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Die Not Jugoslawiens

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Offizielle Nachrichten bestätigen, daß sich Tito um eine Anleihe sowohl bei der Weltbank als bei privaten amerikanischen Banken bemüht. Ist dieser Schritt Jugoslawiens nur veranlaßt, wie behauptet wird, durch die Schwierigkeiten, die sich aus der von den Kominformstaaten verhängten wirtschaftlichen Blockade Jugoslawiens ergeben und die Durchführung des weitgesteckten Industrialisierungsprogramms Titos hemmen, das dem Lande zu neuem Wohlstand ver- . helfen soll? Man muß diese Frage verneinen.

Die festen und soliden Grundlagen der Wirtschaft in Jugoslawien waren seit jeher: Landwirtschaft, Viehzucht und Forstwirtschaft. Hunderttausende Waggons Weizen und Mais, viele tausende Waggons Schlachtvieh, Eier, Geflügel und andere tierische Produkte, Obst, besonders Dörrpflaumen, zahllose ganze Züge, mit Holz beladen, rollten alljährlich über che jugoslawische Grenze oder zu den jugoslawischen Häfen. Wesentlich geringere, aber noch immer erhebliche Ziffern wies die Statistik in früheren Jahren an anderen jugoslawischen Exportgütern aus: so Bergwerksprodukte, wie Bauxit, Eisen-, Schwefel-, Zink- und Bleierze, Zementmergel; auch Industrieerzeugnisse, wie Kupfer, Zement, Kalkstickstoff. Die Ausfuhr all dieser Güter gestattete dem jugoslawischen Volk, seinen Bedarf an industriellen Erzeugnissen, soweit sie die inländische Fabrikation nicht liefern konnte, reichlich zu decken und so einen guten Lebensstandard aufrechtzuerhalten. Wer Jugoslawien vor dem Kriege kannte, der wußte von einem Land der Fülle, in dem „Milch und Honig“ floß. Wie ist dies alles in kurzer Zeit anders geworden! Die unerhörtesten Preise werden für notwendige Lebensmittel jetzt aus Jugoslawien gemeldet — Fett, das vor dem Kriege um 12 bis 14 Dinar zu haben war, um 500 bis 600 Dinar! —, die städtische Bevölkerung, die an Weißbrot gewöhnt war, ist auf Maisbrot angewiesen, der Mangel an Kleidung und Schuhwerk ist allgemein, Bahnfahrten sind unerschwinglich geworden. Die Bevölkerung Dalmatiens und Montenegros müßte buchstäblich verhungern, würde sie nicht von einem wucherischen Schwarzhandel ein kümmerliches Leben fristen. Sind etwa die Verwüstungen des Krieges an diesem Niedergang schuld?

Nein, denn der fruchtbare Boden blieb unversehrt, der Viehstand ist wohl durch die deutsche Besetzung und durch die Kriegsereignisse wesentlich vermindert worden, er hätte sich aber im Zeitraum von vier Jahren erholen können, Schweine und Geflügel könnten längst den Vorkriegsstand erreicht haben. Alle Bergwerke und Fabriken blieben im wesentlichen unbeschädigt. Stark gelitten haben die Verkehrsanlagen. Sie sind aber nach offiziellen Meldungen nicht nur wieder instand gesetzt, sie wurden sogar durch namhafte Bahn- und Straßenbauten erweitert. Die Wälder wurden durch die Exploitierung der Besetzung und durch die Kriegsereignisse arg geschädigt, forcierte Holzexporte haben auch in den letzten Jahren die geschmälerten Holzvorkommen des Landes geschwächt.

