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Sollen die Bauern ausgeklammert bleiben?

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„Man läßt den Bauernstand allein“ — haben die österreichischen Bischöfe 1956 in, ihrem Sozialhirtenbrief festgestellt und gleichzeitig die „tätige Anteilnahme und das verstehende Interesse des Gesamtvolkes“ nicht nur für die geistigen, sondern sehr bewußt und nachdrücklich auch für die wirtschaftlichen Nöte und Schwierigkeiten des Bauernstandes gefordert. Im selben Jahr 1956 hat das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft den Entwurf eines österreichischen Landwirtschaftsgesetzes fertiggestellt, dessen Verwirklichung nach jahrelangem Ringen noch immer nicht erreicht werden konnte. Und das, obwohl dieses Gesetz weder gefährliche Experimente anstrebt noch unbillige Wünsche der Bauernschaft beinhaltet. Es will nichts anderes, als nach dem bewährten und eingehend studierten Vorbild zahlreicher europäischer und außereuropäischer Staaten auch der österreichischen Landwirtschaft den Absatz ihrer in harter und risikoreicher Arbeit erzeugten Produkte zu stabilen und angemessenen Preisen sichern und den in der Landwirtschaft tätigen Menschen einen angemessenen Anteil am Volkseinkommen verschaffen.

Der zähe politische Kampf um das Landwirtschaftsgesetz, der sich bereits über zwei Nationalratswahlen erstreckte und trotz der von keiner Seite mehr ernsthaft bestrittenen Notwendigkeit dieses Gesetzes noch immer kein Ende fand, hat in der Bauernschaft weithin ein bedrückendes Gefühl der Isolierung hervorgerufen. Nicht „tätige Anteilnahme“ und „verstehendes Interesse“ ist es, was sie vorwiegend zu verspüren bekommt, sondern vielmehr das oft geballte Nichtverstehenwollen ihrer Welt gegenüber, in der die 4 5-Stunden-Woche illusorisch ist und der Lohn für harte Arbeit nicht vierzehn- und auch nicht zwölfmal im Jahr anfällt. Geerntet wird in den .meisten agrarischen Produktionszweigen nur einmal im Jahr —'und selbst da ist der Ertrag keineswegs mit hundertprozentiger Sicherheit gegeben“. Das sind im Grunde allgemein bekannte Tatsachen, über die man sich aber in nichtagrarischen Kreisen nicht gerne Gedanken macht, weil die logischen Konsequenzen unter Umständen ein wenig unbequem sein könnten und jene Situation bestätigen müßten, der das Landwirtschaftsgesetz Rechnung tragen will.

Im Laufe der Jahre haben sich die Schlagworte, mit denen gegen das Landwirtschaftsgesetz zu Felde gezogen wurde und wird — weil leicht nachredbar und wenig eigene Ueber-legung erfordernd —, viel stärker in das Bewußtsein der nichtlandwirtschaftlichen Bevölkerung eingeprägt, als ein etwaiges Wissen um die Bedeutung und Notwendigkeit dieses Gesetzes selbst. Der Vorwurf, die Bauernschaft wolle sich von jeglichem Risiko befreien und mit Hilfe des Landwirtschaftsgesetzes eine zeitlich möglichst unbegrenzte Einkommensgarantie erreichen, wird auch in sonst durchaus ernst zu nehmenden Kreisen hörbar. Dirigistische, ja kollektivistische Bestrebungen meint man in der Bauernschaft ebenso wahrhaben zu müssen wie agrarpolitische Zielsetzungen, die angeblich eher in den Bereich der Sozialpolitik gehören. Aber — so hört man dort und da wie zum Trost — der Eüropamarkt werde mit all diesen Erscheinungen schon gründlich aufräumen.

In Wahrheit bedarf die Landwirtschaft Oesterreichs gerade zu Beginn des sogenannten Europäischen Jahrzehnts und zu ihrer Vorbereitung auf eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit in Europa des Landwirtschaftsgesetzes dringender denn je. Weil die Landwirtschaft in dem in diesen Tagen auch von Oesterreich unterzeichneten EFTA-Vertrag vorerst ausgeklammert ist, darf sie nicht auch von der eigenen Volkswirtschaft und der in dieser herrschenden Konjunktur ausgeklammert werden. Sie hier vielmehr fest einzubauen, läge durchaus im allgemeinen Interesse und wäre Hauptaufgabe des Landwirtschaftsgesetzes.

