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Terror in Malta

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Malta: dreigeteilte Insel in der Mitte des Mittelländischen Meeres, Fundgrube der Geschichte seit der Aufnahme Odysseus’ durch Kalypso auf der kleineren der drei Inseln, Gozo, bis zum heldenhaften Widerstand gegen die Bomben Italiens und Deutschlands, die im letzten Weltkrieg hier die größte Bombendichte pro Quadratmeile erzeugten. Dazwischen liegen: der Schiffbruch des Apostels Paulus 58 n. Chr., die Eroberung durch die Araber 800 Jahre später, die Besetzung durch die Johanniter 1530 und vor allem die wirklich wunderbare Rettung von der Türkenbelagerung 156?, die mit dem Widerstand Wiens 1529 der Ueberflutung Europas durch den Osten so Einhalt gebot wie, zeitlich näher aneinander gerückt, Alamein' und Stalingrad einem Siegeszug der Barbarei.

Malta ist eine Fundgrube der Geschichte, aber eine Enttäuschung der Wirtschaft. Seine 300.000 Bewohner auf 300 Quadratmeilen können ohne Hilfe von außen nur schwer jenen Lebensstandard erhalten, auf den ein freies europäisches Volk in unserer Zeit Anspruch erhebt. Die nationale Produktion von 35 Millionen Pfund bedeutet zwar etwas mehr als 500 Pfund pro Familie, aber mehr als die Hälfte davon stammt von den stationierten Truppen und den Ausgaben der NATO. Wohl könnte die Fremdenindustrie weit mehr als die halbe Million Pfund ergeben, die sie heute trägt, aber die dazu nötigen Investitionen für Hotels und Vergnügungsstätten sind unter den heutigen politischen Verhältnissen der Insel nicht freiwillig aufzubringen. Klima und landschaftliche Schönheit übertreffen manche Gegenden der adriätischen Riviera, die Preise" unterscheiden sich vorteilhaft von denen Italiens oder den durch Währungskunststücke künstlich aufgeblähten Jugoslawiens, selbst von dem 2000 km entfernten London ist die Insel acht- ' zehnmal in der Woche erreichbar, verfügt aberdoch über keinen richtigen Strandkurort. Für andere Industrien ist der Boden nicht günstig. Der innere Markt hat sich nicht tragfähig genug erwiesen, und für den äußeren Markt kann man angesichts der unlauteren Konkurrenz von Ländern, die mit Sklavenarbeit erzeugte Produkte um jeden Preis auf den Markt _ werfen können und damit vor allem Nord- und Ostafrika und Westasien überschwemmen, nicht erzeugen, ohne das Lohnniveau bedenklich zu senken. Also exportiert man Menschen, obwohl fleißige Menschen das kostbare Produktionskapital sind. In ganz Nordafrika, vor allem in Aegypten, und bis weit nach Australien, findet man Kolonien maltesischer Einwanderer, die den italienischen an Fleiß und Tüchtigkeit nicht nachstehen. Ihre englische Staatsbürgerschaft war bisher ein Vorteil, der sich durch die paroxistische Welle des Fremdenhasses in Nordafrika in das Gegenteil verkehrt. Die barbarische Behandlung selbst politisch indifferenter Weißer durch die ägyptische Regierung hat schon zur Entwurzelung von Tausenden von Maltesern geführt, die, der Früchte jahrzehntelanger Arbeit beraubt, ausgeplündert in ihre Heimat zurückfluten müssen.

Sie werden deren politisches Gesicht nicht wiedererkennen. Bis vor kurzem bot sie das Bild einer kleinbürgerlichen und agrarischen, religiös-katholisch orientierten Bevölkerung, mit einer relativ erheblichen Schicht wohlhabenden Mittelstandes. Dafür zeugen die zahlreichen Kirchen, religiösen Unterrichtsanstalten, viele Paläste voll Kunstschätzen. Die Insel spiegelte eine patriarchalische Wirtschaft wieder, in der niemand hungerte, die Preise billig waren und ein Arbeitswilliger eines sehr bescheidenen Einkommens sicher sein konnte. Nur wer mehr wollte, mußte auswandern,

