6533063-1946_02_09.jpg
Digital In Arbeit

Die BedeutungWiens in dem Krftespiel um den Balkan

Werbung
Werbung
Werbung

Trotzdem wurde es von Jahr zu Jahr offensichtlicher, daß die Engländer und Franzosen im südosteuropäischen Raum handelspolitisch überspielt wurden. Das handelspolitische Übergewicht Deutschlands im Südosten war so groß geworden, daß zum Beispiel vom gesamten bulgarischen Außenhandel schon Ende 1937 über 50 Prozent auf den Güterverkehr mit dem Reich entfielen.

Mit Krediten allein — das zeigte sich noch weit mehr in der Folgezeit — konnte von Seiten der Westmächte ein wirksames Gegengewicht gegenüber der Expansion Berlins im Südosten nicht mehr erreicht werden. Die „Times“ machte daher den Vorschlag, „Alternativmärkte“ für die Südoststaaten zu schaffen; aber als das Blatt diesen Vorschlag der Öffentlichkeit unterbreitete, war die Angliederung Österreichs an Hitler-Deutschland eben vollzogen worden. Damit aber erfuhr — vom Politischen ganz abgesehen — die wirtschaftliche Stellung des Reiches im Südostraum eine Stärkung, die alle Berechnungen der anderen Märkte über den Haufen warf.

Das Reich war jetzt unmittelbarer Nachbar von Ungarn und Jugoslawien geworden und hatte jetzt Wien als alte W i r t s c h a f t s m e t r o p o 1 e des

Donauraumes in seinem Besitz; durch die DDSG. erlangte es ein absolutes Übergewicht in der Donauschiffahrt. Zudem wurde sein Anteil am Südosthandel um die Quote des österreichischen Südostgeschäftes vergrößert und es gewann vor allem durch den bisherigen österreichischen Besitz in einigen Südoststaaten einen recht beachtlichen kapitalsmäßigen Einfluß, der ihm

vorher fast zur Gänze gefehlt hatte. Denn wenn auch Wien seit 1918 von seinem Rang als Handelszentrum des Südostens manches eingebüßt hatte, so war doch geblieben seine Stellung als Verkehrsknotenpunkt ersten Ranges und geblieben war eine noch immer sehr beachtliche Stellung als Finanzplatz, der als wichtige Schleuse bei der Vermittlung von westeuropäischen Geltern fungierte.

Wie sehr dem Reich nun gerade auf finanziellem Gebiete die Einverleibung Österreichs Nutzen brachte, das zeigt die folgende Aufstellung:

Deutsche Quote am Auslandkapital im Südosten

1937 in % 1938

Ungarn 10 17

Jugoslawien 6 15

Bulgarien 5 13

Griechenland 4 9

Rumänien 7 11

Bei der Beurteilung dieser Zahlen muß man nun allerdings berücksichtigen, daß das Jähr 1938 audi die Einverleibung des Sudetengebietes brachte, das nicht bloß ein reger Güterverkehr, sondern auch finanzielle Interessen mit dem Balkan verbanden. Doch die österreichischen Kapitalanlagen im Südosten gingen über die des Sudetengebietes weit hinaus. Wie sehr an einzelnen Plätzen Österreich dem Deutschen Reich hinsichtlich Beteiligungen überlegen war, das erhellt aus einer jugoslawischen Statistik. Danach erreichten die von Wien aus dirigierten Kapitalanlagen in Jugoslawien Ende 1937 den Betrag von 366,2 Millionen Dinar gegen nur 5 4,6 Millionen Dinar, die auf Deutschland entfielen. In den übrigen Südoststaaten war der Unterschied nicht so kraß; doch kam auch dort — vor allem in Ungarn — dem österreichischen Kapital eine im Verhältnis zur Größe des Landes sehr beachtliche Stellung zu.

Berlin war es auf die geschilderte Art in dem kurzen Zeitraum von wenig mehr als einem halben Jahrzehnt gelungen, im Außenhandel des Südostens eine absolut beherrschende Stellung zu erobern und dadurch diesen wichtigen Wirtschaftsraum sich bis zu einem gewissen Grad auch politisch botmäßig zu machen. Bereits 1937 erreichte der Anteil Südosteuropas (unter Einschluß der Türkei) an der deutschen Einfuhr 17 Prozent gegen nur 9 Prozent im Jahre 1933. Vom deutschen Export nahm der Südosten 16 gegen früher 10 Prozent auf. Diese Ziffern erfuhren bis zum Herbst 1939 noch eine wesentliche Steigerung.

Als im Herbst 1939 die große militärische Auseinandersetzung ihren Anfang nahm, wurde es Ziel der Berliner Handelspolitik, den bisher schon stark forcierten Güteraustausch mit dem Südosten noch weiter auszubauen, und zwar, vor allem noch mehr Getreide und ölhaltige Produkte, wie Sonnenblumenkerne und Sojabohnen, hereinzubekommen. Zunächst schien für Berlin alles gut zu gehen. Fast in allen Südoststaaten wurde mit Nachdruck an der Beschaffung der kriegswirtschaftlich für das Dritte Reich wichtigen Erzeugnisse gearbeitet, so daß zum Beispiel in Bulgarien und in Ungarn im Jahre 1941 20.000, beziehungsweise 92.C00 Hektar mit Zuckerrüben bebaut waren, gegen nur 9160 und 42.380 Hektar im Jahresdurchschnitt 1935/1939. Noch stärkere Zunahmen waren bei den ölhaltigen Früchten festzustellen. In Rumänien waren schon 1941 400.000 Hektar mit Raps, Sonnenblumen, Sojabohnen und Rizinus bestellt gegen bloß 100.000 Hektar im Jahre 1940; Bald trachteten die Bauern fast im ganzen Südosten das rumänische Beispiel nachzuahmen und vernachlässigten dabei eine Zeitlang den Anbau von Brotgetreide. In der Slowakei mußte die Regierung einschreiten, um das drohende Absinken der Getreideanbaufläche unter die Grenze von 50 Prozent der Kulturfläche zu verhindern. Aber nicht nur der Umfang des Getreideanbaues, sondern auch die Ergiebigkeit der Getreidefelder zeigte während des Krieges eine deutliche Tendenz zur Abnahme, so daß, als 1942 auch eine schlechte Ernte in Südosten verzeichnet werden mußte, in Ungarn und Bulgarien eine sehr empfindliche Brotrationierung vorgenommen werden mußte und Bulgarien sogar in Berlin um die leihweise Überlassung von Getreide, ansuchte.

Erst im Herbst 1943 konnten die Rationen wieder erhöht; in Rumänien der Verbrauch freigegeben werden. In Bukarest wurde eine zentrale Bewirtschaftung der Getreideausfuhr eingerichtet und dem Einkauf der reichsdeutschen und Volksdeutschen Händler ein so merkbarer Hemmschuh angelegt, daß man in Berlin offen von einer passiven Resistenz Rumäniens sprach.

In der Tat erstickte damals Rumänien fast in Weizen.

Auch auf einem anderen, ebenso wichtigen Gebiete befriedigte die Leistung Rumäniens die Berliner Stellen nicht: Schon im Herbst 1939 hielt die rumänische Erdölerzeugung nur mehr bei rund fünfeinhalb Millionen Tonnen; sie war binnen weniger Jahre um rund zwei Millionen Tonnen zurückgegangen. Seit 1942 wurden von Berlin aus alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die Maximalziffern von ehedem wieder zu erreichen. Aber alles war umsonst. Die rumänischen Vorkommen gehen eben einer ziemlich raschen Erschöpfung entgegen.

In Jugoslawien ging für Berlin auch nicht alles nach Wunsch der eigenen Kriegshandelspolitik. Zwar habe man hier nach dem Einmarsch, auf die Kupfergruben von Bor und die Zink- und Bleivork.ommen von Treptscha die Hand legen können, Unternehmungen, die sich in französischem, beziehungsweise englischem Besitz befunden hatten. Jedoch in allen anderen Sektoren der Wirtschaft erwies sich der Angriff auf SHS. als en schwerer F e rtl e r, denn weder Serbien noch das neugeschaffene Kroatien waren nun als Kriegsgebiete auch nur annähernd imstande, im Verkehr mit dem Dritten Reich das Niveau des früheren Exportes aufrechtzuerhalten.

Die Kehrseite der Clearingverträge

Der Ansporn, der in den ersten Jahren der Clearingverträge vor den hohen Preisen ausging, die Deutschland bezahlte, verflüchtigte sich in allen Südoststaaten im Laufe des Krieges mehr und mehr. Dafür trat immer stärker die Kehrseite dieser Verträge in Erscheinung: Die Preise gingen in den Balkanstaaten bei einigen Spe?.inl-prodükten, dann ganz allgemein in die Höhe. Nach offiziellen Angaben stieg der Großhandelsindex in det Zeit von 1939 bis Oktober 1943 in Ungarn von 100 auf 180,1, in der Slowakei von 100 auf 171,7 und in Bulgarien von 100 auf 251,9, in Rumänien erhöhte sich der Index der Kleinhandelspreise von 100 auf 465. Auf den schwarzen Märkten wurden weit höhere Preise bezahlt, die in Bukarest bereits Ende 1943 Preisaufschläge von 500 bis 600 Prozent erreichten. In dem Preiswirrwarr in Griechenland, wo die Lebensmittclknappheit schon längst einen effektiven Zustand der Hungersnot Platz gemacht hatte, zeigten sich die Wirkungen eitler uferlosen Inflation am allerschärfsten.

Nun trat eine neue Bruchlinie in diesem System einer kriegspolitisch zugeschnittenen Handelsführung zutage: Mit der Fortdauer des Krieges und der wachsenden Beschlagnahme der deutschen Industrien für den eigenen Rüstungsbedarf sank d i e deutsche Lieferkraft gegenüber den Südoststaaten. Es wäre nun unter normalen Verhältnissen eine wesentliche Einschränkung des Südostexportes nach dem Reiche eingetreten. ; Das durfte jedoch inmitten des Krieges nicht zugelassen werden, denn das Dritte Reich brauchte diese Lieferungen und es hatte die Macht auf seiner Seite und verlangte: liefern, liefern! So mußten schließlich die Notenbanken des Südostens zur Finanzierung der immer größer werdenden Clearingsaldi herangezogen werden, weil das Dritte Reich Riesensummen schuldig blieb. Damit war ein rasches Anwachsen des Notenumlaufes und ein weiteres Steigen der Preise verbunden. Die Südoststaaten auf solche Art, sehr gegen ihren Willen, zu Gläubigern des Reiches geworden, bemühten sich, ihre Guthaben zum Rückkauf heimischer und dabei in deutschem Besitz befindlicher Wertpapiere zu verwenden. So konnte Ungarn den ganzen deutschen Besitz an ungarischen festverzinslichen Wertpapieren und auch einen guten Teil der Aktien repartriieren. Es sind zum Beispiel Dividendenpapiere im Gesamtwert von etwa 30 Millionen Pengö — vornehmlich aus Wiener Besitz — nach Budapest abgeflossen. Im Falle Rumänien gelangten vornehmlich Staatspapiere zur Rückzahlung, aber auch wichtige Industriebetriebe, wie die Malaxa-Werke, wurden in rumänischen Besitz zurückgeführt. Trotzdem verfügte die Rumänische Nationalbank Ende Oktober 1943 gegenüber Deutschland noch immer über Clearingforderungen in Höhe von rund 30 Milliarden Lei (6,5 Milliarden Lei = 100 Millionen Reichsmark). Durch zusätzliche Käufe von Ma-t schinen, Saatgut und Zuchttieren versucht! man in Bukarest diese Forderungen abztH werten. Es gelang nur zum geringen Teil

Unter solchen Umständen war es eins) ganz natürliche Reaktion, daß während des Jahres 1944 zuerst in Rumänien und späten im ganzen Südosten die Lieferungen nach Deutschland absichtlich gedrosselt wurden* Bis zum offenen Widerstand gedieh dieser Lieferungsunwille zuerst in Rumänien, wo man gegen Ende 1944 trotz einer guten Ernte mit den Getreidetransporten nach Deutschland stark zurückhielt und die Erdöllieferungen wesentlich abbremste. Bulgarien stellte immer neue Preisforderungen, bloß um seinen Export einschränken zu können. Ungarn und die Slowakei wurden von Berlin wohl unter stärksten Druck gestellt; aber auch hier begannen Lieferkraf)! und Lieferwille zu versagen. Kroatien karfl als Lieferant schon seit langem nicht mehr; in Betracht und in Serbien funktionierten eigentlich nur noch die Andienungen von Bor und Treptscha.

So lief dem beginnenden militärischen Zusammenbruch der handelspolitische parallel. Es war ein großes Planen gewesen, diese Handelspolitik, seit langer Hand auf das kommende Kriegsunter-nehmen eingestellt. Aber auch hier kam das Versagen. Auch hier empfing der Angreifer eine tödliche Wunde, die über kurz oder lang zum Ausbluten führen mußte. Auf der ganzen Linie verunglückt, so steht es — überschaut man das dämonische Unternehmen Hitlers und seiner Mitschuldigen — in dem Verdikt der Geschichte geschrieben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung