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Vom Volksfest zur Zentral-Landwirtschaftsmesse

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Das alte und schon lange über die engeren Heimatgrenzen hinaus nicht nur in Oesterreich, sondern auch im angrenzenden deutschen Gebiet wohlbekannte „Welser Volksfest“ hat sich besonders in den letzten Dezennien, begünstigt durch die hervorragende zentrale Lage in einem ausgesprochenen Kernbauerngebiet, aber auch durch die rührige Initiative seiner Leitung zu einer der größten österreichischen Messen entwickelt, die bei aller Vielseitigkeit in der Schaustellung, die breite Interessentenkreise von nah und fern anzuziehen in der Lage ist, doch vornehmlich auf die Bedürfnisse des äußerst produktiven und kaufkräftigen näheren und weiteren bäuerlichen Hinterlandes eingestellt blieb und dabei den originellen, volkstümlichen Charakter seiner Entstehung weitgehend gewahrt hat. Dadurch wurde sie auch zu einem gegebenen und beliebten landwirtschaftlichen Ausstellungszentrum, das auch in diesen Belangen über das Heimatgebiet weit hinausgriff.

Blicken wir kurz die 80 Jahre des Bestandes dieser Messe zurück, um die durchgreifende Wandlung auch im landwirtschaftlichen Geschehen ermessen zu können. Damals waren noch 60 Prozent der Bevölkerung des heutigen Oesterreich der Landwirtschaft zugehörig. Aber die aufkommende Industrie und die einsetzende Konzentration der Bevölkerung auf die Haupt-erwerbsplätze verursachten vermehrten Nahrungsmittelbedarf, steigende Preise und leiteten von der bisher vorwiegenden Selbstversorgung zur immer mehr dominierenden Marktversorgung über. Damals .entstanden schon die ersten Zuckerrübenfabriken und ermöglichten zusammen mit dem aufgehobenen Flurzwang, mit Kleebau an Stelle der Brache, mit besserer Düngerausnützung und schon damals einsetzender Mechanisierung eine intensive Ackerkultur, die nicht nur Getreide, sondern ereiebige Hackfrüchte und reichlichen Futteranfall auch vom Ackerland ermöglichten.

Damit setzte auch beim Ackerbauern eine intensivere Viehhaltung und -nutzung ein, die bisher vorwiegend auf die Berg- und Alp- und günstigen Grünlandgebiete beschränkt war. Die Intensivierung wirkte sich hier nun in der Mehrung des Rinder- und Schweinebestandes, besonders aber auch mit zunehmend intensiverer Fütterung in höherer Leistung und rascherem Umsatz aus, in den Berggebieten aber brachte die Umstellung auf die Marktbedürfnisse eine Abkehr von den extensiveren Nutzunsren, von Ochsen. Ziegen und Schafen. Die zwecks rascherem LImsatz und höherer Leistung verlangte intensivere Fütterung hatte dort bei fast gleich gebliebenen Futterquellen eine Reduktion der Viehbestände, besonders beim Galtvieh, zur Folge.1 Aber im Interesse des Absatzes der Industrieprodukte wurden noch lange große Mengen von Nahrungsmitteln. Nutz- und Schlachtrindern und besonders Schweinen von den östlichen Agrarländern bezogen, und es sind kaum 30 Jahre her. daß Oesterreich durch Lösung dieser Bindungen einer vollen eigenen Produktions-misweitung und damit den heutigen Produktionsbedingungen und Lebensbedürfnissen entsprechenden Ertragsmöglichkeiten Raum gab

Diese Produktionsausweitung hat sich inzwischen in einem früher für ein vorwiegendes Bergland kaum vorstellbarem Maße vollzogen. Obwohl sich die Gesamtbevölkerung im heutigen Staatsgebiet seit damals um 2,5 Millionen Menschen vermehrte, die landwirtschaftliche Bevölkerung aber um eine Million zurückging und heute nur noch 20 Prozent Anteil an der Gesamtbevölkerung hat, obwohl zwei schwere Kriegs- und Nachkriegszeiten uns durch Personalmangel und Kriegsschäden hemmten, ist heute die Eigenversorgung besonders auf viehwirtschaftlichem Gebiet an Milch und Fleisch, aber auch an Zucker und Kartoffeln voll gegeben und auch auf dem Getreidesektor eine Versorgung erreicht, die unsere Bevölkerung im Hinblick auf die mit der Neutralität unseres Staates gegebenen Verpflichtungen mit Beruhigung in die Zukunft blicken läßt.

