6984613-1986_22_03.jpg
Digital In Arbeit

Der Traktor-Krieg

19451960198020002020

Einkommensverluste bei Rekordernten, Importzuwächse bei Produktionsüberschüssen: die Bauern wollen die Perversionen des Agrarsystems nicht länger hinnehmen.

19451960198020002020

Einkommensverluste bei Rekordernten, Importzuwächse bei Produktionsüberschüssen: die Bauern wollen die Perversionen des Agrarsystems nicht länger hinnehmen.

Werbung
Werbung
Werbung

Zwei junge Bauern aus dem nördlichen Burgenland, politisch zu Hause im Allgemeinen Bauernverband, riefen zum Handeln. Sie trafen damit exakt jenen Punkt, der heute Bauernbund-granden Magenkrämpfe verursacht.

War es jahrelang Domäne des Bauernbundes, der größten Teilorganisation der ÖVP mit rund 400.000 Mitgliedern, den Bauernunmut gegen die Regierung zu mobilisieren, so gelang es nun zwei völlig Unbekannten, den verhandlungserfahrenen Bau-ernbündlern das Wasser abzugraben. Demonstrierte Härte scheint Trumpf, auch wenn Recht und Gesetz darunter leiden.

Die Bauern brechen aus und

stoßen zu den Blockierern. Naturgemäß am härtesten davon betroffen ist der VP-Bauernbund. Denn er versammelt in seinen Reihen mehr als 90 Prozent der österreichischen Bauernschaft. Die SPO-Bauern teilen sich bundesweit bei den Wahlen zur zuständigen Interessensvertretung, der Landwirtschaftskammer, mit dem Allgemeinen Bauernverband und der Freiheitlichen Bauernschaft den mageren Rest der Stimmen.

Und trotz der schon legendären Organisationskraft des Bauernbundes war es nicht ein Trompetenstoß aus der Bundes-Zentrale, der die Bauern wie anno 1971 am Josephitag zu Tausenden auf die Traktoren hasten und gegen Wien fahren Heß. Der Unmut kam von der Basis die Materie, die herhalten mußte, um es „denen da oben“ endlich richtig zu zeigen, war das Weingesetz.

Personifizierter Buhmann und Vater des „Husch-Pfusch-Gesetzes“ (VP-Bauernbunddirektor Alfred Fahrnberger) ist der Minister für Land- und Forstwirtschaft Günter Haiden. Jener Günter Haiden, der schon seit 1974 als Reibebaum für rot-weiß-rote Agrarier gut. Er gerade ist es, der, zuerst als Staatssekretär und später als Minister, ausgerechnet den Berufsstand, den er zu vertreten hat, zur Weißglut bringt, tönt es aus oppositionellem Mund.

Haiden ist es auch, der dafür von den ÖVP-Agrar-Fachleuten verantwortlich gemacht wird, daß die gesetzlichen Rahmenbedingungen, ob der geänderten äußeren Umstände wie Produktionszuwachs in allen Bereichen, zum luftabschnürenden Korsett gediehen.

„In der Landwirtschaft fallen zunehmende Agrarimporte ( — das agrarische Außenhandelsbi-

lanzdefizit hält derzeit bei 14,6 Müliarden Schilling - ), anhaltende Produktivitätsgewinne und eine stagnierende Nachfrage zusammen mit einer Agrarpolitik, die sich nur um wenige Hauptmärkte bemüht und dort, wo Produktionsausweitungen und Importsubstitutionen möglich wären, keine Signale setzt. Dadurch entsteht in der Öffentlichkeit der Eindruck mehr oder weniger unabwendbarer Uberschüsse mit all ihren Problemen.“ Heinz Kopetz, Kammeramtsdirektor der Steiri-schen Landeskammer für Land-und Forstwirtschaft, trifft den Nagel auf den Kopf.

