichen dafür künden sich an. Und vieles ist in der Tat schon anders geworden, seit nach dem Tod von Mao tse-tung im September 1976 das neue Regime um Partei- und Regierungschef Hua Kuo-feng (57) und seinen noch stärker exponierten Vizeministerpräsidenten Teng Hsiao-ping (74) vom 5. Nationalen Volkskongreß der KPC installiert worden sind. Was konkret ist schon anders geworden?

• In den Schulen und vor allem an den Universitäten wird wieder mehr Gewicht auf Sachkenntnis und weniger auf das Auswendiglernen von Mao-Sprüchen gelegt. Es gehörte zu den erdrückendsten Erfahrungen von China-Besuchern in früheren Jahren, daß einem Universitätsprofessoren allen Ernstes weiszumachen versuchten, sie bauten Computer und Satelliten mit Hilfe der Lehrsätze im „kleinen roten Büchlein“.

Die Folgen waren unausbleiblich. Schon Ende 1977 gab der Vizepräsident der Chinesischen Akademie der Wissenschaften, das Politbüromitglied Fang Yi, unverblümt zu, die Si-

tuation im Universitäts- und Forschungsbereich sei derart triste, „daß praktisch von vorn begonnen werden muß“.

Jetzt wird wieder gebüffelt und geprüft. Manche Mittelschulabgänger dürfen sofort und ohne Umweg über Fabriken oder Kommunen mit dem Universitätsstudium beginnen. Viele nach der Kulturrevolution von 1966 geschlossenen wissenschaftlichen Institutionen wurden wieder geöffnet. ♦ • Ein ähnlicher Wandel hat im Arbeitsbereich eingesetzt. Politische Schulung war früher am allerwich-tigsten. Für körperliche Arbeit gab es stark nivellierte Einheitslöhne. „Leistungsprämien sind kapitalistisch“, belehrte vor fünf Jahren ein Revolutionsratsmitglied eine österreichische Journalistengruppe in Schanghai.

Jetzt hat kein Geringerer als Hua Kuo-feng selbst betont, daß die notwendige Modernisierung der Wirschaft Leistungsanreize in Form von

Zulagen und Prämien erfordere. Dazu kam vor kurzem eine Lohnerhöhung zwischen 10 und 20 Prozent für alle Gruppen von Arbeitern - die erste seit zehn Jahren.

• Das freiere kulturelle Klima spiegelt die Wiederausrufung des Mottos „Laßt 100 Blumen blühen“ nicht nur in bunten Kleidern auf den Straßen, sondern auch auf den Theaterbühnen wider. Plötzlich bevölkern wieder Mandarine und heilige Affen die Opernbühnen, wo bisher nur rote Fahnen und Heldenfiguren der proletarischen Revolution tanzen durften: Die traditionelle chinesische Oper mit Liebesgeschichten in feudalem Milieu ist wieder erlaubt!

• Schließlich ist das verstärkte Bemühen der neuen Machthaber um die Aktivierung der Auslandschinesen nicht zu übersehen. Schon in der Vergangenheit spielten die Uberweisungen von “schätzungsweise einer halben bis zu einer Milliarde Dollar im Jahr in Form von Bargeld oder

Geschenkpaketen an Festlandsverwandte eine nicht unerhebliche wirtschaftliche Rolle.

Jetzt hat Peking ganz offen damit begonnen, Chinesen im Ausland für eine Rückkehr oder wenigstens eine Zusammenarbeit mit dem Heimatregime zu gewinnen. „Hua chiao“, also „Reisende“, werden Auslandschinesen von den Zurückgebliebenen traditionellerweise genannt. Dahinter steht ein ähnlicher Gedanke wie hinter dem jüdischen Paschagruß „Und nächstes Jahr in Jerusalem“: Eines Tages werden sie alle im Triumph in ihre Heimat zurückkehren!

Ist dieser Tag nähergerückt? Für die meisten sicher nicht. Aber immerhin umflirtet das Regime ganz offen die drei chinesischen Nobelpreisträger, die alle in den USA wohnen, und laden erfolgreiche Handelstreibende ebenso wie Wissenschaftler und Techniker zu kooperativen Projekten und „Studienaufenthalten“ ein.

Dazu bietet vor allem auch der südostasiatische Raum viel Gelegenheit, wo schätzungsweise 19 Millionen Chinesen Schlüsselpositionen im Handel und Wandel von Burma, Malaysia, Indonesien oder in den Philippinen innehaben. Da sie prozentmäßig in dieser Region im Schnitt nicht mehr als fünf von hundert ausmachen, kann man sich ihren niedrigen Beliebtheitsgrad ausmalen. Die Chinesen-Austreibung von Vietnam muß man auch in diesem Licht sehen, wobei der Protest Pekings an die Adresse eines kommunistischen Nachbarstaates wegen Enteignung einer bourgioisen Händlerschicht politisch nicht ohne Pikanterie ist.

Noch pikanter ist freilich ein anderer politischer Gesichtspunkt: Bisher konnte das Reich Mao Tse-tungs den Kommunisten in der Sowjetunion vorwerfen, sie hätten den Marxismus-Leninismus zugunsten einer konsumorientierten pragmatischen Wohlstandspolitik verraten.

Was aber trennt nun, da der „Gulaschkommunismus“ Chruschtschows auch in Peking gesiegt hat, das kommunistische China von der kommunistischen Sowjetunion?

Die Antwort lautet natürlich: rein machtpolitische Interessen zweier rivalisierender Großmächte. Nicht umsonst gehört daher auch die Umstellung der Verteidigung von einer Guerilla-Volkswehr auf eine moderne Elektronik-Armee neben Agrar-, Industrie- und Wissenschaftsreform zu den „Vier Modernisierungen“ der neuen Politik.

Aber solches kann man weder in Moskau noch in Peking zugeben.

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