Das hat sich durch den Einfluß der Masse von Arbeitern, vor allem Hafenarbeitern, die für die Truppen tätig sind, geändert. Sie sind meist linkssozialistisch orientiert. Viele Geschäftsleute sind von ihnen wirtschaftlich abhängig, was deren Führung gründlich auszunützen versteht. Vor einigen Jahren haben sie die Gemeinde der größten Stadt — nicht Hauptstadt —, La Valette, und das Parlament der Insel erobert. Das hat das Wirtschaftsbild in verblüffend kurzer Zeit geändert. Sozialismus, selbst wenn er nicht demagogisch verfochten wird, wirkt auf die Wirtschaft armer Länder wie Sprengstoff oder Erosion. Das hat sich besonders deutlich z. B. in Chile gezeigt. Nur reiche Länder können sich Sozialismus leisten. Das hat mit sozialen Zielen nichts gemeinsam als den Gleichklang des Wortes. Die grundlegenden Ziele des Sozialismus: Verstaatlichung aller oder mindestens der wichtigsten Produktionsmittel, Erhöhung der Löhne ohne Rücksicht auf die Vergrößerung des Produkts, Unter- minierung und Absorbierung des Privatkapitals — so erstrebenswert sie großen Volksgruppen scheinen mögen, die die Funktion des Kapitals mißverstehen — haben zwangsläufig eine Verringerung der Produktion, den Sieg inflationistischer Momente, die Vertreibung inländischen und die Verscheuchung ausländischen Kapitals zur Folge. Das kann eine Wirtschaft, wie die Maltas, nicht vertragen.

In den wenigen Jahren seit Erringung der Mehrheit durch eine radikale sozialistische Partei hat sich diese Wirkung schon gezeigt. Hier ist nicht der Platz, um ein detailliertes Wirtschaftsbild Maltas zu entwerfen. Nur eine illustrative Stichprobe: die gewaltsame Erhöhung der Fischpreise zwecks Gewinnung von Stimmen aus Fischerkreisen hatte zur Folge, daß die Fischer sich mit geringeren Fängen begnügen, die bei den hinaufgetriebenen Preisen ihren Bedarf decken. Daher ist die sehr wichtige Fischversorgung gesunken und sind die Fischpreise noch mehr gestiegen — das gerade Gegenteil der Ziele fruchtbarer Wirtschaftslenkung. Persönliche Dienstleistungen sind für viele Dienstgeber unerschwinglich geworden, diese verläßliche Einnahmsquelle ärmerer Volksschichten verdorrt. Sie kann durch Arbeitslosen- und Altersfürsorge nie voll ersetzt werden, die psychologisch, problematisch und materiell unzureichend sein muß, aber die Belastung des ganzen Volkes erhöht. Mit anderen Worten: es muß zahlen, ohne den Gegenwert der Dienstleistungen zu erhalten, ein deutlich inflationistisches Moment.

Die sozialistische Partei Maltas hat die Eingliederung ins Mutterland, die Aufgabe der Autonomie, zu einem ihrer wichtigsten Programmpunkte gemacht, der mit terroristischen Schlagworten verfochten wird. Malta soll politisch, sozialpolitisch, steuerlich im englischen, schon überlasteten Wirtschaftssystem aufgehen. Auf den ersten Blick ist dieses Streben bestechend, eine eingehende Prüfung zeigt aber, wie nachteilig es für die Entwicklung Maltas sein würde. Es ist in den Programmen der sozialistischen Parteien Maltas und Englands erst aufgetaucht, seit Malta eine sozialistische Mehrheit hat. die mit den radikalsten Mitteln erhalten wird. Die Absorption Maltas mit der Gewährung von drei Sitzen im britischen Parlament würde nämlich die Stellung der Labour Party stärken, und innerhalb derselben die ihres linken Flügels. Das könnte bei den labilen Stimmverhältnissen in England und innerhalb der Labour Party einmal den Ausschlag geben. Das ist der wahre Hintergrund des Strebens nach „Anschluß", der sich am deutlichsten kennzeichnete, als Bevan ein ungleich begeisterterer Empfang bereitet würde als Eden.