Die Uebergangsfrist, die der Landwirtschaft im Rahmen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit Europas gesetzt ist, muß von der österreichischen Agrarwirtschaft rasch und grüi d-lich genützt werden. Das um so mehr, als auch die anderen Staaten keineswegs daran denken, die Marktordnungs- und Schutzmaßnahmen für ihre Landwirtschaft bedenkenlos abzubauen. Ganz im Gegenteil. Die EWG-Staaten, die schon über einige Erfahrung und ausgebaute Pläne auf dem Gebiet der wirtschaftlichen Zusammenarbeit verfügen, sind in ihrem Agrarprogramm bestrebt, die teilweise sehr weitgehenden nationalen Maßnahmen aufeinander abzustimmen und auf diese Weise allmählich zu einer gemeinsamen Agrarmarktordnung zu kommen. In Westdeutschland etwa, wo die landwirtschaftlichen Besitz- und Strukturverhältnisse ähnlich gelagert sind wie in Oesterreich, denkt man nicht daran, das Landwirtschaftsgesetz, das von einer parlamentarischen Mehrheit — mit den Stimmen der Sozialisten — beschlossen wurde, aufzugeben und auf die darin vorgesehenen Maßnahmen zu verzichten. Man erblickt in diesem Gesetz vielmehr eine wichtige Handhabe für einen möglichst wenig schmerzhaften Uebergang zu einer europäischen Agrarwirtschaft, in der der bäuerliche Familienbetrieb auch in Zukunft eine dominierende Stellung einnehmen wird und muß, sollen nicht die gesteckten Ziele und Ideale in einer entscheidenden Frage ad absurdum geführt werden.

Auch in der EFTA wird die Landwirtschaft nicht auf die Dauer ausgeklammert werden können. Ebensowenig ist aber anzunehmen, daß etwa die dieser Gemeinschaft angehörende Schweiz deswegen von heute auf morgen auf die Bestimmungen ihres Landwirtschaftsgesetzes verzichten würde. Auch die Schweden und selbst die Engländer sind weit davon entfeint, ihre recht umfangreichen Agrarmaßnahmen nunmehr bedenkenlos abzubauen. Hat man doch in den meisten fortschrittlichen und fortschreitend industrialisierten Staaten der freien Welt längst erkannt, daß im Industriezeitalter die besonderen Produktionsbedingungen unterworfene Landwirtschaft nur dann gesund und leistungsfähig erhalten werden kann, wenn sie durch entsprechende gesetzliche Vorkehrungen fest in der Volkswirtschaft verankert ist und ihr das Schritthalten in und mit dieser ermöglicht wird. Während zwei Drittel der Menschheit hungern und ungenügend ernährt sind, kann' auch die zur Zeit in wirtschaftlicher Hochkonjunktur und teilweisem Lebensüberfluß lebende Welt es sich nicht einfach leisten, einer ungehemmten Abwanderung von Kapital und Arbeitskraft aus der Landwirtschaft untätig zuzusehen, die Bauernschaft gnadenlos aus der Wirtschaftskonjunktur auszuklammern, damit aber auch die eigene Ernährung zunehmend zu gefährden.

Hier Einhalt zu gebieten, einer fleißig und fortschrittlich arbeitenden Bauernschaft mit dem gerechten Lohn für ihre Arbeit die Existenz und auf diese Weise der Gesamtbevölkerung die Ernährung zu sichern, ist Aufgabe des geplanten Landwirtschaftsgesetzes auch in Oesterreich. Das hat mit Abschaffung jeglichen Risikos und mit einer unbegrenzten Einkommensgarantie nichts zu tun. Dergleichen ist in der Landwirtschaft überhaupt nicht möglich. Um eine Bestätigung für diese Behauptung zu erbauen, braucht man nur die Situation der österreichischen Land- und Forstwirtschaft in den beiden letzten Jahren kurz zu überblicken. Da gab es 1958 trotz Arbeitskräftemangel und Flächenrückgang Ernteergebnisse und Produk-tionszahlen wie nie zuvor. Erstmals in der Geschichte Oesterreichs konnte der Nahrungsmittelbedarf zu fast 88 Prozent aus der heimischen Agrarproduktion gedeckt werden. Für die Bauern aber zeigte sich der Erfolg für ihre erhöhte Mühe in einer Verringerung ihres Einkommens. Das Institut für Wirtschaftsforschung mußte feststellen, daß infolge der hohen Erträge und des großen Angebotes ein Preisverfall auftrat und in der Jahresbilanz schließlich ein Einkommensrückgang für die Bauernschaft errechnet werden mußte.