Tatsächlich produzieren heute die Söhne jener Bauern, für die die Marktordnungsgesetze—in einem Land, das weitgehend von Nahrungsmittelimporten abhängig war — nach demselben, wenn auch leicht geänderten legistischen Strickmuster. Obwohl die Voraussetzungen total verändert sind:

Im Jahr 1955 waren 32,3 Prozent der Bevölkerung in der Land- und Forstwirtschaft tätig, heute sind es knapp neun Prozent, die den Kühlschrank der Österreicher füllen.

Immer weniger Bauern erzeugten auf immer weniger Fläche immer mehr: Noch in den sechziger Jahren war Österreich gezwungen, 600.000 Tonnen Getreide zu importieren, heuer wird mehr als eine Mülion Tonnen Weizen, Gerste oder Roggen über heimische Grenzen geschafft werden müssen.

Ähnliche Verhältnisse finden Bauern und Konsumenten auch bei anderen Erzeugnissen wie Fleisch, Milch oder Wein vor. Während es beim Wein einzig den Winzer Kosten verursacht, bietet er sein Produkt zum weit unter den Gestehungskosten liegenden internationalen Preisniveau an, so jammern Bauern und Steuerzahler gleichermaßen, werden Getreide, Vieh und Milch außer Landes geschafft.

Denn für die dabei notwendigen Stützungen in Milliardenhöhe müssen die Bauern (über die sogenannten Verwertungsbeiträge) und der Staat, sprich die Steuerzahler, gemeinsam aufkommen. Allein beim Getreide macht die-

ser Stützungsaufwand im heurigen Jahr voraussichtlich drei Milliarden Schilling aus.

Hier haken Agrarpolitiker aller Couleurs ein. Hier liegt auch die Wurzel jenes Unbehagens, das sich nun in Form von Grenzblok-kaden gewaltsam Luft macht.

Und allerorten wird der Ruf nach anderen, volkswirtschaftlich billigeren Möglichkeiten, nach Alternativen laut. Ein neues Selbstverständnis macht sich auch in der Bauernschaft breit.

War es der Bauer der ersten Nachkriegsjahre, der die „Erzeugungsschlacht“ kämpfen mußte, war es dann sein Sohn, der unter Ausnutzung der landtechnischen Revolution Österreich einen Selbstversorgungsgrad von über 100 Prozent garantierte, so ist es heute sein Enkel, der wieder die Fragen der Ökologie, der Landschaftspflege und der ländlichen Kultur in den Mittelpunkt rückt. Und Vordenker der grünen Front bestätigen ihn dabei.

Denn eines ist erstaunlich: Abgehoben vom tagespolitischen Streit finden Agrarexperten hüben und drüben ähnliche Lösungsmöglichkeiten. Sie alle bejahen den bäuerlichen Famüien-betrieb als Grundlage der heimischen Landwirtschaft, sie alle wettern mehr oder minder vehement gegen Agrarfabriken. Und sie alle wissen auch, daß dem Bauern neue Aufgaben übertragen werden müssen, wül er in seinem System überleben.

So lautet der Tenor vorwärtsgedachter Modelle: Der Bauer der Zukunft muß Landschaftserhalter sein (schon des ohnehin stagnierenden Fremdenverkehrs wegen; ökologische Aspekte fließen da erst in zweiter Ebene ein). Der Bauer muß weg von kostenintensiven Exportprodukten und statt dessen das erzeugen, woran es Österreich mangelt (im Bereich der pflanzlichen Fette und öle hält Österreich bei einem Selbstversorgungsgrad von

knapp fünf Prozent). Und der Bauer wird wieder zum Energieproduzenten werden (Biosprit, Biogas und Hackschnitzel für Verfeuerungszwecke mögen als Beispiele gelten).

Alles in allem: Die Gesellschaft steht in Zukunft einem veränderten Bauernbild gegenüber. Und sie wird dann auch für jene Aufgaben, die der Bauer bis heute unentgeltlich leistete, wie die Erhaltung der Kulturlandschaft, aufkommen müssen.

Oer Autor ist Chefredakteur der Monatszeitung Blick ins Land“.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung