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Landwirtschaft im Industriestaat

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Mit Erschütterung und Grauen verfolgt die freie Welt — soweit sie sich noch ein waches Empfinden für die großen Tragödien unserer Zeit bewahrt hat — die fortgesetzte, ja nahezu schon abgeschlossene Versklavung des Bauerntums in den Ländern hinter dem Eisgrnen Vorhang. Ohne jegliche Rücksicht auf die persönliche Freiheit und Würde von Millionen bäuerlicher Menschen unternimmt der Kommunismus in gewaltigen Experimenten den Versuch, die Landwirtschaft auf seine Weise ins Industriezeitalter einzubauen. In riesigen, technisch und betriebswirtschaftlich modern geführten Kollektivbetrieben soll die Agrarwirtschaft der Industrie, soll der Bauer der Industriegesellschaft dienstbar gemacht werden. Umgekehrt hofft man natürlich auch, die Errungenschaften der Industrie und Technik im großen Kollektivbetrieb am vorteilhaftesten nützen zu können. Produktionsrückgänge und andere Mißstände im Gefolge der Kollektivi-sierung, die sich gelegentlich nicht ganz verheimlichen lassen, werden als Wachstumerscheinungen hingenommen. Jedenfalls glaubt sich der Kommunismus auch in dieser Hinsicht durchaus auf dem rechten Weg zur ersten Wirt-schaftsmacht der Welt.

Wer nun die Entwicklung der jüngsten Zeit aufmerksam verfolgt, kann nicht übersehen, daß der Kommunismus in der Verteidigung seiner Agrarpolitik gegenüber der freien Welt von der Defensive eindeutig in die Offensive übergegangen ist. Am deutlichsten wird dies etwa in der neuesten Propaganda der kommunistischen Machthaber Ostdeutschlands gegenüber der Bauernschaft der Deutschen Bundesrepublik ersichtlich. Es ist kein Geheimnis, daß die freien westdeutschen Bauern im Rahmen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft um ihre Selbstbehauptung schwer zu kämpfen haben. Aber auch in den übrigen EWG-Staaten, so wie überhaupt in den meisten Staaten der freien Welt mit zunehmender Industrialisierung sind noch erhebliche Anstrengungen notwendig, um im Zeitalter der Technik die an einen natürlichen Produktionsrhythmus gebundene und durch besondere Marktschwächen belastete Landwirtschaft der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung anzupassen und ihr einen entsprechenden Arbeitslohn zu sichern. Allerdings hat sich hier bereits weithin die Erkenntnis durchgesetzt, daß die außerordentlichen Verhältnisse, die die Landwirtschaft von der übrigen Wirtschaft unterscheiden, auch außerordentliche Maßnahmen erfordern, die in einer entsprechenden Agrargesetzgebung ihren Ausdruck finden müssen. Dieser Erkenntnis wird in den einzelnen modernen Industriestaaten ebenso wie in den in Entstehung begriffenen Wirtschaftsgemeinschaften und Großraumwirtschaften mehr und mehr Rechnung getragen; nicht nur aus Rücksicht auf die wirtschaftliche, soziologische und politische Bedeutung der Bauernschaft, sondern selbstverständlich auch unter Bedachtnahme auf die Sicherung der Ernährung der Gesamtbevölkerung.

Das einheitliche Ziel der modernen Agrargesetzgebung in der freien Welt ist es, der Landwirtschaft den Absatz ihrer Produkte zu stabilen und angemessenen Preisen zu ermöglichen und dadurch gesunde und leistungsfähige landwirtschaftliche Betriebe zu erhalten, die die Volksernährung sichern und durch ein stabiles, ausgeglichenes Agrarpreisniveau entscheidend zur Erhaltung von Stabilität und Gleichgewicht in der gesamten Volkswirtschaft beitragen.

Das Agrarpreisniveau ist für die industriellgewerbliche Wirtschaft, aber auch für den Arbeiter-, Angestellten- und Beamtenhaushalt zweifellos ein sehr wesentliches Kostenelement. Anderseits stellen aber Lohn- und Preisgestaltung der übrigen Wirtschaft die entscheidenden Kostenfaktoren für die Landwirtschaft dar, die selbst ein sehr bedeutender Abnehmer industriell-gewerblicher Erzeugnisse ist und deren Kaufkraft für die Sicherung der Arbeitsplätze in Industrie und Gewerbe eine wesentliche Rolle spielt. So betrugen die Bargeldausgaben der österreichischen Landwirtschaft im Durchschnitt der letzten Jahre weit mehr als 20 Milliarden Schilling jährlich, wovon etwa elf Milliarden für den Bezug von Industrie- und Gewerbeprodukten verwendet wurden. Im Interesse der gesamten Volkswirtschaft ist es also durchaus nicht gleichgültig, ob die Landwirtschaft kaufkräftig oder konsumschwach ist.

