6596507-1953_10_04.jpg
Digital In Arbeit

USA in der Verwandlung

Werbung
Werbung
Werbung

Wir bringen auszugsweise diesen Artikel, der unter dem Titel „Die Industrialisierung der Landwirtschaft“ in der Monatsschrift „Merkur“ (Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart, Jänner 1952) erschienen ist, weil er ein ungewöhnlich eindrückliches Bild vom inneren Strukturwandel Amerikas vermittelt und die Richtigkeit dieses Bildes mit guten Angaben beweist. Ob freilich die Schlußfolgerungen notwendig so gesehen werden müssen, scheint uns fraglich.

Die „Furche“ Man hat das Gefühl, daß Amerika den schönsten Stein aus seiner Krone verliert, wenn die Farm nicht bleibt, was sie für die Väter gewesen ist. Es waren die Farmer, die Amerika bevölkert haben; es waren Farmer, die seine Grenzen von den Appalachen vorgeschoben 'haben bis zum Pazifik. Man braucht nur eine vielgelesene Wochenschrift wie die „Saturday Evening Post“ in die Hand zu nehmen und die Titelbilder anzusehen, um eine Vorstellung davon zu erhalten, was die Farm im amerikanischen Leben bedeutet: von 52 Bildern werden wenigstens 20 die Farm, das Farmhaus oder den Farmer glorifizieren, und sei es auch nur durch ein rot-schwarz kariertes Hemd. In Worte übersetzt, sagen alle diese Bilder: „Wir Amerikaner haben es vielleicht nicht verhindern können, daß uns Handel und Industrie über den Kopf gewachsen sind und zu viele von uns zu Angestellten gemacht haben: aber hier auf der Farm ist noch Freiheit und all das Glück, für das der Name Amerika nur ein anderes Wort ist.“

Aber was haben nun die Statistiken dazu zu sagen? Schlägt man einen der bekannten Almanache nach, so hat man den Eindruck, daß sich die Dinge tatsächlich so verhalten, wie die Legende will. Die Zahl der Farmen hat sich von 1850 bis 1950 fast vervierfacht und die Anbaufläche auch. Da sich die Zahl der Bevölkerung in der gleichen Zeit etwa versechsfacht hat, so könnte man, unter Berücksichtigung der langsameren Entwicklung des Landes, vermuten, daß die Entwicklung mit anderen Produktionszweigen ungefähr parallel gegangen ist, Auch scheinen die Produktionsziffern der wichtigsten Produkte das zu bestätigen. Aber das wäre eine sehr oberflächliche Interpretation von Ziffern. Ginge es nur darum, nachzuweisen, daß sich die Anbauflächen und dje Produktionsmengen erhöht haben, so könnte die Sowjetunion mit Zahlen aufweisen, die ebenso imponierend •sind. Aber darum geht es nicht. Die Frage läutet nicht: Um wieviel ist die Produktion usw. gestiegen, sondern wie verteilt sich diese Produktion auf die Farmbevölkerung? Nur dann wäre man in der Lage, zu beurteilen, ob sich, entsprechend der Vervielfachung von Land, Leuten und Produktionsmengen, auch jene Güter vervielfacht haben, um derentwillen der Farmer arbeitet und die Crevecoeur als „Eigentum, unveräußerliches Recht und Unabhängigkeit“ bezeichnet hat.

Der US-Census of Agriculture (1945) läßt keinen Zweifel darüber, daß dies nicht der Fäll ist. Die Zahl der mittleren und kleinen Farmen nimmt nicht zu, s o n d e r n rapid ab. Farmen von etwa 40 ha repräsentierten noch 1920 17,1 % der gesamten anbaufähigen Fläche und umfaßten 1945 nur 11,4%. Dagegen nimmt die Fläche der Großfarmen ständig zu. Sie betrug 1920 23,1% und erreichte 1945 40.3%. Gleichzeitig vermehrte sich die Zahl der Farmen von mehr als 400 ha von 67.405 im Jahre 1920 auf 122.899 im Jahre 1945, so daß heute etwa 2% aller Farmer Besitztitel über mehr als vier Zehntel des gesamten verfügbaren Bodens haben. Parallel mit dieser Eigentumsverschiebung geht selbstverständlich die der Produktion: während 50,4% aller Farmer nur 10,4% des totalen Wertes landwirtschaftlicher Produkte erzeugen konnten, produzierten 2% nicht weniger als 25% dieses Wertes.

