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Ostgeschäfte: Der Zwang zur Wahrheit

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Der Putschversuch in der zerfallenden UdSSR ist politisch überstanden. Die wirtschaftlichen Konsequenzen sind aber weitreichender, als man auf den ersten Blick vermuten würde. Denn nicht nur die österreichische Bundesregierung wurde von den Ereignissen auf dem falschen Fuß erwischt - auch die zum wiederholten Male zutage getretene Labilität der Finanzmärkte und der Weltkonjunktur muß bedenklich stimmen.

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Der Putschversuch in der zerfallenden UdSSR ist politisch überstanden. Die wirtschaftlichen Konsequenzen sind aber weitreichender, als man auf den ersten Blick vermuten würde. Denn nicht nur die österreichische Bundesregierung wurde von den Ereignissen auf dem falschen Fuß erwischt - auch die zum wiederholten Male zutage getretene Labilität der Finanzmärkte und der Weltkonjunktur muß bedenklich stimmen.

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Zahlreiche, von der plötzlich veränderten weltpolitischen Situation völlig überraschte und verunsicherte Anleger warfen ihre Wertpapiere auf den Markt und suchten Zuflucht in den Krisenanlagen Dollar und Gold. Sowohl an den Aktien- wie an den Anleihenmärkten war massiver Abgabedruck festzustellen. Bei Aktien gab es Kurseinbrüche zwischen fünf und zehn Prozent an einem Tag. Zu den großen Verlierern zählten vor allem die Börsen in Spanien (- 10,7 Prozent) und Deutschland (- 9,4 Prozent).

Von der Flucht des internationalen Kapitals profitierte insbesondere der US-Dollar, der gegenüber der geschwächten DM um fast sechs Pfennig anzog, nach Interventionen der Notenbanken dann allerdings wieder zurückfiel. Relativ mäßig war die Reaktion an den Edelmetallmärkten.

Zu einem vorübergehenden starken Preisanstieg kam es allerdings bei Rohöl, das im Verlauf des 19. August um 2,70 Dollar auf 22,20 Dollar anzog. Die Möglichkeit der Aussetzung von Exportkrediten durch die amerikanische Regierung führte hingegen an den Getreidemärkten zu massiven Preisrückgängen bei Weizen, Mais und Soja.

Nur wurde zwar die Meinung vertreten, daß die Turbulenzen und Kursverluste an den Börsen die weltwirtschaftliche Entwicklung nicht unmittelbar und notwendigerweise in Mitleidenschaft ziehen müßten. Die Börsen führten ein gewisses Eigenleben und hätten sich von den realen Ent wicklungen abgekoppelt. Das haben vergangene Crashes auch bestätigt.

Dieses Argument ist zweifellos richtig. Tatsächlich gehen nur etwa 1,3 Prozent aller westlichen Exporte in die Sowjetunion - ein Quantum, dessen Ausfall sicherlich zu verkraften gewesen wäre. Aber die Schwierigkeiten lagen wie so oft im psychologischen Bereich: Der Schock über den unerwarteten Umsturz hätte der Weltkonjunktur, die sich derzeit ohnehin in einer diffusen Phase befindet, „den Rest" geben können.

Vor allem die Bundesrepublik sah sich diesbezüglich in einer extrem exponierten Stellung. Es wäre ein wahres Unglück gewesen, wenn die Gelder, die endlich und ohnehin zögernd in produktive Investitionen im Osten zu fließen begannen, wieder in die Rüstung hätten gepumpt werden müssen. Ein Konjunktureinbruch hätte aber auch vor allem die deutsche Exportwirtschaft getroffen.

Nach Ansicht der Finanzmärkte hatten erhöhte Risiken in Deutschland, ein möglicher Kapitalabfluß und Flucht aus der DM das ohnehin bereits hohe Zinsniveau im vergrößerten Nachbarland weiter gesteigert -ein zusätzlicher Tiefschlag für die Konjunktur. Was das alles für Österreich, das mit jenem Land wirtschaftlich bekanntlich eng verflochten ist, bedeutet hätte, kann man sich nur allzu leicht ausmalen.

Gedrosselte Ölexporte

Zum Glück ist es anders gekommen. Aber man kann nicht so ohne weiteres zur Tagesordnung übergehen. Denn die Bewältigung derpoliti-schen Krise hat die wirtschaftliche Krise keineswegs gelöst, sondern sie im Gegenteil verschärft. Im ersten Halbjahr schon lag das sowjetische Bruttosozialprodukt um zehn Prozent niedriger als im gleichen Zeitraum des Vorjahres; im gesamten Jahr 1991 könnte es um 20 Prozent und mehr fallen. Desgleichen verfällt die Arbeitsproduktivität, während die Inflation derzeit bei etwa 80 Prozent liegt und gegen Jahresende 100 Prozent erreichen wird. Ein Viertel der Bevölkerung lebt unter dem Existenzminimum. Die Ölausfuhr, die bisher noch einigermaßen Devisen einbrachte, fällt zurück, weil nicht mehr genug gefördert wird. Die öffentlichen Kassen sind leer, während eine Reihe von Verpflichtungen aus internationaler Verschuldung ziemlich kurzfristig fällig werden.

Die jetzt zu beobachtenden intensivierten Absprungtendenzen der Teilrepubliken werden die Versorgung der Bevölkerung im Winter natürlich auch nicht verbessern; ein Zerreißen der bestehenden wirtschaftlichen Verflechtungen würde nur noch mehr Chaos erzeugen und den ohnehin bescheidenen Lebensstandard weiter senken (FURCHE 35/1991).

Detaillierte Daten über die regionale Wirtschaftsstruktur in der Sowjetunion gibt es derzeit noch nicht. Nach einer kürzlich veröffentlichten pionierhaften Studie der Deutschen Bank sind aber nur sechs der 15 Republiken als wirtschaftlich einigermaßen stark und überlebensfähig einzustufen. Es sind das die Ukraine, die drei baltischen Staaten, die russische Republik und Georgien. Als nur mäßig stark werden Weißrußland, Kasachstan, Moldawien, Armenien und Aserbeid-schan bezeichnet. Schwach sind Usbekistan, Turkmenistan, Kirgisien und Tadschikistan.

Sinnvoll erscheint daher nur eine weitere wirtschaftliche Kooperation der Republiken. Als Möglichkeit diskutiert wird eine Konstruktion ähnlich der EG. Das erscheint sinnvoll, zumal die vielen Harmonisierungsprobleme, die die Vollendung des Binnenmarktes in Westeuropa so schwierig machen, im östlichen FaH weitgehend gelöst sind.

Während der Putschtage waren auch Befürchtungen aufgetaucht, daß bezüglich der Schulden der Sowjetunion ein Rückzahlungsstop verhängt werden könnte. Selbst nach Beendigung des Spuks ist nun aber klar, daß die SU-Kredite offenbar mit noch mehr Risiko behaftet sind als ohnehin schon angenommen. Die Bewertung dieser Kredite auf den Sekundärmärkten wird von zuvor 60 bis 70 Prozent weiter absinken. Extrem betroffen auch in dieser Hinsicht ist die Bundesrepublik mit Bankkrediten an die Sowjetunion in Höhe von fast 22 Milliarden Dollar.

21 Milliarden unbesichert

Aber auch Österreich hängt hier mit Forderungen von 47 Milliarden Schilling tief drinnen; 26 Milliarden davon sind zwar staatlich garantiert (das heißt, im Notfall werden Verluste den Banken aus Steuermitteln abgegolten), 21 Milliarden sind aber unbesichert. Für diese Kredite werden nun höhere Wertberichtigungen in die Bilanzen eingestellt werden müssen, was die ohnehin nicht gerade rosige Ertragslage der österreichischen Banken beeinträchtigen wird.

Unangenehm für Österreich wäre auch eine verminderte Lieferfähigkeit oder gar ein Ausfall der Sowjetunion (oder ihrer Nachfolgekonstruktion) als Energielieferant. Zwar wurde in den letzten Jahren die Abhängigkeit von den sowjetischen Öl- und Gasimporten deutlich reduziert und Ersatzlieferungen wären sicherlich ohne größere Probleme beschaffbar-allerdings zu deutlich höheren Preisen, weil mit der Sowjetunion bekanntlich langfristige Verträge zu günstigen Preisen ausgehandelt sind.

Resümierend kann man sagen, daß der Putschversuch in der Sowjetunion die Unsicherheit auch über die weitere wirtschaftliche Entwicklung dieses Landes, seiner Teile, aber auch der Weltwirtschaft insgesamt erhöht hat.

In manchen Bereichen ist allerdings auch der Zwang zur Wahrheit - wie die Bewertung der Ostkredite - gestiegen.

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