Alles in allem haben also Krieg und deutsche Besetzung das Volksvermögen Jugoslawiens zwar merklich gemindert, die natürlichen Produktionskräfte des Landes aber nur unwesentlich geschwächt. Die Ursache der heutigen Not Jugoslawiens ist die grenzenlose Verschwendung und verkehrte Wirtschaftspolitik des kommunistischen Regimes. Verschwendung vor allem mit dem wertvollen und nicht leicht ersetzbaren Menschenmaterial. Die Austreibung von mehr als hunderttausend Deutschen, die unbestreitbar die besten Arbeitskräfte in Landwirtschaft und Industrie stellten, die Aussiedlung von zehntausenden Tschechen und Ungarn, die als Arbeitskräfte den Deutschen kaum nachstanden, haben das Land wertvoller Kräfte beraubt. Die Erhaltung einer Armee von mehr als einer halben Million Mann in einem Lande, das von niemand außerhalb des Eisernen Vorhanges bedroht wird, bringt eine weitere Schmälerung der Arbeitskräfte. Die Verfolgung aller, die als Gegner der kommunistischen Ideologie angesehen werden, hält zehntausende Emigranten, die im Ausland kümmerlich von fremder Hilfe leben, trotz ihrer Heimatsehnsucht von der Rückkehr ab. Die einstigen Arbeiter spielen heute „Beamte“, die Arbeit verrichten angeblich freiwillige kommandierte jugendlich Kräfte und Frauen. Das Ergebnis ist entsprechend. Zwangsarbeitslager für Tausende, die, kümmerlich ernährt, kaum zu der Arbeit fähig sind, zu der sie angehalten werden, können keinen Ersatz leisten. Man vergeudete aber auch das in der Landwirtschaft steckende Kapital. Die Aufteilung von Grund und Boden, die nicht nur Großgrundbesitze, sondern auch Mittelbesitze von über 30 Hektar betraf, erfolgte, allen üblen Erfahrungen zum Trotz, die man mit solchen Maßnahmen nach dem ersten Weltkrieg gemacht hatte, so, daß die Organisation der Bewirtschaftung dieser Besitze zerstört wurde, ohne für eine zweckmäßige Neuorganisation zu sorgen, Grund und Boden erhielten in den fruchtbarsten Niederungen Menschen, die weder nach ihrer früheren Beschäftigung zu intensiver Bewirtschaftung fähig waren, noch auch die notwendigen Geräte und sonstigen Hilfsmittel dazu besaßen. Ein katastrophaler Rückgang des Bodenertrages ist die Folge. Auch in der Viehhaltung, besonders in der Schweinezucht, wirkt die Zerstückelung der

größeren Besitze sehr ungünstig nach, da sich die Kleinstbesitzer in der Regel damit begnügen, für den Eigenbedarf, nicht aber für den Markt zu produzieren. Dazu kamen verkehrte Maßnahmen, so der im vergangenen Herbst unternommene Versuch, die Schweinemästung bei staatlich geleiteten Anstalten, die weder über die erforderlichen Anlagen, noch über geschulte Kräfte verfügten, zu konzentrieren. Zu diesem Zwecke wurden den größeren Bauern halbgemästet Schweine zu einem Preis abgenommen, der ihnen nicht einmal die Wiedereinstellung der gleichen Anzahl kleiner Ferkel ermöglichte. Überhaupt hat die Verfolgung der „Kulaken“ ihre Rückwirkung auf die Produktion, denn diese waren doch meist die tüchtigsten, da doch Fleiß und Fähigkeit, nicht aber nur die „Ausbeutung der Angestellten“, wie der Kommunismus behauptet, die Grundlage des Emporkommens in der ‘Wirtschaft bilden.

Diese Minderung in der Produktion und die daraus erwachsende Herabsetzung der Steuerleistung müßte höchste Sparsamkeit in der Verwaltung zur Folge haben. Statt dessen schwellen aber die staatlichen Ausgaben ins Unermeßliche. Ein System, das die ganze Wirtschaft bis ins kleinste Detail selbst in der Hand haben, alles selbst leiten, zentral verwalten und kontrollieren will, kennt überhaupt keine Grenzen im Personalbudget, mag es auch seine Angestellten bis auf wenige Ausnahmen auf das kärglichste entlohnen. Dazu ein Heer von Entwurzelten, von der heimatlichen Scholle Entwurzelten und die Notwendigkeit der politischen Kontrolle, die bei der innerlich ablehnenden Haltung der Mehrzahl der Beamten die Durchsetzung des ganzen Apparats mit sachlich unfähigen, aber politisch verläßlichen Elementen herbeiführte! Die Besorgnis, für Fehler des Regimes als „Saboteure“ zur Verantwortung gezogen zu werden, nimmt auch den sonst Arbeitsfreudigen jede Initiative.

So mehren sich ständig die Auslagen für di Polizei und Propaganda.

Zu alldem kommt die verkehrte Industrialisierungspolitik. Nicht das zu erzeugen, was im Lande besser und billiger hergestellt werden kann, als es das Ausland anbietet, ist das Programm, sondern alles selbst zu machen, mögen auch die Voraussetzungen für eine lohnende Produktion durchaus nicht gegeben sein. Das Ergebnis sind Fehlinvestitionen, schlechte und teure Produkte, ja sogar Passivität einträglich gewesener, jetzt verstaatlichter Betriebe.

So sieht also die jugoslawische Wirtschaft heute aus.

Der Wunsch nach einer Anleihe ist da verständlich. Wird er erfüllt werden können? Wenn ja, wahrscheinlich nur unter Bedingungen, die eine Rückzahlung möglich erscheinen lassen. Der wirtschaftliche Unsinn muß abgebaut und dem Land seine gesunden Grundlagen zurückgegeben werden. Nicht nur etwas mehr Freiheit in der Wirtschaft, sondern auch die elementarsten Freiheiten für den Menschen sind vonnöten.

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