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Österreichs „Mezzogiorno

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Wenn in Oesterreich von einer lokalen wirtschaftlichen Uebervölkerung gesprochen werden kann, dann nicht etwa mit Blick auf Wien, den „Wasserkopf“ von einst, sondern unter Bezug auf das Burgenland. Die im Burgenland gegebenen wirtschaftlichen Bedingungen reichen nicht aus, um die vorhandene Bevölkerung so zu versorgen, 'daß die Burgenländer den Anschluß an die mitteleuropäischen Konsumgewohnheiten unserer Zeit finden können. Im Burgenland herrschen Verhältnisse, die, mit den Verhältnissen im übrigen Oesterreich verglichen, von gleicher Art sind, wie sie in Süditalien, dem „Mezzogiorno“, im Vergleich zum Norden des Landes bestehen.

Die Folge ist eine noch immer andauernde „B u r g e n 1 a n d f 1 u c h t“, eine besondere Form der Landflucht, wie sie nur der „Höhenflucht“ in den Alpen vergleichbar ist.

Noch immer ist die Landwirtschaft die Grundlage der burgenländischen Wirtschaft. Die Größe des landwirtschaftlichen Ertrages und die Art seiner Verteilung sind aus diesem Grund für die Lebenshaltung der Burgenländer von maßgeblicher Bedeutung. Eine Analyse der Landwirtschaft im Burgenland hat daher auch heute das Gewicht einer Analyse der Wirtschaftsgrundlagen des Landes schlechtweg. Freilich sind die Zuschüsse von Burgenländern, die außerhalb der engeren Heimat ihrem Erwerb nachgehen, von wachsender Bedeutung. Auch hier drängt sich ein Vergleich mit Süditalien auf.

Wegen der Bedeutung, welche die Landwirtschaft fm Burgenland für dieses noch immer hat, bildet daher eins von der S o z i a 1 w i s-senschaftlichen Arbeitsgemeinschaft (SWA) herausgegebene Sonderschrift „Die Agrarstruktur des Burgenlandes“ eine höchstwillkommene Materialsammlung, um so mehr, als die Gliederung der Arbeit und die von den Autoren gezogenen weitreichenden Schlußfolgerungen die Eignung haben, Grundlagen von Dispositionen zu bilden, um die Bewohner der relativen Elendszone Burgenland an der Prosperität in Oesterreich Anteil nehmen zu lassen.

GROSSGRUNDBESJTZ UND,.ZWERGBAUER

'Die“ Agrarprobleme Ttti Bürgeriland sind vor allem durch zwei Tatsachen charakterisiert: durch das Vorhandensein eines sehr bedeutenden privaten Großgrundbesitzes auf der einen Seite und durch das fast völlige Fehlen bäuerlicher Großbetriebe auf der anderen Seite, jener Betriebe also, die erst eine „Ackernahrung“ bilden und geeignet sind, so viele Güter insbesondere für den Markt zu produzieren, daß die Eigentümer in der Lage sind, ihre Lebenshaltung an den durchschnittlich gestiegenen Lebensstandard anzupassen.

Der Großgrundbesitz ist im Burgenland so gut wie ausschließlich in den Händen von privaten Eigentümern. Kirchlicher und staatlicher Großgrundbesitz fehlen fast zur Gänze. Die landwirtschaftliche Nutzfläche, die sich derzeit im Eigentum des Fürsten Esterhäzy befindet, umfaßt 17.000 Hektar. Die Bewirtschaftung des Großgrundbesitzes erfolgt sowohl im Eigenbetrieb der Eigentümer wie auch durch Pächter. Nicht weniger als 12,2 Prozent der Bodenfläche des Burgenlandes sind als Pachtgrund bewirtschaftet. Der gesamtösterreichische Durchschnitt beträgt 4,7 Prozent (in Tirol sind es 2,1 Prozent). Nach Abzug der im Eigentum des Fürsten Esterhäzy befindlichen Pachtgründe beträgt der Umfang der in Pacht betriebenen landwirtschaftlichen Nutzfläche noch immer 6,4 Prozent. Großbäuerliche Betriebe gibt es so gut wie keine, also Betriebe in der Größenordnung von 20 bis 100 Hektar. Dagegen ist die Zahl der Mittelbetriebe (5 bis 20 Hektar) verhältnismäßig groß.

Der typische burgenländische Bauer ist Kleinbauer. Daneben gibt es die bedeutende Gruppe der Eigentümer von Zwergbetrieben (bis zwei Hektar), die man aber kaum mehr als Bauern ansprechen kann, was sich darin zeigt„ daß die Eigentümer dieser Betriebe meist in Lohnarbeit stehen, im Dorf selbst und massenweise außerhalb desselben, etwa in Wien. Wenige finden — so durch die Pflege von Sonderkulturen — ein Auskommen, wie die Weinbauern. Von 100 in der Landwirtschaft Tätigen, das heißt Bauern, sind 39 nebenberuflich beschäftigt. In Niederösterreich sind es nur 20.