Trotz gewaltiger Produktionserfolge der modernen Landwirtschaft weitete sich in allen Industriestaaten der Abstand zwischen dem landwirtschaftlichen und dem nichtlandwirtschaftlichen Einkommen in den letzten Jahren immer mehr aus. Die Landwirtschaft hatte — auch in Österreich — an dem in der Industrie erzielten Produktivitätserfolg deshalb keinen Anteil, weil er in einem namhaften Umfang — in manchen . industriell-gewerblichen Erzeugungs.-, zweigen fast zur Gänze — der konsumierenden nichtagrarischett Bevölkerung zufloß. Die moderne Agrargesetzgebung — in Österreich das Landwirtschaftsgesetz — versucht nun, auch der Bauernschaft einen ihren Leistungen entsprechenden Anteil an der wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung zu sichern. Sie denkt dabei keineswegs in erster Linie an Agrarpreiserhöhungen, wie überhaupt konsumschädigende LebensmittelPreiserhöhungen nicht in das Programm der österreichischen Agrarpolitik gehören. Die wesentlichsten Ziele des Landwirtschaftsgesetzes sind vielmehr eine entsprechende Zurichtung und Stabilisierung der Agrarmärkte durch Ausschaltung der Marktschwächen der Landwirtschaft, die möglichste Senkung der Erzeugungskosten, die Erhöhung der Qualität und somit der Marktgängigkeit der Erzeugnisse, die Ermöglichung entsprechender Lagerhaltung zur kontinuierlichen Marktbelieferung und Vermeidung überhöhter Preisschwankungen; ferner die weitere Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Landwirtschaft und nicht zuletzt agrarstruktu-relle Verbesserung zur wirtschaftlichen Festigung der Betriebe.

Durch die im Landwirtschaftsgestz vorgesehene Preisbestimmung für landwirtschaftliche Produkte, durch die Erstellung von Richtpreisen und durch Maßnahmen der Marktentlastung soll dem österreichischen Landwirt und seinen Mitarbeitern ein angemessener Lohn, gleichzeitig aber auch dem Konsumenten Preisstabilität und ordnungsgemäße Versorgung gesichert werden. In den erläuternden Bemerkungen zum Landwirtschaftsgesetz heißt es, „audi der Konsument hat großes Interesse an stabilen Lebensmittelpreisen, da er nur dadurch in die Lage kommt, auf längere Sicht planend sein Einkommen auf die verschiedenen Lebensbedürfnisse aufzuteilen, und Sicherheit hat, daß ihm die von seiner Berufsvertretung erkämpften Gehälter und Löhne tatsächlich den erwarteten Lebensstandard geben. Sinkende Lebensmittelpreise werden vom Konsumenten wohl gerne zur Kenntnis genommen, das Steigen, ja selbst das Wiederansteigen auf eine frühere Höhe, ist aber ein Anlaß zu Lohnforderungen. So hat auch der Unternehmer großes Interesse an stabilen Agrarpreisen, weil sie ihm für lange Zeit Stabilität seines größten Kostenanteiles, der Löhne, sichern und damit Gelegenheit geben, seine Verkaufspreise langfristig festzulegen und in weiterer Folge seine Konkurrenzfähigkeit zu erhöhen.“

Die enge Verflechtung der verschiedenen wirtschaftlichen Interessen ist also nicht zu übersehen. Darum ist es Aufgabe jedes modernen Industriestaates, zur Sicherung seines volkswirtschaftlichen und • gesellschaftspolitischen Gleichgewichtes für die Erhaltung einer gesunden und leistungsstarken Landwirtschaft Sorge zu tragen. Dann wird sich auch das freie Bauerntum zweifellos gegenüber dem kommunistischen Kollektivismus als auf die Dauer überlegen erweisen können und weiterhin einen wesentlichen und wertvollen Teil einer freien Gesellschaft in einer wahrhaft freien Welt repräsentieren.

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