Man kann zusammenfassen, daß die Vorteile des Anschlusses durch die Nachteile für beide Teile weitaus aufgewogen würden, daß der Nutznießer aber der linke Sozialismus in Malta, England und indirekt in Europa wäre. Wer, wie so viele, dessen Vorteil über den der Länder und Völker setzt, muß für den Anschluß ein- treten. Würden die Sozialisten Maltas für ihn und ihre anderen Ziele nur mit ehrlichen demokratischen und parlamentarischen Mitteln ein- treten, so könnte man dem Schauspiel mit beklommener Aufmerksamkeit Zusehen. In die friedliche, zurückhaltende Bevölkerung Maltas sind aber Kampfmethoden getragen worden, die sich mit denen in Zypern — für den Anschluß an Griechenland — zwar nicht entfernt vergleichen lassen, aber doch am Anfang derselben Linie liegen.

Der ganze von den Sozialisten eroberte Verwaltungsapparat steht mehr im Dienste ihrer Partei als des Landes. Das ist nicht der offene Terror der Straße, sondern der schleichende der Behörden. Die angewendeten Methoden werden in Ländern gewürdigt werden können, die selbst einmal den Druck durch die Begünstigung der Einrichtungen der öffentlichen Hand gespürt haben, dem einmal, aber nur vereinzelt, die höchsten Gerichte als „unlauteren Wettbewerb durch Mißbrauch der Amtsgewalt" steuern mußten.

Daneben gibt es aber aueh den offenen Terror der Straße und der Versammlungen. Die Führer der bürgerlichen Parteien, die durchweg katholisch orientierte Organisationen vertreten, setzen sich aus ruhigen, gebildeten Männern zusammen, mit der Politik und Wirtschaft ihrer

Heimat seit Generationen verwachsen, bereit, ihr Wort und ihre Stimme, nicht aber ihre Muskelkraft in die Waagschale zu werfen. Als Anwälte, Aerzte, Gutsbesitzer, Kaufleute haben sie noch andere Berufe als die Politik. Sie leben nicht von ihr, und wenn man sie ihnen verleidet oder persönlich gefährlich macht, ziehen sie sich von ihr zurück. Ihre Parteien haben aber keine anderen Führer. Das versteht die sozialistische Partei sehr gut und nützt es aus. Wahrscheinlich gar nicht aus persönlicher Neigung, sondern zui Vertreibung der Gegner werden in die Versammlungen und auf die Straße Methoden getragen, denen die stimmlich und körperlich, schwächeren und in ihren Umgangsformen empfindlicheren Bürgerlichen nicht gewachsen sind. Ueberfälle durch organisierte Banden, Beschimpfungen, Bedrohungen, Körperverletzungen sind an der Tagesordnung, oder richtiger, im Parteiprogramm. Die seltenen gerichtlichen Nachspiele schaffen bei der Schwierigkeit der Beweislast weniger Abhilfe als Anreiz zur Wiederholung. So werden die Vertreter der bürgerlichen Parteien weniger mit Stimmen als mit Armen aus der Arena vertrieben, die den Nutznießern des Terrors überlassen bleibt.

Maltaj ist nur eine kleine Insel, aber an einem der wichtigsten Punkte der Erde gelegen. Wieweit in unseren Zeiten auf die patriotische Haltung gewisser Oppositionsparteien zu rechnen ist, haben die kritischen Tage der Suezkrise im britischen Parlament gezeigt. Aeltere Oesterrei- ''her haben sich an die Haltung der radikalen Tschechen und Südslawen gegenüber der Russen- tefahr im österreichischen Parlament erinnert. Island hat gezeigt, daß nicht einmal die Mehrheit, sondern nur der Einfluß gut organisierter linksgerichteter1 Parteien ein kleines, aber für die Verteidigung der Zivilisation wichtiges Gebiet zu einer herostratischen Haltung drängen kann. Es liegt daher im Weltinteresse, die Vorgänge auf der kleinen Insel Malta aufmerksam zu verfolgen, um ein aufsteigendes Unheil rechtzeitig erkennen und ihm, vielleicht, noch irgendwie steuern zu können.

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