Die Ursache des Entstehens von Klein- und Kleinstbetrieben liegt — wie man annimmt — vor allem in der R e a 11 e i 1 u n g, in der besonders im Burgenland merkbaren Gewohnheit, den Grundbesitz nach dem Ableben des Eigentümers auf die Erben, ihre Zahl sei noch so groß, aufzuteilen.

Die Folge von Eigentums-, besser Betriebsgrößen, die dem Bauern keine ausreichende Versorgung sichern, ist das Bestehen eines Bauernproletariates, wie man es in Innerösterreich und im Westen nicht mehr kennt, und eines Händlerstandes, der erheblich weniger als in anderen Bundesländern verdient, einerseits, weil die Bauern, die Hauptkundschaft, nicht viel ausgeben können, und anderseits weil die Pendler vielfach bereits jenseits des Burgenlandes einkaufen. DIE FRAGE DER BODENREFORM

Nun scheint man gewillt zu sein, im Rahmen eines „B u r g e n 1 a n d p 1 a n e s“ an eine Behebung der besonderen Notlage des Burgenlandes und insbesondere auch seines Bauernstandes zu gehen.

Vor allem will man eine Lösung über eine Bodenreform versuchen. Eine Neuverteilung des Bodens allein vermag aber das Problem noch nicht zu lösen. Was not tut, das sind auch neue Betriebsverhältnisse und eine wesentliche Steigerung der landwirtschaftlichen Erträge. Das System von Enteignung und Ueber-tragung allein erfreut sich zwar bei den Sozialreformen oft größter Beliebtheit, ist aber kaum mehr als eine Verschiebung der Ursachen des Elends.

Wenn also neues Eigentum bei den Kleinbauern und bei den Zwergbesitzern geschaffen werden soll, so nur dann, wenn sicher ist, daß damit auch die Erträge des Bodens, der nun einen neuen Eigentümer hat, gesteigert werden könnem Das ist zu beachten: sowohl bei der Abmachung über die Entrichtung des Kaufpreises wie bei der Kreditgewährung an die neuen Eigentümer. Entstehen durch die Bodenreform wieder Betriebsgrößen, die ihren Eigentümern kein Auskommen sichern, oder wird nur dem, der schon hat (irgendeinem der wenigen-Großbauern), gegeben, war die Bodenreform falsch.

An die 20.000 burgenländische Kleinbauern haben 120.000 Hektar in Bewirtschaftung. Nach Ansicht des SWA-Gutachtens sind aber mindestens 300.000 Hektar erforderlich (15 Hektar im Schnitt), damit den 20.000 Bauern so etwas wie.eine-&Ackemahrttrtg“ geboten:.werden kann (Die seine'nieitige' ErbhofgesetzgefrJung' *ahv#Uf. 7,5 Hektar vor.) Wenn man von der Richtigkeit der Ziffern ausgeht, darf man sich über die Folgen einer Bodenreform keine Illusionen machen, wenn auch ihr politischer und moralischer Effekt ein beachtlicher sein wird. Ebenso müßte man den Eigentumsinstinkt der burgenländischen Kleinbauern, aber auch der Landarbeiter, wohl beachten und auch die Tatsache, daß der Ertrag eines Bodens, der vom Eigentümer selbst bewirtschaftet wird, im Durchschnitt ein größerer ist als bei Fremdbearbeitung.

Man muß weiter erwägen, daß durch die Mechanisierung heute die Betriebsmindestgrößen andere sind als zur Zeit einer mehrheitlich händischen Bearbeitung des Bodens. Die Rentabilitätsgrenze (das, was die Betriebswirtschaftslehre den „kritischen Punkt“ nennt) liegt daher heute höher als vor einigen Jahrzehnten. Im Interesse der Kostensenkung ist der Einsatz von Maschinen heute und vor allem nach der Schaffung des Gemeinsamen Marktes unvermeidbar. Maschinen kann aber nur ein Betrieb einsetzen, der die Maschinen auch weitgehend auszunutzen vermag, also ein relativ großer Betrieb. Freilich vermag genossenschaftliche Hilfe (man denke an die Maschinengenossenschaften) den Unterschied in der Ertragsfähigkeit der Betriebsgrößen einigermaßen ausgleichen, wenn auch nicht beseitigen zu helfen.

VERKEHRSFÖRDERUNG SICHERT ABSATZ

Wenn auch das Hektarerträgnis im Burgenland gesteigert werden kann, ist damit noch nicht die Ertragsfähigkeit vorweg gesichert. Was dann fehlt, ist die bestmögliche und bei vielen Gütern die raschestmögliche Verbringung der landwirtschaftlichen Güter in die Konsumzentren. Obwohl die Anbaugebiete des Burgenlandes, in der Luftlinie gemessen, dem Konsumzentrum Wien sehr nahe sind, kann wegen der unzureichenden Transportwege das Produkt der Landwirtschaft oft nur unter relativ großen Kosten nach Wien gebracht werden. Das burgenländische Bahnwesen würde heute kaum einem innerafrikanischen Negerstamm zur besonderen Ehre gereichen.

