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Die Organisation in der russischen Landwirtschaft

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Der von Dr. C. Troll unter dem Titel „Die Zeitnorm des Sowjetbürgers“ in Nummer 51 der „Furche“ erschienene Aufsatz dürfte eine der wichtigsten Seiten der sowjetischen Wirtschaft beleuchtet haben, deren Hauptzweige, grob gesehen, Landwirtschaft und Industrie sind, letztere als Rohstoff erzeugend und verarbeitend gedacht. Besonders in der Industrie sdieint das System der genormten menschlichen Leistung mit größter Konsequenz eingeführt, ist doch der Gedanke der Leistungsmessung seit je eng mit der Maschine verknüpft. Von hier mag es nur ein kleiner Sprung zum Menschen gewesen sein, ohne Rücksicht auf etwaige Bedenken gegenüber einer solchen Gleichsetzung. Der in Fragen der Fabriksorganisation einigermaßen Bewanderte kann sich von der Struktur der sowjetischen Industrie ohne weiteres ein Bild machen, wenn er ihr die beiden Prinzipien der Leistungsnorm und des Produktionsplanes zugrunde legt und außerdem berücksichtigt, daß seit der Sowjetisienjng viele Großbetriebe errichtet worden, sind (selbstverständlich Landes- beziehungsweise Staatsbesitz),, die in den , betreffenden' Pro-'' duktionszweigen vielfach monopolistische Stellung einnehmen. Wie aber sieht die wirtschaftliche Organisation auf dem Agrarsektor, dem bedeutendsten russischen Wirtschaftszweig aus?

Ähnlich wie bei der Industrie die totale Verstaatlichung, mag hier die K om munis ier.ung des Besitzes der primäre Gedanke gewesen sein. Die kleineren und größeren Landbesitze der einzelnen Bauern sind züsarrimengelegt worden zum — in der ganzen Welt so häufig zitierten — Kolchos (etwa: Gemeinwirtschaft), die größeren Liegenschaften des ehemaligen Adels und der Gutsbesitzer wurden zumeist in Sowchose (sinngemäß: Staatsgüter) verwandelt. Der Kolchos ist also im engeren Sinne als Kommunalbesitz, der Sowchos als Landesbesitz anzusprechen. Sie bilden die Zellen der sowjetischen Landwirtschaft.

Die gemeinsamen Merkmale beider Ör- ganisationszellen sind die jeder wirtschaftlich im Unternehmung: Selbstbilänzierung, Gewinn- und Verlustrechnung, Haushaltsplan, Arbeitsplan, Rentabilitätserwägungen usw. Da die gesamte Wirtschaft staatlich gelenkt wird, gibt es auch hier nur offene Kostenberechnung sowie Verantwortlichkeit nach oben in jeder Hinsicht. In der Leitung eines jeden Kolchos und Sowchos befinden sich ein Direktor und ein Buchhalter, dann — je nach Umfang des Objekts — Agronome oder auch Agro- techniker, Normrechner, Planer, Spezialfachleute, Statistiker usw. mit mehr oder weniger Dispositionsbefugnissen; sie beziehen Tarifgehälter, etwaige Prämien und Deputate. Die beteiligten Bauern, in ihrer nunmehrigen Eigenschaft als Maschinen- lenker, Erntearbeiter, überhaupt Landarbeiter aller Art, erhalten Entgelt vor allem in landwirtschaftlichen Produkten, gemäß der vollbrachten Leistungen. Die Ernteerträgnisse werden dem Staate zu den gesetzlichen Preisen abgeliefert. Finanzielle Jahresgewinne, nach Abzug genehmigter Rücklagen für Investitionen usw., gehören dem Staate, der anderseits auch etwaige Verluste zu decken Hat. So besteht der praktische Unterschied zwischen Kolchos und Sowchos bloß im zuweilen größeren Gelände des letzteren (das ja vom Großgrundbesitz stammt) mit Angeworbenen Arbeitskräften und darin, daß der Sowchos neben landwirtschaftlicher Produktion meist wichtige Sonderaufgaben hat in agrotechnischer Hinsicht: Saatzucht, Versuchsfelder, praktische Forschungsarbeit und anderes mehr und demgemäß über mehr und speziellere Maschinen und Einrichtungen verfügt.

Zu modernen landwirtschaftlichen Unternehmen gehören aber auch Maschinen und zu diesen die Antriebskräfte; ja aus Art und Menge der im Verhältnis zur Fläche vorhandenen Maschinen können Schlüsse auf die Ausbeutungsmöghchkeit des Bodens gezogen werden; welches nun die Gründe des zahlenmäßigen Rückganges des Zugtiermaterials in Rußland auch sein mögen, Tatsache ist jedenfalls, daß das Ziel der vollkommenen Maschinisierung in bezug auf Kraftquellen genau wie das der vollkommenen Mechanisierung in bezug auf Arbeitsvorgänge in der sowjetischen Landwirtschaft angestrebt wird.

Das System der Versorgung mit Arbeitsfnäschinen, Motoren und Brennstoffen ist folgendermaßen organisiert: an zweckmäßig gelegenen Punkten befindet sich die MTS (das heißt Motoren-Trak- toren-Station), eine Werkstättenanlage etwa im Ausmaße unserer Reparaturwerkstätten auf dem Lande, die eine oder mehrere Kolchose zu bedienen hat und zu diesem Zwecke dhįen entsprechenden Park an Landmaschinen, vor allem Traktoren, besitzt. Diese in vorschriftsmäßigem Zustande zu halten und saisonweise,, an die Bedarfsträger (Kolchos, Sowchos) zu verpachten und außerdem die planmäßigen mittleren Reparaturen an den. kolcfros-sowchos-eigenen Maschinen durchzuführen, ist Aufgabe der MTS. Da besonders die Traktorenlenker und -lenkerinnen ifn Reparaturdienst ausgebildet sind, gehen sie während der Zwi- schensaison-Standzeiten mit ihren Maschinen zur MTS in die Werkstatt, so daß die MTS als solche keinen größeren Stamm an Facharbeitern zu halten braucht. Die planmäßige größere Reparatur, meist mit Schliff der Motorzylinder und Kurbelwelle verbunden, zu denen schon präzisere Spezialmaschinen notwendig sind, ist Sache der etwas seltener auftretenden M T M (Motoren-T raktoren-Meisterwerkstatt), die über die betreffenden Einrichtungen und Prüfgeräte verfügt. Sie hat im Gegensatz zur MTS einen größeren Fachkräftestamm im Lohnverhältnis, aber keinen eigenen Landmaschinenpark wie diese,; MTS .und MTM sind also die Zellen des Landmaschinendienstes; sie stellen ebenfalls selbständige, eigenbilanzierende Unternehmungen dar mit planstellenmäßigem Direktor, Buchhalter, Normrechner usw. Die sogenannten N a p h t h a b a s e n,, ein über das ganze Land verteiltes Großtankstellensystem, sorgen schließlich für die Brennstoffbelieferung.

Kolchos, Sowchos, MTS, MTM und Naphthabasis, die lokal sehr enge Zusammenarbeiten, manchmal teilweise territorial zusammengelegt sein können, bilden die augenfällige netzförmige Struktur in der Organisation der sowjetischen Landwirtschaft. Das Bild wird vervollständigt durch ein gesondertes Verteilungsnetz für neue Maschinen und Ersatzteile, die, hauptsächlich bereits von der landeseigenen Industrie hergestellt, von

Kolchos, Sowchos, MTS usw. abgenommen werden. Der kaufmännische Verkehr mit der Industrie sowie zwischen Kolchos, MTS, Naphthabasis usw. untereinander ist, wie zwischen allen Betrieben der Sowjetunion, durch Verrechnungsbasis charakterisiert, und zwar mittels Schedes über die Staatsbank, beziehungsweise deren Filialen, verläuft also praktisch bargeldlos, wodurch sich der Staat eine weitere, sehr einfache Kontrollmöglichkeit auf Grund der Geldgebarung geschaffen hat. Oberste Instanz für sämtliche landwirtschaftlichen Betriebe ist das Landwirtschaftsministerium.

Die „Netzstruktur“ in der Betriebsorganisation der sowjetischen Landwirtschaft läßt sich, dem äußeren Eindrücke entsprechend, sehr gut in Kartenform darstellen. Dadurch gewinnt man erst voll die

Überzeugung von einem groß angelegten, über fast zwei Kontinente verbreiteten Produktionsbetrieb — einer riesigen Brotfabrik. Der industrielle Charakter wird durch die Mechanisierung und Maschinisierung noch vervollkommnet, Leistungsnorm und Arbeitsplan herrsdien in der industrialisierten Landwirtschaft sdion fast wie zum Beispiel in der Eisenindustrie, Großplanung und Lenkung geschehen in absoluter Form von oben her. Dies ist gewissermaßen der innere Mechanismus der Fabrik. Rußlands bedeutendster Wirt- sdiaftszweig, die Landwirtschaft, ist zur Industrie geworden.

Landwirtschaftliche Mammutbetriebe gibt es auch sonstwo in der Welt. Sie sind aber nicht vergemeinschaftet. Lenin sagte, das Land gehöre den Bauern, und er hat es ihnen gegeben, zwar nicht parzelliert als Einzelbesitz, sondern in Blocks, den heutigen Kolchosen. So hat nicht einer viel oder wenig, sondern alle haben alles. Vor- und Nachteile der Systeme mit privaten und vergemeinschafteten Objekten sowie Produktionsmitteln sind jedem Volkswirt- sdiaftler bekannt und vielfach öffentlich diskutiert worden. Sie treffen auch für die Landwirtschaft zu. Doch in besonders auffälliger Weise wirkt sich der, wenn auch sowjetisdierseits bestrittene Mangel an persönlicher Initiative aus. Er erscheint dem unvoreingenommenen westlichen Beobachter' gegenüber als das Fehlen der bei landwirtschaftlichen Betrieben so gewohnten sauberen Ordnung in Hof und Feld. Weder die orientalische Großzügigkeit noch die drückende Lage der Gegenwart noch der Hinweis, daß die Realisierung des praktischen Kommunismus bislang nicht abgeschlossen sei, dürften genügende Begründungen dafür sein: wir können sie nur in der Beseitigung des Privateigentums sehen. Gerade die bäuerliche Liebe zu Scholle und Pferd kann durch Wanderpreise im Leistungswettbewerb und durch Liebe zum Traktor, selbst wenn dieser, geschmückt, den verdienten Kolchosbauern zur letzten Ruhestätte bringen mag, doch kaum ersetzt werden. Audi das beste System der Bevorzugung bei Uberleistung, der Benachteiligung bei Unterleistung wird, für den Bauer wenigstens, das bleiben, was es ist: Maßnahme von außen her, ohne jede seelische Auftriebskraft, wie sie dem Verhältnis zum eigenen Boden entspringt und zu mehr als zur Erhaltung der Ordnung im Betrieb notwendig ist. Das ist es, was die berechtigten Zweifel über den Wert des inneren Medianismus der großen Brotfabrik aufkommen läßt und das Gesamtergebnis der Sowjetischen Organisationspolitik in der Landwirtsdiaft in so schwer schätzbarem Maße herabdrückt.

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