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Die große Auseinandersetzung

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Aus dem Nachlaß des im Mai vergangenen Jahres verstorbenen Arztes Prof. Dr. Wilhelm Starlinger erschien vor kurzer Zeit das Buch „Hinter Rußland — China”. Als einer der hervorragendsten Kenner Rußlands und seiner Verbündeten schildert er uns in vortrefflichster Weise das russisch-chinesische Verhältnis, wie er es in seiner bis 1954 dauernden Gefangenchaft im Gespräch mit seinen Freunden kennenlernte. Zunächst behandelt er unter der Ueberschrift „Der Aufbruch Chinas” die Entwicklung des Riesenreiches bis zu Beginn des vergangenen Jahres, also in der Hauptsache den grandiosen Aufstieg Mao Tse-tungs von einem kleinen Partisanenhäuptling zum Beherrscher eines 600-MiIIionen- Volkes. Wohl am eindringlichsten für unser kleines Europa wird das Bündnissystem zwischen China und der Sowjetunion dargelegt, wobei mir als wichtigster Satz der folgende erscheint: „Was soll bei so ungleicher Verteilung der Gewichte erst werden, wenn China einmal voll entwickelt ist, mit Hilfe Rußlands und vielleicht in dreißig Jahren. Ein solcher Bündnispartner bleibt nicht Bündnispartner, denn kein Bündnispartner kann ein solches Uebergewicht vertragen, ohne zu zerbrechen! Sie werden die Kuh (gemeint ist Rußland) erst melken bis zum letzten Tropfen, dann verkaufen und am Ende schlach- t e n.” Dieser schwerwiegende Satz zeigt uns, welche Macht China heute schon ist. Die Sowjets können ihre Freundschaft zu Rotchina nur durch eine gewaltige Tributzahlung in Form einer großzügigen Wirtschafts- und Militärhilfe aufrechterhalten. Ob die russische Volkswirtschaft dazu in der Lage ist, muß bezweifelt werden. Bekommt Mao diese Hilfe nicht oder nur teilweise, so wird er sich wohl oder übel an die freie Welt wenden müssen, um von ihr die erforderliche Hilfe zum Aufbau der chinesischen Volkswirtschaft zu erhalten.

In diesem Zusammenhang ist es natürlich auch wichtig, etwas über die Militär- und Verteidigungspolitik der Machthaber von Peking zu erfahren. Im Sommer 1955 sprach der chinesische Vertreter auf der Warschauer Militärkonferenz. Tschu Deh, zu den versammelten Militärexperten der Ostblockstaaten und sagte unter anderem folgendes: „Ich erkläre feierlich im Namen meines Landes, daß wir mit Ihnen Zusammenarbeiten und alle unsere Verpflichtungen erfüllen werden… der Friede ist unteilbar … und wenn er in Europa verletzt würde und die imperialistischen Länder angreifen sollten, dann wird unser heldenmütiges 600-Millionen-Volk Schulter an Schulter mit unseren Brüdern in Europa Krieg gegen die Aggressoren führen, bis zum Endsieg— hinter uns stehen mehr als 900 Millionen.” Darüber dürfte auch den maßgebenden Männern des Kremls das Lachen vergangen sein! Denn wie können Rußland und alle Ostblockstaaten zusammen, eine Armee von 80 Millionen Mann ab- wehren? Diese gewaltige Zahl soll bis in wenigen Jahren zur Verfügung stehen, zumal seit Einführung der allgemeinen Wehrpflicht am 15. Februar 1955 jährlich vier Millionen Mann zum Militärdienst eingezogen werden. Daher steckt hinter dem Wort „gelbe Gefahr” nicht nur eine leere Phrase, sondern die nackte Wirklichkeit.

In den folgenden Kapiteln, die von Armut und Reichtum Chinas handeln, behandelt der Autor vor allem die wirtschaftliche Entwicklung und die bevölkerungspolitischen Fragen seit der Machtübernahme Maos Zunächst wird an Hand von statistischen Zahlenbeispielen die beginnende Erschließung des Landes aufgezeigt, wobei hauptsächlich auf die rasche Industrialisierung hingewiesen wird. Trotz dieses gewaltigen Tempos auf industriellen Gebieten ist heute immer noch die Mehrzahl der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig. Durch die Bodenreform wurde der gesamte Großgrundbesitz beseitigt und das dadurch gewonnene Land an die Bauern verteilt, so daß heute der Kleinbesitz vorherrscht. Der nächste Schritt war die Zusammenfassung der Bauern zu Kollektivgenossenschaften, wobei man aber sehr behutsam vorging, weil es ja die Bauern waren, die Mao zur Macht verhalfen. Der Reichtum Chinas liegt in der Masse der Bevölkerung. Auf zirka zehn Millionen Quadratkilometer wohnen nach der letzten großen Volkszählung 600 Millionen Menschen, wobei allerdings nicht genau zu beweisen ist, ob die Zahl der Wirklichkeit entspricht. Da das eigentliche China heute stark übervölkert ist, ist die Regierung vor die schwierige Aufgabe gestellt, neues Land zu besiedeln. Dazu dienen die Gebirgs- und Wüstenprovinzen, wie zum Beispiel Sinkiang im äußersten Westen oder die Innere Mongolei. Die Voraussetzung ist aber, daß diese Gebiete durch künstliche Bewässerung in fruchtbares Ackerland verwandelt werden müssen. Dafür ist aber ausreichendes Kapital nötig, das aber nur beschafft werden kann, wenn China sich hochhungert, also der Lebensstandard der Arbeiter und Bauern niedrig gehalten wird oder die russische Hilfe weiter intensiviert wird, trotz dieser Schwierigkeiten sind heute schon Siedler aus den übervölkerten Gebieten in die bevölkerungsarmen Gebiete gebracht worden, die das Land in mühseliger Kleinarbeit in fruchtbares Ackerland zu verwandeln haben. So ist zum Beispiel die Bevölkerung der Stadt Lantschau am Hoangho von

120.0 im Jahre 1937 auf nunmehr 500.000 ange wachsen. In Paotau, der größten Stadt der Inneren Mongolei, entsteht die zweitgrößte Stahl- und Kohlenbasis in Gesamtchina. Auch in Sinkiang sollen bis Ende 1957 unter Ausnützung der leichter erschließbaren Wasserreserven 6 Millionen Hektar Neuland gewonnen werden.

Mit diesen wenigen Hinweisen ist bereits angedeutet, vor welch großen Problemen das Neue China heute steht. Wer also einen Einblick in dieses für die Weltpolitik, den Welthandel und die Weltwirtschaft so wichtige Land erhalten will, wird mit Freude zu diesem wirklich interessanten Buch greifen. Denn es ist für uns Europäer ungeheuer wichtig, daß wir uns mit diesen Problemen beschäftigen, da der asiatische Kontinent für die Zukunft unserer ganzen Welt von größter Wichtigkeit wird.

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