Zu allem kommt noch die unverständliche, weil von oben geduldete, Ausbeutung der kleinen Bauern durch manche Händler, die Waren dem „G'scherten“ zu Spottpreisen abkaufen, um sie anderseits den Wienern zu Preisen anzubieten, die so hoch sind, daß man vermuten möchte, die Ware sei aus einem

anderen Kontinent importiert worden. Eine zweite Möglichkeit der Steigerung der landwirtschaftlichen Erträge neben der Mechanisierung ist die Steigerung des Arbeitswissens. Vielfach glaubt man, daß ein neuer Traktor allein bäuerliche Tüchtigkeit ersetzen könne, während doch erst in der Kombination von Arbeitswissen und Maschine die Ertragschance gelegen ist. Das landwirtschaftliche Schulwesen des Burgenlandes ist noch wenig ausgebaut. Nur jeder 204. in der Landwirtschaft Tätige hat im Burgenland eine landwirtschaftliche Ausbildungsstätte besucht, in Niederösterreich ist es jeder 38. Der österreichische Durchschnitt aber beträgt 32. Je 394 Hektar bewirtschaftete Fläche ist im Burgenland eine fachlich-schulisch ausgebildete Arbeitskraft eingesetzt, in Gesamtösterreich ist das schon bei je 52 Hektar der Fall.

So notwendig eine Bodenreform im Burgenland ist, sie allein vermag die Verhältnisse wohl zu verbessern, aber nicht zu ändern, obwohl gebietsweise sicher schon eine Bodenreform allein die Wirtschaftsstruktur nachhaltig beeinflussen könnte.

FÜR INDUSTRIE UND GEWERBE

Neben den Bemühungen, die Eigentums- und Ertragsverhältnisse in der burgenländischen Landwirtschaft zu ändern, gibt es seit einigen Jahren Bestrebungen, im Burgenland industrielle und großgewerbliche Betriebe zu, errichten. Das Ziel dieser Industrialisierungsversuche ist es, den jenseits des Burgenlandes beschäftigten Landesbewohnern im Land selbst Arbeit zu geben, um so mehr, als man ja damit rechnen muß, daß die jetzt überhitzte Baukonjunktur einmal abreißen wird, was gerade die Burgenländer, die mehrheitlich in der Bauwirtschaft beschäftigt sind, zu spüren bekommen könnten. Vorarlberg, dessen Bewohner keinesfalls aus den Erträgnissen der Landwirtschaft allein zu leben vermöchten, hat ein Beispiel dafür gegeben, daß wohl bäuerliche und industrielle Wirtschaftsweisen nebeneinander bestehen können. Mit einem Erfolg, der zum Beispiel in den Umsatzzahlen ausgewiesen

ist. Nach der Umsatzstatistik 1953 war der Gesamtumsatz im Burgenland bei 376.000 Bewohnern 1,87 Milliarden Schilling, im kleineren Vorarlberg bei 194.000 Bewohnern aber 4,94 Milliarden Schilling. In beiden Fällen sind freilich die Umsatzziffern nicht der eindeutige Anzeiger der tatsächlichen Umsätze, da die Vorarlberger vielfach, vor allem die Grenzgänger, in der Schweiz kaufen und die Burgenländer, soweit sie Pendler sind, in Wien und in der Steiermark.

Die Voraussetzung, damit eine Industrialisierung des Burgenlandes nicht zu einer Fehlinvestition führt, ist der Bau von Verkehrswegen, eine geordnete Rückführung der jenseits des Landes tätigen Arbeitskräfte und die Heranbildung eines fachlich geeigneten Stammpersonals. Gerade mit dem Fortschritt der technischen Erzeugungsweisen wird sichtbar, wie sehr der Mensch doch im Mittelpunkt jeder Fertigung steht.

Mit der Errichtung industrieller Betriebe kommt es freilich wieder zu einem Wohlstands- und Einkommensgefälle im Land selbst zwischen den in der Landwirtschaft Beschäftigten und den Fabrikarbeitern, wenn nicht die Landwirtschaft gleichzeitig aufholt und Attraktionen schafft, die bäuerliche Arbeit ertrags- und einkommensreich erscheinen lassen. Die burgenländische Landwirtschaft vermag jetzt kaum dem Sog der Industrialisierung zu widerstehen, beträgt doch das Durchschnittseinkommen eines in der Landwirtschaft Tätigen derzeit 8150 Schilling pro Jahr (in Niederösterreich sind es um 42 Prozent mehr).

Jedenfalls sollte nunmehr alles unternommen werden, um die strukturellen Unterschiede, die zwischen der burgenländischen und der gesamtösterreichischen Wirtschaft bestehen, zu beseitigen. Weitere Verzögerungen lassen die Gefahr entstehen, daß an der Ostgrenze eine relative Elendszone entsteht, eine Art Wohlstandsfilter, der an der burgenländischen Grenze, nach dem Westen verlaufend, einmal einer Irredenta andeuten könnte, wo sie anzusetzen hat.

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