Die Produktion ist sogar auf manchen Gebieten über den Eigenbedarf hinausgewachsen. Die früher auf den Westen beschränkten uralten

Exportgebiete haben nun ganz Oesterreich eingeschlossen, und wir sind mit einer Abgabe von 70.000 hochwertigen Zucht-, Nutz- und Schlachtrindern im Jahre 1957 zu einem der stärksten Exportländer Europas geworden und führen hier dem Staat wertvolle Devisen zu. Auf dem Milchsektor dagegen sind die Ueberschüsse im Ausland nur zum Teil erfolgbringend zu verwerten. Obwohl daher dieser für den Oesterreicher weitgehend und reichlich gedeckte Tisch sowohl im Interesse der Sicherung der Bevölkerung vor dem noch gut bekannten Hunger wie auch im Interesse der Hebung des Bauernstandes notwendig war, haben sich gleichzeitig die Sorgen des Bauern und seiner Führung um Preis-und Existenzsicherung erheblich verstärkt. Wenn daher heute die Fragen der Absatz- und Produktionslenkung an Bedeutung stark gewinnen, sind doch Unkenrufe nach falscher Produktionspolitik fehl am Platz.

Ein Blick über die Grenzen belehrt uns, daß in der Heimat ein freier Bauer, Bürger und Arbeiter in angemessenem Wohlstand lebt und vorwärts strebt, daß anderseits in allen Staaten unserer feuchteren Klimazone Schwierigkeiten bestehen, die Produkte intensiver Vieh- und Milchwirtschaft abzusetzen, um die mit der modernen Mechanisierung — die uns durch den Mangel an landwirtschaftlichen Arbeitern und zwecks Kostensenkung aufgezwungen wurde — besonders im Klein- und Mittelbetrieb gegebenen erhöhten Betriebskosten abzudecken. Es gibt hier, kein Zurück. Auch in der Landwirtschaft kann nur eine betriebswirtschaftlich gesunde Produktion helfen, die Kosten-auf die Einheit des Produktes zu senken. Darum müssen wir weiterhin leistungsfähige Rinder für Milch- und Fleischerzeugung und rationelle Fütterung verlangen. Darum ist ,die 3 500-Liter-Kuh im Alpgebiet, die 4000-Eiter-Kuh im Flachland zur Notwendigkeit geworden.. Darum sind wir mit allen Mitteln daran, durch Freimachung oder Freihaltung von, Seuchen, wie Maul- 'und Klauenseuche, Tbc- und Bangseuche, eine rationelle Viehhaltung bei uns und beim Abnehmer zu ermöglichen. Die Erhaltung des züchtenden Berg- und Grünlandbauern und der Absatz unserer Mastrinder verlangt die Exportorientierung. In Bayern, Württemberg, Italien und Jugoslawien müssen wir mit Zucht-, Nutz- und Schlachtvieh die Konkurrenz gegenüber anderen Absatzländern halten, und das gelingt nur mit hochwertigen, gesunden Hochleistungstieren, wie sie von anderen auch angeboten werden. Der künftige Europamarkt wird diese Forderungen erhärten und unsere Konkurrenzfähigkeit auf eine harte Probe: stellen.

Züchter und; Bauern verstehen diese Gebote der Stunde. Die österreichischen Kontrollverbände weisen trotz Ungunst vieler Berggebiete von Jahr zu Jahr steigende Leistungen bei Herdbuch- und Kontrolltieren aus. Die vorgenannten heutigen Leistungsanforderungen sind bei der Mehrheit der österreichischen Zuchttiere erfüllt. Die schon immer stark beachtete gleichzeitige Fleischleistung des Rindes findet heute nicht nur in den Mastbetrieben, sondern besonders beim Abnehmer ihre Anerkennung. Auch-in der Schweinezucht finden die Wünsche des Konsumenten nach einem mageren Fleischschwein volle Beachtung und weisen die Schweinemastleistungsprüfungen Ergebnisse auf, die einer wirtschaftlichen Haltung dieses Tieres dienlich sind. Oesterreich konnte beim letzten Seuchengang in kurzer Zeit von Maul- und Klauenseuche wieder freigemacht werden; gut die Hälfte des österreichischen Rinderbestandes, und zwar besonders die Zuchtgebiete, sind bereits tbc-frei. und mit der auf. Grund des Bang-gesetzes begonnenen Säuberung von dieser Geißel des Rinderstalls machen wir gute Fort-“saJmtte.

Eine Chronik dieser Messe würde ein Spiegelbild dieser Entwicklung in der Vergangenheit ermöglichen, denn diese alle zwei Jahre wiederkehrende Schaustellung bietet willkommene Gelegenheit für die Betonung der jeweils der Landwirtschaft gestellten Aufgaben. Im Interesse der Erhaltung der Marktgeltung stehen derzeit besonders auch viehwirtschaftliche Fragen im Vordergrund. Erlebten wir auf der letzten Welser Messe vor zwei Jahren eine prachtvolle gesamtösterreichische Demonstration des österreichischen Fleckviehs, einer Rasse, die auf der Rinderschau des ersten Welser Volksfestes 1873 erst in einigen Exemplaren vertreten war, heute aber 40 Prozent des österreichischen Rinderbestandes inne hat und sehr exportstark geworden ist, ist heuer das österreichische Braunvieh an der Reihe.

Der Beschicker dieser gesamtösterreichischen Braunviehschau, die Arbeitsgemeinschaft der österreichischen Braunviehzuchtverbände mit Landesverbänden in sechs Ländern, 13.133 Mitgliedern, 43.916 Herdbuchtieren, stellt den stärksten Herdbuchbestand einer Rasse in Oesterreich, obwohl diese auf der ganzen Welt verbreitete Rasse mit 306.000 Rindern zahlenmäßig in Oesterreich nach Fleckvieh und Pinzgauern erst an dritter Stelle rangiert. Das Braunvieh, das vor hundert Jahren in origineller Form nur in Vorarlberg, im angrenzenden Tirol und Betrieben der Steiermark vertreten war, kann in Oesterreich wohl als Schrittmacher der Milchwirtschaft bezeichnet werden. Es fand zuerst vor wiegend in die Abmelkbetriebe und in die durch Industrie und Verkehr aufstrebenden Milchproduktionsgebiete Eingang. Diese in den Ursprungsgebieten vorwiegend auf die Verwertung von Rauhfutter in Bergbetrieben eingestellte, seit altem edle, milchbetonte Rasse zeigt eine hervorragende Durchzüchtung ihrer Eigenschaften und weitet ihre Qualitäten besonders unter guten Futterverhältnissen aus. 36,8 Prozent der österreichischen Braunviehkühe stehen unter Leistungskontrolle. Mit einem letztjährigen Durchschnitt der Herdbuchkühe von 3 512 Kilogramm Milch, 3,83 Prozent und 135 Kilogramm Fett erbrachte sie die beste Rassendurchschnittsleistung. Die höchste Verbandsleistung erzielte Steiermark mit 3992 Kilogramm Milch, 3,8 Prozent und 135 Kilogramm Fett. Die höchste Jahreseinzelleistung waren 11.924 Kilogramm Milch, mit 4,7 Prozent und 465 Kilogramm Fett; die höchste Lebensleistung betrug 84.370 Kilogramm Milch, 3,96 Prozent und 3344 Kilogramm Fett. Im vergangenen Jahr wurden 10.233 männliche und weibliche Zuchttiere dieser Rasse exportiert.

Mit einer Beschickung von 250 männlichen und weiblichen Zuchttieren, Stiernachzuchtsammlungen und Kuhfamilien wird diese Rasse eine eindrucksvolle Schau, bieten, Aüsg“£gJJchen-heit und Qualität unter Beweis stellen.

Aber auch das von vielen längst abgeschriebene Pferd, das sich neben der Maschine und besonders in unseren Waldbetrieben bis heute nicht ersetzen ließ und in neuester Zeit wieder zunehmende Exportzahlen aufweist, wird in einer oberösterreichischen Nutzpferdeverkaufsausstellung mit 30 Norikern und 20 Haflingern zur Geltung kommen. Oberösterreich wird weiterhin mit einer Zuchtschweineschau eine Bilderschau über Zuchtziel und Verbesserung der Zuchtleistungen in den letzten Jahren verbinden. In einer Sonderschau der Kleintierzüchter werden 1200 Stück Zuchtgeflügel und 800 Rassekaninchen ausgestellt werden. Eine reichhaltige Gartenbauausstellung unter dem Motto „Der Garten und du“ wird besonders die Bauern- und Landfrau ansprechen.

Mit der Durchführung der zweiten österreichischen Bundesreiterspiele wird diese Messe um eine weitere Attraktion bereichert. Zwölf ländliche Reitergruppen mit 96 Pferden, Warmblut, Norikern und Haflingern. werden den Tiervorführungen im Ring einen besonderen Reiz verleihen.

Dieses reichhaltige Ausstellungsprogramm findet am 3. September im Züchtertag der Zentralen Arbeitsgemeinschaft österreichischer Rinderzüchter im Kinosaal des Hotels Greif in Wels einen Höhepunkt. Er wird zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Züchtungskunde abgeführt und bezieht mit Ansprachen und vier Fachvorträgen Stellung zu agrarpolitischen und Fachfragen.

Die Leitung der Zentral-Landwirtschäftsmesse hat daher dafür gesorgt, daß die gewohnt große Zahl von Interessenten und Besuchern, besonders auch aus landwirtschaftlichen Kreisen, auf ihre Rechnung kommt. Wir erwarten außer Bauern und Züchtern unserer Heimat auch solche aus unseren Nachbarländern und hoffen, sie mit dem Gebotenen zufriedenstellen zu können. Unser besonderer Gruß gilt heute schon dem zum Besuch erwarteten russischen Landwirtschaftsminister. Wir werden bestrebt sein, ihn mit der Eigenart der landwirtschaftlichen Produktion und dem Qualitätsschaffen unseres Bauern vertraut zu machen.

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