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Die Bauern stehen auf

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Als am 10. Oktober die parlamentarische Opposition — sozialistische Föderation und Kommunisten — einen Mißtrauensantrag gegen die Regierung Pompidou einbrachte, versuchten die beiden Gewerkschaftszentralen CGT und CFDT die Linksparteien durch eine Forde -

ruingswoche zu unterstützen. Ausländische Agenturen sagten gewaltige Streiks und Straßendemonstrationen voraus. Alber den Gewerkschaften gelang es lediglich, Betriebsdelegationen vor dem Palais Bourbon aufmarschieren zu lassen. Ungefähr 5000 Personen versammelten sich, und Gruppen zu je drei wurden von den ihnen befreundeten Fraktionen empfangen.

Während sich also der Kampf der organisierten Arbeiterschaft gegen die Sozialverordnungen der Regierung in bisher eher vernünftigen Grenzen bewegte, brach an einem anderen Abschnitt der Sozialfront ein heftiger Konflikt aus: Die Bauern revoltieren und zeigen unmißverständlich ihre Empörung über die Landwirtschaftspolitik des gaullistischen Regimes.

Hoffnung auf die EWG

Seit dem Jahre 1960/61 war es in den ländlichen Gegenden Frankreichs still geworden. Damals wurde der unruhigen Bauernschaft eine große Hoffnung geöffnet: der gemeinsame europäische Agrarmarkt.

Die harte Verhandiungstoktik der französischen Landwirtschaftsmini-ster Edgar Pisani und Edgar Faure in Brüssel läßt sich unter dem Gesichtspunkt der Pariser Agrar-

Frischer Wind

Neben der offiziellen Vertretung wirken zahlreiche lokale dissidente Gruppen und Vereinigungen, unter denen sich das Komitee Gueret hervortut, das .von Roland Viel, dem Präsidenten der Landwirtschafts-kammer von Puy de Dome, geleitet wird, und sich durch große Unduldsamkeit auszeichnet. Aber auch die Kommunisten fischen in diesen unruhigen Gewässern. Man sollte es nicht für möglich halten, aber die Verteidigung des kleinen und kleinsten lanidtwirtschaftlichen Besitzes wurde das ureigenste Anliegen der extremen Linken. Die KP schuf sich eine eigene Bauernbewegung, Mouvement de Defense des'Explota-tions Famiiiales (MODEF), die eine eigene Zeitung herausgibt, „La Terre“, die in jedem Pariser Zeitungskiosk zu kaufen ist. Die kommunistische Partei gründete auch eine eigene kommerzielle Onganisation, die „Intra-Agra“, die von den sozialistischen Staaten fast

Politik erklären, die darauf hinzielte, der eigenen Bauernschaft beste Absatagebiete zu sichern. Wenn de Gaulle derart entschieden gegen den Eintritt Großbritanniens in den Gemeinsamen Markt auftritt, so äußert er damit seine Sorgen, daß aus den Ländern des britischen

Weltreiches Agrarprodukte ohne Kontrolle in die EWG einströmen. Noch vor kurzem verstand es die französische Regierung, den Import argentinischen Fleisches in den Gemeinsamen Markt fast restlos zu stoppen. Unter dem Druck der Weinbauern wurde ebenfalls die Einfuhr der algerischen Weine gedrosselt.

Die französische Landwirtschaft ist kämpferisch eingestellt, verfügt über ausgezeichnete Beziehungen zu den politischen Kreisen in Paris und hat schon früher bewiesen, daß sie zur Verteidigung ihrer Rechte auch vor Gewalttaten raichit zurückschreckt.

Die Bauernschaft hat sich in der „Federation Nationale des Syndicats d'Exploitants Agricoles (FNSEA)“ ein Instrument der ständischen Vertretung geschaffen. Ais Präsident fungiert der maßvolle de Caffareüi. Aber diesen eher bedächtigen Bauemiführem stehen die energischen Jungfoauern gegenüber, die meistens aus der katholischen JAC (Katholische Jungbauernibewegung) hervorgegangen sind — wie der sehr bewegliche Michel Debattisse. Für diese zornigen jungen Männer ist die FNSEA ein lahmer Haufen, der krampfhaft von der Regierung Almosen fordert und Gesetze unterstützt, die erst Jahre später rechts.-kräfitig werden.