Mit anderen Worten: Es kann auf keine Weise mehr geleugnet werden, daß der Konzentrationsprozeß des Kapitals, den man seit einem Jahrhundert in der Industrie verfolgt, in Amerika auch auf die Landwirtschaft übergegriffen hat und dort genau die gleichen Erscheinungen wie in der Industrie zeitigt. Der Farmer stirbt langsam aus, so wie der Handwerker bereits gestorben ist, und mit ihm „Eigentum, unveräußerliches Recht und Unabhängigkeit“.

An diesem Punkt, an dieser entscheidenden Wendung des amerikanischen Lebens setzen nun die Gedankengänge und Argumente eines Buches ein, das in vielfacher Hinsicht größte Beachtung verdient: Rene D umonts „Les Lecons de l'A g r i-culture Americaine (Flammarion, Paris 1950). Trotz der Eindeutigkeit und Rigorosität aller Zahlen nämlich schien es bisher, als ob es doch noch eine Tür geben könne, um den Farmer zu retten. Es gab eine beträchtliche Anzahl Autoren, die nicht nur überzeugt waren, daß Subventionen das Wunder vollbringen könnten, sondern auch die Ansicht vertraten,' daß man dem Anwachsen des Großgrundbesitzes auf die gleiche Weise steuern kann wie dem Anwachsen der Trusts: daß es also nur einer entsprechenden Gesetzgebung bedarf und der erforderlichen Mittel für die Exekutive, um mit dieser neuen Hydra fertig zu werden.

Dumont zeigt nun, daß dies nicht möglich ist. Es wird verhindert durch die Mechanisierung der Landwirtschaft, die in den Staaten unaufhaltbar ist. Allein die Zahl der Traktoren, von einigen Dutzend anderer Maschinen ganz zu schweigen, ist von einer Viertelmillion im Jahre 1920 auf mehr als einundeinhalb Millionen im Jahre 1940 gestiegen.

Man muß, um die ganze Bedeutung des Vorgangs zu begreifen, sich daran erinnern, was die Mechanisierung des Handwerks, die Industrialisierung, bedeutet hat. Der gleiche Prozeß vollzieht sich nun durch die Industrialisierung der Landwirtschaft. Eine riesige Maschine wie die „Combine“ produziert nicht billiger, sondern teurer als eine Gruppe von Landarbeitern. Die Verbilligung tritt nur dadurch ein, daß der Faktor der Menge berücksichtigt wird, der hier identisch ist mit der Expansion der zu bearbeitenden Fiäche. Es ist daher prohibitiv teuer, zwei' Hektar mit der Maschine zu bearbeiten, aber es ist unendlich billig, wenn man über tausend Hektar verfügt. Mit anderen Worten: Die landwirtschaftliche Maschine führt zum Großgrundbesitz zurück. Abermals diktiert die Maschine, was getan werden muß, und nicht der Mensch der Maschine.

Die Arbeit Dtimoivs — die eine rein fachwissenschaftliche Arbeit ist (er wurde von der französischen Regierung nach Amerika geschickt, um die Industrialisierung zu studieren) — besteht nun darin, die gegenwärtige Situation in den Staaten zu' beschreiben und zu analysieren.

Das Ergebnis dieser Untersuchungen ist nun überall das gleiche: daß nämlich, von ein paar speziellen Produkten abgesehen, die intensive Landwirtschaft, die Europa bevorzugt, mit der industrialisierten Amerikas nicht konkurrieren kann.

Von gleicher unabsehbarer Bedeutung ist die Industrialisierung für die Landarbeiter. Aber der Parallelismus zwischen Industrie und industrialisierter Landwirtschaft läßt sich in diesem Falle nicht mehr verfolgen. Im Gegensatz zur Entwicklung der letzten

150 Jahre, die zwar den Handwerker brotlos gemacht, hat, aber imstande war, ihn als Arbeiter zu absorbieren — und sogar unendlich viel mehr Arbeiter zu absorbieren, als es jemals Handwerker gegeben hat —, ist die industrialisierte Landwirtschaft nicht imstande, dem Arbeiter einen Ersatz zu bieten. Der Grund ist, daß in der Landwirtschaft die Expansion auf die der einzelnen. Farmen beschränkt ist und an dem Umfang der nationalen Anbaufläche ihre Grenzen hat. Diese Anbaufläche kann nur durch Kriege erweitert werden. Aber solange dies nicht geschieht, muß jede landwirtschaftliche Industrialisierung einen sehr hohen Prozentsatz aller Landarbeiter zwangsläufig brotlos machen, da ja die Anbaufläche stets die gleiche bleibt und die Maschine die Zahl der benötigten Arbeitskräfte auf ein Minimum reduziert. Und dieser Prozeß ist auch bereits seit Jahren nachweisbar. Allein der Traktor hat in Texas in sieben Jahren (1926—1933) etwa 10.000 Arbeiter eliminiert. In Iowa sollen nicht weniger als 20.000 eliminiert worden sein. Man behauptet sogar, daß die Einführung der „Combine“ in Kansas etwa 150.000 Menschen um ihr Brot gebracht habe. Allein von 1949 bis 1950 sank die Zahl der Landarbeiter von 8,4 Millionen auf 7,1 Millionen (US-Census 1950). Ein extremer Fall, der aber die Situation gut illustriert, ist die Campbell Corporation, die 24.000 ha kultiviert, also ein kleines Königreich, und für diese enorme Fläche, die aus technischen Gründen in drei Farmen von 8000 ha aufgeteilt ist, nicht mehr als- 3© Angestellte braucht und ein Maximum von 120 Saisonarbeitern für die Ernte. Dumont zieht daraus den richtigen Schluß: „Die Bewirtschaftung wird damit mehr eine Kapitalfrage als eine Arbeitsfrage. Die Landwirtschaft tritt in die kapitalistische Phase, von der man bisher angenommen hatte, daß sie auf Handel und Industrie beschränkt ist“ (S. 145). Die landwirtschaftliche Industrialisierung erlaubt eben durch ihre mechanisierten Methoden „nicht nur viel größere Flächen zu kultivieren, sondern der ökonomische Vorteil des Betriebes wächst auch ... mit der Größe der Fläche“ (S. 104). Das aber heißt: „Es werden nicht nur weniger Landarbeiter gebraucht werden, sondern auch weniger Landwirt e.“

Amerika war zu 98% ein Agrarland, als es begann. Von ein paar verlorenen Handwerkern und Kaufleuten abgesehen, war jeder Bürger ein Farmer. Noch 1910 betrug die ländliche Bevölkerung 35%, 1949 dagegen nur noch 19%, ein Jahr später bereits nur 18%. „In einer Generation werden die Vereinigten Staaten ... nicht mehr als 8 % Landwirte haben“, zitiert Dumont einen Experten. Man wird nicht mehr brauchen und ist sogar stolz darauf.

Es ergibt sich aus allen diesen Zahlen, daß der traditionelle amerikanische Farmer, der Eckpfeiler der gesamten amerikanischen Zivilisation, dessen Frontier-Arbeit das Land seine Größe verdankt und den jede Generation bis auf unsere Tage glorifiziert hat, der Vergangenheit angehört. Bereits heute können amerikanische Agronomen in der Existenz kleinerer Farmen nichts anderes mehr sehen als ein Produktionshindernis, ein atavistisches Residuum aus vergangenen Zeiten, das die Nation nur Geld kostet, und so schnell wie möglich beseitigt werden sollte. Solche romantischen Gebilde können nicht mehr rentieren. Und sie rentieren tatsächlich nicht. „Man sagt von einem Farmer (in Iowa), daß er gut reüssiert hat, wenn er am Ende seines Lebens imstande war, das Inventar, den Viehstand und den Grund und Boden ohne Hypotheken sein eigen zu nennen. Dieser Fall ereignet sich jedoch nicht allzu häufig.“

Man darf also behaupten, daß die amerikanische Ackerbaukolonisation wahrscheinlich ihrem Ende recht nahe ist. Was das für Folgen haben wird, kann niemand voraussehen. Roscher schrieb vor genau 60 Jahren: „Nach meiner Ansicht wird die proletarischkommunistische Gefahr, der freilich bald der Cäsarismus folgen würde, für Nordamerika dann erst bedeutend werden, wenn seine Ackerbaukolonisation ihr Ende erreicht hat“ (Politik, S. 453). Die kommunistische Gefahr für Nordamerika ist fiktiv, aber die Fiktion ist groß genug, um einen Cäsarismus amerikanischer Prägung nicht unwahrscheinlich zu machen.

Man pflegt von Revolutionen zu sprechen, wenn sich ein Regierungswechsel unter Rauchentwicklung vollzieht und ein paar Leute auf der Straße liegen bleiben. Aber große Revolutionen vollziehen sich lautlos. Und die Industrialisierung der Landwirtschaft ist eine solche. Sie wird nicht nur das Antlitz Amerikas, sondern das der Welt verändern. Nicht nur der amerikanische Farmer, sondern auch der Bauer in Europa und Asien wird langsam verschwinden, öder fast verschwinden. Ein ganzer Stand, der . ehrwürdigste der Menschheit, der alle Revolutionen von Jahrtausenden erlebt hat, wird auf den Schutthaufen der Geschichte g«' worfen werden, und mit ihm wird sich alles in Asche auflösen, was zur Welt dieses Standes gehörte: vor allem das bißchen mühselig erarbeitete Freiheit, das ein einziger Hektar Land geben kann. Das letzte Reservoir der Menschheit, ihr numerisches sowohl wie ihr moralisches, wird geleert werden.

Man darf diese Prophezeiung wagen, weil man bereits bemerkt haben wird, daß die amerikanische Entwicklung vollkommen parallel mit der russischen geht. Um die „Getreideschlacht“ zu gewinnen, hatte man in Rußland bereits im Jahre 1930 die vielen Millionen kleiner privater Landgüter (Rußland hatte 110 Millionen Bauern!) zu 242.000 Kolchosen oder Kollektivfarmen reduziert, denn nur auf diesen Riesenfarmen rentierte die Industrialisierung, ohne die die Schlacht nicht gewonnen werden konnte. Und sie wurde selbstverständlich gewonnen — in weniger als fünf Jahren — mit einer Steigerung von 215 Millionen quintal auf 308 Millionen. Der Zufall will es sogar, daß einer der modernsten Landwirte Amerikas, jener General Campbell, der der oben erwähnten Campbell Corporation seinen Namen gegeben hat und noch heute ihr Generaldirektor ist, damals als Techniker Mitglied des wichtigsten russischen Landwirtschaftsbüros war, das die Aufgabe hatte, die Verteilung von Traktoren und anderen Maschinen für die sowjetische Hülsenfruchtproduktion zu organisieren. Er hat die russischen Methoden anscheinend nach Amerika gebracht, wo ihr Erfolg natürlich der gleiche sein mußte wie in Rußland; denn es ist für den Erfolg der Industrialisierung vollkommen gleichgültig, ob an der Spitze des landwirtschaftlichen Unternehmens ein vom Staat oder ein von einer Aktiengesellschaft ernannter Manager steht. Worauf es ankommt, ist vielmehr die Reduktion kleiner Farmen zu einer gewissen Anzahl von Großfarmen und die Bewirtschaftung dieser Großfarmen nach den rationalen Prinzipien, die durch die Anschaffungskosten der Maschine diktiert werden. Und zwar ohne jede Rücksicht auf das Wohl und Wehe des Individuums. Nicht die Persönlichkeit zählt, sondern die Produktionsmenge. Es dürfte sich sehr bald zeigen, daß das schöne Wort von dem „höchsten Glück der Erdenkinder“ der Schwanengesang der Persönlichkeit gewesen ist.

Wie konnte man so viel Genie besitzen, daß man, wie Tocqueville in seiner „Demokratie in Amerika“, bereits im Jahre 1836 schreiben konnte: „Zwei große Nationen, die an ganz verschiedenen Enden beginnen, marschieren auf dasselbe Ziel los: dies sind die Russen und die Amerikaner...“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung