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Afrika - made in Peking

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Dem dezent gekleideten Chinesen, der eben in ausgezeichnetem Englisch mit seinem Gegenüber ein landwirtschaftliches Problem erörtert, bin ich schon einmal begegnet. Obwohl für den Europäer alle Asiaten gleich aussehen, ist es nicht nur der Anzug aus Hongkong, der mich daran erinnert.

Es war nicht hier in Lusaka, es war 1964 in Dar es Salaam, und der sehr ehrenwerte Herr Lin erwies sich nicht nur im Englischen, sondern auch in einer ganzen Reihe von Eingeborenensprachen als passabler Dialektiker, auch dort, wo es um andere Dinge als Landwirtschaft oder Reisanbau ging. Sansibar hatte sich zu eben dieser Zeit am 27. April 1964 unter dem Führer der Sozialrevolutionären „Afro-Shirazi-Partei”, Scheich Abeid Amani Karume, mit Tanganjika zu einer Föderation vereinigt, nachdem es im Jänner des gleichen Jahres nach einem blutigen Staatsstreich gegen das 1963 unabhängig gewordene ehemalige britische Protektorat unter Sultan Sajid Sir Abdullah Ben Chalifa zur Volksrepublik umgewandelt worden war. Die Volksrepublik Sansibar war damit das erste kommunistisch infiltrierte Land, das an der Premierministerkonferenz des Commonwealth teilnahm und von dem „The Guardian” und „The New York Times” im Jänner 1964 schrieben, daß durch diesen kommunistischen Brückenkopf an der Küste Afrikas eine sehr gefährliche Situation geschaffen worden sei. C. L. Sulzberger kommentierte im April 1964 die Lage in der „New York Times” noch deutlicher mit dem Hinweis, daß ungefähr 2000 Araber im Verlauf der Einparteiendiktatur getötet worden seien — ein eigentümliches Ergebnis einer jungen Volksrepublik . . .

Das „Kuba” Afrikas

Mit Agrarfachleuten aus Peking hat in Tansania auch ein Terror gegen die Asiaten begonnen, das „Kuba Afrikas” ist seither nicht das einzige Land geblieben. Der erwähnte Herr Lin trägt den Paß Rotchinas in der Tasche, das erklärt seine Ruhe zum Unterschied von anderen Asiaten in diesen Tagen des Frühjahrs 1968 mit britischen Pässen. Verbitterung herrscht darüber, daß man sie eben erst zu Staatsbürgern zweiter Ordnung gemacht hat und daß die Empfehlungen der Lancaster House Conference vom 19. März 1962 — eine der Grundlagen der Unabhängigkeit für britische Mandatsgebiete — eben nur Papier sind. Übrigens, das Schlag- wort von den britischen Staatsbürgern zweiter Ordnung hat die internationale Juristenkommission in Genf geprägt, als England die Einschränkung der Einwanderung britischer Staatsbürger asiatischer Abstammung aus Ostafrika beschloß.

Herr Lin und seine Kollegen waren keineswegs untätig. Der Reisanbau und die Wirtschaftshilfe waren auch nicht die einzigen Mittel für ihren Erfolg. Einer rotchinesischen Unterwanderung sieht sich nicht nur Tansania gegenüber, sondern auch Uganda, Nigeria, der Kongo und Ghana. In Kenya hat Peking Oginga Odinga angeheuert, der die Chinesischen Kommunisten für seine „Volksrevolution” lautstark zu Hilfe ruft, es ist nur eine Frage der Zeit bis zur Kapitulation. Der Rezept für derartige Aktionen ist einfach und für den, der die Kulturrevolution des Reiches der Mitte verfolgt und eine Landkarte Afrikas zur Hand hat, leicht durchschaubar: Chaotische Zustände sind der fruchtbare Acker, auf denen die rote Saat gedeiht. Wo sich nicht, wie im Kongo und in Nigerien, ein solcher Boden finden läßt, muß er geschaffen werden. An Werkzeugen fehlt es dazu nicht, im Block der Afroasiaten am East River in New York, in einzelnen Ländern, wie in Zambia, wo Vizepräsident Kapwepwe dankbare Hilfe beim Bahnbau, beim Straßenbau und auch durch Anleihen aller Art aus Peking entgegenimmt.

Terroristen operieren auch an den Grenzen Malawis, das sich mit allen Mitteln gegen eine Infiltration zur Wehr setzt, und in Südrhodesien, wo blutige Kämpfe an der Tagesordnung sind und die schwarzen Afrikaner mit wachsender Besorgnis den Befreiern aus dem Lager der Organisation de l’Unitė Africaine entgegensehen, die nicht nur rotchinesische Waffen, sondern auch Sprüche Maos mitbringen, von denen jene aus der Rede des Vorsitzenden Mao Tse-tung über „Die Frage der Nationalen Minderheiten” (1957) schon im Hinblick auf das dort gelöste Problem Tibet besonderem Mißtrauen begegnen müssen. Von Mittel- und Ostafrika breitet sich die rote Welle der Agitation aus, in den Zentren von Marokko, Algerien und der VAR schließt sich der Kreis.

Der schwarze Rassismus, von Peking eifrig geschürt, richtet sich nicht mehr allein gegen Weiße und Gelbe, sondern auch gegen die Schwarzen anderer Stämme, und es nimmt dieser Aufwand Rotchinas nicht Wunder, wenn man die gegenwärtige Situation des schwarzen Erdteils bedenkt und weiß, daß auf ihm noch ungeheure und imgenützte Reserven brach liegen. Daher ist auch England mit seiner verfahrenen Rhodesienpolitik in einer schwierigen Lage, und trotz anderer Gegensätze sind sich die politischen Lager in London einig, daß Gewalt im Süden das Chaos auf dem Kontinent vervollständigen hieße, das dann niemals mehr unter Kontrolle gebracht werden könnte. Seit 1964 haben Diplomaten in Washington und Moskau diese Entwicklung zwar kommen sehen, gegenwärtig aber ist beiden Machtblöcken ein Einfluß unmöglich. Die Zeit der gebundenen Hände nützt Peking in Afrika und hofft, daß ihm dort und eines Tages auch in Asien die Früchte in den Schoß fallen werden. Vielleicht haben auch gewiegte Afrikakenner die Situation nicht ganz so ernst genommen, wie sie sich gegenwärtig darstellt, weil sie wußten, daß die Masse der Schwarzen dem Kommunismus eher ablehnend gegenübersteht. Miaos Parolen aber sind genau das, was zum Zeitpunkt innerer und äußerer Unsicherheit in einigen afrikanischen Ländern gebraucht wird, als Mäntelchen eigener Machtbestrebungen, und es ist beängstigend, zu sehen, wie sie sich gleich einer Seuche ausbreiten. Gemäßigte afrikanische Politiker wehren sich gegen diese Entwicklung, sie kämpfen aber auf verlorenem Posten, und nur der Hinweis, daß die totale Ausweisung Andersfarbiger und der offene Terror in einigen Ländern auch zum totalen Zusammenbruch der Wirtschaft führen kann, weil in nicht genügendem Ausmaß unter der schwarzen Bevölkerung geschulter Ersatz zur Verfügung steht, hat sie ein wenig abgebremst.

Die „Macht aus Gewehrläufen”

So hat sich die angestrebte Unabhängigkeit in einzelnen Staaten, die zweifellos berechtigt war, aber entsprechend hätte vorbereitet werden müssen, vielfach als Bumerang erwiesen. Der Satz „Die politische Macht kommt aus den Gewehrläufen” in den gesammelten Werken Maos bewahrheitet sich in Afrika in diesen Tagen deutlich und wird das Antlitz des Kontinents entscheidend verändern. Weltpolitisch gesehen sind die Stützpunkte Rotchinas auf dem schwarzen Erdteil ein im Entstehen begriffener Brandherd riesigen und gefährlichen Ausmaßes, wirtschaftlich kann gerade für Europa das den Verlust potentieller und bisher nicht genutzter Märkte mit sich bringen, die es eben jetzt gebraucht hätte.

Der Sehr ehrenwerte Herr Lin wird in Kürze nach Peking zurückkehren, und an seine Stelle werden andere treten, denen aber die eingeborenen Politiker schon viel an Arbeit abnehmen. Die Analyse dieser Situation — und diesen Eindruck nimmt der Beobachter aus Afrika mit — ist die Tatsache, daß zwar die Mehrheit der Afrikaner nicht kommunistisch orientiert ist, daß aber eine gewisse Führungsschicht ihre Machtposition nur dann wird halten können, wenn sie sich der rotchinesischen Unterstützung und Methoden bedient. Ernsthafte und wirksame Widerstände dagegen kann man nirgendwo sehen.

Das Afrika von morgen kann in weiten Teilen ein made in Peking sein. Die Ruhe auch in den. noch friedlichen Gebieten, deren es nur wenige mehr gibt, trügt. Über den stahlblauen Himmel ziehen Wolken herauf, die Sturm bringen werden. Die rote Erde könnte sehr bald symbolhaft -für verbrannte Erde sein.

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