exklusiv zur Abwicklung ihrer Käufe am französischen Agnanmarkt verwendet wird. Der massive Jean Doumeng leitet gleichzeitig die MODEF und zeichnet als Generaldirektor der „Intra-Agra“. Das Losungswort dieser undurchsichtigen Persönüchkeit lautet: „Der Großbauer erstickt den Kleinen.“ Die Unzufriedenheit, das Neidgefühl, sind die Waffen, mit denen Doumeng beachtliche KP-Einibrüche in die untere Bauernschaft erzielen konnte. Zeitweise hörten die Bauern auch auf den Valkstrilbunen Paujade, der in der IV. Republik die kleinen Kaufleute und ländlichen Gewerbetreibenden in einer eigenen Partei gesammelt hatte. Poujade ist sehr zahm geworden und unterstützt jetzt das Regime. Wo ist seine glorreiche Zeit, da er Steuereinnehmer verprügeln ließ? Aber sein Geist lebt weiter. Ein bäuerlicher Poujadismus wird von Kennern der Verhältnisse als möglich erachtet. Diese neue Be-

wegunig würde sich, übrigens sehr fremdenieinidlich eingestellt, vor allem gegen den EWG-Markt richten. Und schon werden Stimmen laut, die eine sofortige Schließung der Grenzen, zumindestens für die Einfuhr von Schweinen, fordern.

Selbst die ruhigen Männer der FNSEA klagen, daß der Staatschef schlecht über die wattirem Intentionen und die Belange der bäuerlichen Bevölkerung informiert sei. Denn General de Gaulle fühlt sich in seinem Stolz verletzt: Die Regierung sei schlecht belohnt worden. Niemals zuvor wurden so gewaltige finanzielle Mittel für die Modernisierung der Landwirtschaft aufgebracht wie unter der V. Republik.

Der Sturm

Die Regierung ist unter keinen Umständen bereit, unter dem Druck der Straße in Verhandlungen einzutreten. Anfang Oktober verwandelten sich die Bauernaufmärsche in regelrechte Aufstände. 10.000 Bauern blockierten die Züge in Le Mans. In

Redon bcmlbardierten Jugendliche die staatlichen Gebäude. In Gaen marschierten 15.000 Landwirte auf, und es kam zu Gewaltszenen vor der Präfektur. Aber dliie Revolte donnerte besonders in Quimper, wo 179 Verletzte unter den 500 Ordnungshütern gezählt wurden. Die Demonstranten nannten 80 Verletzte, darunter 18 Schwerverwundete. Zum leuchtenden Symbol der empörten Bauern wurde der 34jäh-rige Jungtauer und frühere lokale Leiter der katholischen Bauernjugend Tölbourdet, dem ein Polizist mit dem Gewehrkolben den Schädel zertrümmerte.

Möglichkeiten, um zu helfen

Hinter den Bränden, den Schleiern aus Tränengas, den geplünderten Sekretariaten, setzte die große Ge-wissenserforschung der Nation ein. Soll das in Diskussdon stehende Budget geändert und Abstriche in verschiedenen Ressorts zugunsten der Bauern unternommen werden? Könnte man die Fleischpreise anheben? Besteht auch nur eine leise Chance, die europäischen landwirtschaftlichen Preise allgemein nach oben hin zu verändern? Die Berufenen erklären, daß ein Bauernhof 40 Hektar halben müsse, um

derzeit rentabel zu sein. Aber 82 Prozent der französischen Bauernhöfe weisen ein bis 20 Hektar auf. Der Bauer, der sich der Geflügelzucht zuwandte und Investitionen wagte, ist schwer verschuldet. Er vermag seine Hühner kaum abzusetzen, da die Ge-stehuingspreiße über den Verkaufspreisen liegen.

Die Regierung unternimmt Sofort-maßnalhmen, um der Krise Herr zu werden. Die Jungfoauern sollen schneller in den Besitz der Höfe gelangen. Ein vom Staat geschütztes System der Leibrenten sichert den Altbauern soziale Möglichkeiten. Den Jungbauern werden größer Kapitalien zur Verfügung gestellt. Die Restrukturierunig der bäuerlichen Besitzungen muß schneller erfolgen. Gewisse Steuern, welche die Heischproduktion belasten, dürften gestrichen werden. Man denkt auch daran, die veralteten Statuten der landwirtschaftlichen Genossenschaften zu erneuern.

Frankreich ist sich auf alle Fälle bewußt geworden, daß die Reform der Landwirtschaft durch Jahre schwere Probleme stellt. „Denn auch wir wollen leben“, beteuern die aufsässigen Bauern.

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