Im Jahre 1959 war die Situation völlig anders. Trotz höchster Anstrengungen, namhafter Investitionen und größter Erntehoffnungen im Frühjahr mußte das Institut für Wirtschaftsforschung zu Jahresende im Ueberblick feststellen: „Obst erlitt zum Teil schwere Frostschäden, und Heu sowie Getreide, Wein und Kartoffeln verdarben zum Teil durch übermäßige Regenfälle.“ Das hört sich für den agrarisch uninteressierten Laien vielleicht gar nicht so schrecklich an, wurde aber für die Bauernschaft neuerlich in einer Einkommens-schmälerung empfindlich fühlbar. Gleichzeitig steigen die Produktionskosten der Landwirtschaft weiter an, und das Einkommen der bäuerlichen Bevölkerung vermag mit jenem vergleichbarer Berufsgruppen immer weniger Schritt zu halten.

Das natürliche Risiko der Landwirtschaft, Unwetterschäden, Viehseuchen und Schädlingsbefall, kann auch das beste Landwirtschaftsgesetz nicht aus der Welt schaffen. Was es aber erreichen will und muß — auch im Interesse der Konsumenten —, sind möglichst stabile Absatz-und Preisverhältnisse, die nur durch eine entsprechende Marktordnung gesichert werden können. Andernfalls ist auch jegliche Wirtschaftsplanung und rationelle Betriebswirtschaft — ohne die die moderne Landwirtschaft nicht mehr auskommen kann — auf die Dauer unmöglich.

Wenn schließlich mit Hilfe des sogenannten „grünen Berichtes“ eine allmähliche Beseitigung der bestehenden Einkommensdisparität erreicht werden soll, dann verlangt die Landwirtschaft für sich nur das, was sich jeder andere Wirtschaftszweig und jede andere Berufsgruppe als selbstverständliches Recht zubilligen. Mehr noch, die Landwirtschaft ist bereit, mit diesem „grünen Bericht“ alljährlich offen und ehrlich vor der gesamten Volksvertretung über Soll und Haben, über Ausgaben und Einnahmen Rechenschaft abzulegen und ihren Anspruch auf einen gerechten Anteil am Volkseinkommen hieb- und stichfest zu begründen. Damit betreibt die Landwirtschaft keine agrarische Sozialpolitik, sie lehnt es aber auch ab, selbst als Werkzeug der Sozialpolitik behandelt zu werden und sich die Agrarpreise ausschließlich von sozialpolitischen Erwägungen diktieren zu lassen.

Es muß wie Hohn in den Ohren der Bauernschaft klingen, wenn ausgerechnet ihr immer wieder der Hang zum Dirigismus vorgeworfen wird. Sie ist es, der für ihre wichtigen Produkte nach oben hin streng begrenzte Preise vorgeschrieben werden, sie muß der Arbeitszeitbegrenzung und den kollektiwertraglich festgesetzten Löhnen in den eigenen Betrieben Rechnung tragen und für die Arbeitszeitverkürzungen und Lohnerhöhungen in Industrie und Gewerbe gesteigerte Auslagen auf sich nehmen. Als Konsument steht der Bauer einer gewerberechtlich weitgehend abgesicherten Wirtschaft gegenüber, die ihre Preise nach dem Prinzip der Kostendeckung berechnet. Als Produzent setzt eine veraltete Gewerbeordnung den erweiterten Absatz der Agrarprodukte — besonders augenfällig etwa bei der Milch, wo die Errichtung von Milchtrinkstuben und Milchautomaten nur zu oft unmöglich gemacht wird — mancherlei Schwierigkeiten entgegen.

Es gibt keine stichhältige Begründung, mit der man der österreichischen Bauernschaft ein Landwirtschaftsgesetz länger verweigern könnte. Ein von Jahr zu Jahr verlängertes Marktordnungsgesetz gibt der Landwirtschaft nicht jene Sicherheit, mit der sie im Interesse einer fortschrittlichen Wirtschaftsführung rechnen können muß. Dessen sind sich auch die Landarbeiter und ihre demokratisch gewählten Vertreter bewußt, die sich darum nachdrücklich für die Verwirklichung des Landwirtschaftsgesetzes einsetzen, ebenso nachdrücklich aber jenen politischen Kuhhandel, wonach dieser Gesetzgebung von seiten der Sozialisten nur in Kompensation gegen eine Verbundlichung des Landarbeiterrechtes zugestimmt werden soll.

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