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Kann Landwirtschaft wie eine Industrie betrieben werden?

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Landwirtschaft - als Subven- tionsempfänger Sorgenkind der Industriegesellschaft. Wird sie im rauhen Wind der EG-Kon- kurrenz weiter schrumpfen? Hat sie überhaupt Zukunft? Ja, wenn sie sich wandelt, ant- worten die Autoren dieses Dos- siers. Mehr noch: Recht betrie- ben könnte die Landwirtschaft sogar zum Modell einer ökologisch verträglichen Wirtschaft von mor- gen werden.

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Landwirtschaft - als Subven- tionsempfänger Sorgenkind der Industriegesellschaft. Wird sie im rauhen Wind der EG-Kon- kurrenz weiter schrumpfen? Hat sie überhaupt Zukunft? Ja, wenn sie sich wandelt, ant- worten die Autoren dieses Dos- siers. Mehr noch: Recht betrie- ben könnte die Landwirtschaft sogar zum Modell einer ökologisch verträglichen Wirtschaft von mor- gen werden.

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Als Arthur W. Perdue im Jahre . 1920 im Garten seines klei- nen Anwesens in Maryland/USA einen Hühnerstall errichtete und die ersten 53 Legehennen einstall- te, dächte er vermutlich auch in seinen kühnsten Träumen nicht daran, was einmal aus diesem Un- ternehmen werden sollte: Heute werden an 36 Standorten 12.400 Personen beschäftigt, die pro Jahr mehr als 500.000 Tonnen Geflügel- fleisch erzeugen. 'Perdue Farms Inc.' ist mit einem Produktionsvo- lumen von über 800 Millionen US- Dollar (rund zehn Milliarden Schil- ling) hinter 'Tyson Foods Inc.' die zweitgrößte unter den sogenannten „Megafarmen" der USA. Egal wo man zwischen Maine und North Carolina eine Zwölfer-Packung „Chicken Drumsticks" aus dem Regal eines Food Markets holt, fast immer sind sie von 'Perdue Farms'.

Definiert man eine „Megafarm" mit einem Jahreserlös von minde- stens' 8 Millionen US-Dollar, dann erfüllen in den Vereinigten Staaten etwa 400 Betriebe dieses Kriterium (H.-W. Windhorst, „Großfarmen und agrarindustrielle Unternehmen in den USA", 1988). Wenn auch Megafarmen lediglich 0,02 Prozent (!) aller Betriebe ausmachen, so spielen sie zusammen doch jährlich einen Erlös von mehr als 22 Milliar- den US-Dollar (270 Milliarden Schilling), was einem kumulierten Marktanteil von 16 Prozent(!) ent- spricht.

Die Fleischproduktion dominiert dabei klar: Etwa 60 Prozent aller Megafarmen finden sich allein in den Sparten Mastrinder und Ge- flügel (Umsatz 200 Milliarden Schilling). Im pflanzlichen Bereich befassen sich derartige Riesen vor allem mit Gemüse, Zitrusfrüchten und Wein (Umsatz 43 Milliarden Schilling).

Diese Extremformen landwirt- schaftlicher Betriebe sind im Ge- gensatz zum Durchschnitt der US- amerikanischen Farmen kommer- ziell zumeist sehr erfolgreich. Zwei Charakteristika zeichnen dafür verantwortlich: Zum einen der hohe Grad an vertikaler Integration des Produktionsprozesses (Produktion, Veredelung und Vertrieb), zum anderen die kompromißlose Suche nach optimalen Standorten bzw. Produktionsabläufen unter Aus- nutzung aller sich bietenden Frei- räume.

Zusammen ergibt das jeweils eine Kombination, die kleineren, tradi- tionell wirtschaftenden Farmern kaum mehr eine echte Konkurrenz- chance läßt. Aus der Sicht der noch über- wiegend bäuerlich strukturierten Agrar- welt in Österreich, Bayern oder der Schweiz stellt sich die Frage, inwieweit der- artige Entwicklungen auch bei uns zu erwar- ten oder sogar anzu- streben sind.

Wie sinnvoll Formen industrialisierter Landwirtschaft aus einer gesamtgesell- schaftlichen Perspek- tive sind, hängt in er- ster Linie davon ab, welche Leistungen die Gesellschaft von der Landwirtschaft erwar- tet. Anders formuliert, was gewinnen bezie- hungsweise verlieren wir, wenn wir die Landwirtschaft als Industriesektor orga- nisieren?

Der gesamtwirt- schaftliche „Gewinn" aus einer voll indu- strialisierten Land- wirtschaft besteht im idealtypischen Fall in einer Nahrungsmittel- produktion, die sich exakt an den Bedürf- nissen der Konsumen- ten orientiert, sehr preisgünstig ist und ohne staatli- che Zuschüsse auskommt. Von den unter gegebenen Standortbedin- gungen konkurrenzfähigen Nah- rungsmitteln und Rohstoffen wird soviel wie möglich produziert. Funktionierende Agrarmärkte sor- gen dafür, daß alle anderen Pro- dukte importiert beziehungsweise die den Inlandsbedarf übersteigen- den Mengen auf dem Weltmarkt abgesetzt werden können.

Ganz offensichtlich ist eine der- artige Agrarphilosophie für große Länder wie die USA, die fast alle wichtigen Klimazonen umfassen, sehr vorteilhaft: Preisgünstige Nahrungsmittel müssen nicht mit einer hohen Abhängigkeit von aus- ländischen Anbietern erkauft wer- den. Die dünne Besiedelung agra- risch genutzter Gebiete verhindert beziehungsweise kaschiert ökolo- gische Probleme und damit Kon- flikte mit nichtagrarischen Bevöl- kerungsteilen.

Das Hinausdrängen Hunderttau- sender Farmer geht auch weitge- hend abseits der Aufmerksamkeit der Gesellschaft vor sich: Weder bemerkt der Durchschnittsameri- kaner gravierende Veränderungen im Landschaftsbild, noch ist damit ein besonderer Verlust bäuerlicher Traditionen verknüpft.

Die Situation in Mit- teleuropa ist grundle- gend anders: Landwirt- schaftliche Produktion findet praktisch unter den Augen der Öffent- lichkeit statt. Der Lebens- und Erholungs- raum der Bevölkerung wird durch agrarische Flächen geprägt. Diese vielfältigen Berührungs- punkte bedingen eine stärkere Rücksichtnah- me zwischen agrarischen und nichtagrarischen Be- reichen: Die Nutzungs- konflikte um die Res- source „Grundwasser" sind ein aktuelles Bei- spiel für die engen Gren- zen intensiver land- wirtschaftlicher Pro- duktionsformen in dicht- besiedelten Gebieten. Zusätzlich haben land- wirtschaftliche Flächen bei uns auch diverse So- zialfunktionen zu er- füllen, die in den USA durch „state parks" ab- gedeckt werden.

Die Verdrängung bäu- erlicher Landwirtschaft durch industrialisierte Produktionsformen hat bei uns - anders als in den „traditionsarmen" USA - auf lange Sicht auch soziale und ethische Konse- quenzen. Arnold Gehlens Ausfüh- rungen zu „Agrarmoral" als wich- tiges „Nebenprodukt" bäuerlicher Lebensweise, „Bäuerlichkeit" als Produktionsfaktor (siehe Seite 15) oder die bereits von Schumpeter erwähnte moralische Rolle der „schützenden Schichten" sollten nicht von vorneherein beiseite gewischt werden.

Viele kulturelle Charakteristika des ländlichen Raums (Dorf Organi- sation, Architektur, Brauchtum,...) gehen ohne bäuerliche Landwirt- schaft vermutlich unwiederbring- lich verloren.

Den auch in Österreich ansatz- weise auftretenden Tendenzen zu einer industrieähnlichen Landwirt- schaft wird von der Agrarpolitik durch Höchstgrenzen bei Tierbe- ständen oder Beschränkungen der Düngungsintensität zu begegnen versucht. Auf geschützten Inlands- märkten war dies bisher relativ einfach möglich.

Das in einigen Monaten zu er- wartende Ergebnis der achten GATT-Runde („Uruguay-Runde") könnte allerdings den ersten Schritt zu liberalisierten Weltagrarmärk- ten bedeuten. Der autonome Ge- staltungsspielraum der Agrarpoli- tik wird jedoch ohne Außenschutz deutlich eingeengt.

Ob dann auf österreichischen Durchschnittshöfen mit der Erzeu- gung von standardisierten Welt- marktprodukten wie Weizen oder Rindfleisch ein befriedigendes Einkommen erzielt werden kann, ist zumindest fraglich. Auf der anderen Seite stößt aber - wie oben dargelegt - eine industrielle Agrar- produktion in Österreich sehr rasch an ökologische und infrastruktu- relle Grenzen.

Es könnte künftig durchaus der Fall sein, daß zwei gegenläufige Trends im österreichischen Agrar- sektor parallel ablaufen: Während sich in den Gunstlagen die Hofgrö- ßen in Richtung international wett- bewerbsfähiger Betriebe bewegen, könnten gleichzeitig kleinere Ein- heiten in Randgebieten durch Er- zeugung von ökologisch hochwer- tigen Spezialerzeugnissen bezie- hungsweise Erbringung von Dienst- leistungen im Bereich Katastro- phenschutz, Landschaftspflege oder Tourismus weiter ihr Auskom- men finden.

Neben einer gerechteren Entloh- nung für derartige Tätigkeiten als bisher dürften gerade in diesem Segment Erwerbskombinationen unverzichtbar werden. Die Erhal- tung einer intakten bäuerlichen Landwirtschaft wird von der Agrar- politik künftig deutlich mehr Phan- tasie und eine effizientere Mittel- aufteilung als bisher erfordern.

Dies nicht zuletzt deshalb, weil bäuerliche Landwirtschaft zuneh- mend eine Ausnahme von einem weltweiten Trend zu Agrarwirt- schaft als Industriesektor darstel- len wird. Dennoch scheint für mit- teleuropäische Verhältnisse die un- kritische Übernahme agrarindu- strieller Produktionsformen keine tragfähige Lösung, sondern eher eine Sackgasse darzustellen.

Der Autor ist Dozent an der Universität Linz

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