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Wenn Bio zum Rettungsanker wird

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Er gehört zu den wichtigen, aber auch zu den vom EU-Beitritt stark betroffenen Wirtschaftsbereichen Österreichs: der Lebensmittelsektor. Interessante Aspekte seiner schmerzhaften Veränderung zeigt der im Frühsommer veröffentlichte Lebensmittelbericht auf.

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Er gehört zu den wichtigen, aber auch zu den vom EU-Beitritt stark betroffenen Wirtschaftsbereichen Österreichs: der Lebensmittelsektor. Interessante Aspekte seiner schmerzhaften Veränderung zeigt der im Frühsommer veröffentlichte Lebensmittelbericht auf.

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Rund 500.000 Menschen in 300.000 Betrieben (etwa 15 Prozent der in Österreich Beschäftigten) wirkten 1994 an der Herstellung, Verarbeitung und Verteilung von Lebensmitteln mit. Sie erarbeiteten dabei eine Wertschöpfung von 265 Milliarden Schilling (11,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts). Die wichtigsten Teilbereiche des Sektors sind der Lebensmittelhandel (etwa ein Drittel der Wertschöpfung), die Landwirtschaft sowie das Gaststätten- und Beherbungswesen (etwa je ein Viertel).

Wie schwer es der Lebensmittelsektor gehabt hat, wird allein schon aus einigen Sätzen am Beginn des Berichtes deutlich: „Der EU-Beitritt bedeutete die Übernahme der Gemeinsamen Agrarpolitik sowie die vollständige Öffnung der Agrar- und Lebensmittelmärkte für Mitbewerber aus der EU. Hinzu kamen die Anpassungserfordernisse infolge der Übernahme des EU-Handelsregimes mit den Reformstaaten Mittel- und Osteuropas und des Abschlusses der GATT-Verhandlungen. Die Beschränkungen im I Iandel mit Agrar-waren und Lebensmitteln mit der Gemeinschaft sind ohne Übergangsfrist gefallen. Für den österreichischen Lebensmittelsektor, insbesondere für die Bauern und die LeBensmittelin-dustrie, waren damit tiefgreifende strukturelle Veränderungen verbunden.”

Umsatz: -25 Prozent

Am stärksten bekam es die Landwirtschaft zu spüren. Wertmäßig ging ihre Produktion allein im Zeitraum 1994/95 um 25 Prozent zurück! Besonders betroffen waren jene Bauern, die intensive Bewirtschaftung betrieben. Einen Ausgleich für diese Einkommensausfälle versuchte man, durch Direktzahlungen an die Betriebe zu erreichen. Diese Zahlungen stiegen im Beobachtungszeitraum auf das Zweieinhalbfache und machten 1995 fast die Hälfte des Wertes der Endproduktion aus.

Das bedeutet, daß die bäuerlichen Betriebe in einem enormen Ausmaß von direkten öffentlichen Zuwendungen, also letztlich vom Wohlwollen der Steuerzahler, abhängig geworden ist. Man fragt sich unwillkürlich, wie lange die Bereitschaft, die

Bauern zu subventionieren, in wirtschaftlich schwierigen Zeiten erhalten werden kann.

Grund für den massiven Bückgang des Wertes der Agrarproduktion war der Einbruch der Preise für eine Reihe von Produkten. Besonders betroffen waren die Erzeugerpreise für Getreide und Kartoffeln (Bückgang um die Hälfte), für Gemüse und Milch (ein Drittel), in der Tierhaltung (23 Prozent). Im Durchschnitt wurde ein Preisverfall um 18 Prozent verzeichnet. Und das beinahe von heute auf morgen.

Wie haben nun die Bauern auf diese dramatischen Änderungen der Rahmenbedingungen reagiert? Da ist zunächst eine massive Umorientie-rung auf biologischen Landbau zu verzeichnen. Er wird ja als der große Konkurrenzvorteil der österreichischen 1 Landwirtschaft angesehen. Begleitet wurde diese Neuausrichtung vom Einstieg großer Handelsketten in die Vermarktung von Bio-Produkten (1995 eine Milliarde Umsatz, 1996 Verdoppelung), was einerseits Absatzchancen eröffnet, andererseits aber einen Preisdruck auf Bioprodukte bedeutet. Im Biolandbau ist Österreich jedenfalls mittlerweile „Europameister”, wie Landwirtschaftsminister Wilhelm Molterer feststellte (FURCHE 20/1997).

Die zweite Stoßrichtung bäuerlicher Bemühungen ging Richtung Direktvermarktung (Ab-Hof-Verkauf, Bauernmärkte, Vermarktungsinitiativen). Schätzungen zufolge dürfte auf diesem Weg ein Umsatz von 26 Milliarden Schilling erzielt worden sein. Dieser Absatzweg wird als ausbaufähig (bis zu einem Volumen von 45 Milliarden Schilling) angesehen.

Schwer zu schaffen gemacht hat die Marktöffnung auch der gewerblichen und industriellen Lebensmittel-

Verarbeitung. Vor allem bei den Mühlen sowie bei der Verarbeitung von Milch und Fleisch in der ersten Stufe hatte es Überkapazitäten gegeben. Daher kam es dort zu einem beachtlichen Abbau von Arbeitsplätzen, der sich leider fortsetzen dürfte (bis zu 50 Prozent des Ausgangs wertes).

Den Bemühungen um Neustruk-turierung attestiert der Bericht nur „mäßige Erfolge”. Die vor der EU-Abstimmung angekündigten Programme zur Erleichterung der Anpassung hätten nicht den erhofften Erfolg gebracht. Zu bedenken sei auch, daß der Lebensmittelmarkt in Europa enorm gesättigt sei. Man werde da nur schwer Fuß fassen können.

Sinkende Preise

Dementsprechend gering ist die Bedeutung des Lebensmittel-Außenhandels (acht Prozent bei den Importen, sechs bei den Exporten). Allerdings sei ein Anstieg beim Importüberhang zu verzeichnen, obwohl die inländischen Anbieter ihre Preise in einigen kritischen Warengruppen zum Leidwesen der Landwirtschaft deutlich unter das Niveau möglicher EU-Konkurrenten gesenkt haben.

Einen anhaltenden Konzentrationsprozeß registriert der Bericht im Ijebensmitteleinzelhandel. Die wichtigste Ursache: Der Zusammenbruch des Konsums und seine Aufteilung unter den ohnedies schon riesigen Handelsketten. Die erwähnten Preiseinbrüche, Rückgänge im Tourismus und die bäuerliche Direktvermarktung trugen dazu bei, daß der Lebensmittelhandel 1995 Umsatzrückgänge zu verzeichnen hatte.

Diese fortschreitende Konzentration macht es den nicht organisierten Kleinbetrieben langsam unmöglich zu überleben. Daher gibt es in Österreich bereits 200 Gemeinden, in denen es kein eigenes lbensmittelge-schäft mehr gibt.

Soweit der EU-Beitritt zu Preissenkungen geführt hat, war dieser Effekt jedenfalls bei Lebensmitteln und Getränken am stärksten ausgeprägt (im Durchschnitt allerdings nur -1,7 Prozent im Vergleich zu 1994). „Das Niveau der Preissenkungen blieb allerdings unter den Erwartungen”, registriert der Bericht. Zwar seien die Agrarpreise, wie erwähnt, dramatisch gesunken, die Verbraucher hätten jedoch von dieser Entwicklung nur „unterproportional” profitiert.

Veränderungen registriert der Bericht auch im Verbrauchsverhalten der Konsumenten. Einerseits wird eine wachsende Nachfrage nach frischen Lebensmitteln und Bioprodukten, andererseits aber auch ein Anstieg des Interesses an verzehrfertigen Gerichten festgestellt.

Zwar stehe gutes Essen und Trinken recht weit oben in der Wertehierarchie der Konsumenten, dennoch aber wird nicht mit einem Anstieg der Ausgaben in diesem Bereich gerechnet. In den letzten Jahren sinkt nämlich der Anteil der Ausgaben für Lebensmittel am privaten Konsum. Heute geben die österreichischen Haushalte bereits weniger für Lebensmittel als für das Wohnen (20 Prozent der Konsumausgaben) aus.

Interessant ist übrigens, daß die in Österreich recht gut ausgebaute Lebensmittelüberwachung (sie zog 1995 rund 42.000 Proben) einiges zu beanstanden hatte, zumeist die Kennzeichnung. Aber auch die Qualität der Ware ließ häufig zu wünschen übrig: In vier Prozent der Fälle wurden gesundheitsschädigende und in neun Prozent der Fälle verdorbene Proben registriert, insbesondere bei Geflügel und Backwaren.

Insgesamt gibt der Bericht zu denken. Wie war es möglich, daß dieser Wirtschaftssektor, der immerhin für die Versorgung mit lebenswichtigen Gütern zuständig ist, so schlecht auf die EU vorbereitet gewesen sein konnte? Und besorgt fragt man sich: Wie soll er langfristig überleben auf einem europäischen Markt, der einen hohen Grad an Konzentration in der Verarbeitung und im Absatz und Überkapazitäten bei der Produktion aufweist?

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