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Die Preisbremse

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Wer noch Zweifel hatte, weiß es nun: Das gegenwärtige Währungssystem ist kein Devisenstandard für einen Welthandel in der Größenordnung von 300 Milliarden Dollar jährlich (7 bis 8 Billionen Schilling Gegenwert). Der sogenannte „Gold- Devisenstandard”, an dessen Spielregeln sich weder die Amerikaner noch die Kanadier noch die Belgier noch gegenwärtig die Deutschen und Holländer halten, ist kein System für das Zeitalter der großen multinationalen Gesellschaften mit Produktionsstätten in vielen Ländern und dementsprechenden Verrechnungsmöglichkeiten. Das System ist weder in der Lage, langfristige Ungleichgewichte zu korrigieren noch kurzfristige Währungskrisen zu verhindern. Bei all seinen historischen Verdiensten, die ganz unbestritten sind, wäre es an der Zeit, nicht nur über die Reform des internationalen Währungswesens zu reden, sondern zu handeln. Wer die Entwicklungen zu interpretieren versteht, muß am Horizont Tendenzen erkennen, die auf gewaltige Verbote, Reglementierungen und Außerkraftsetzung jener Maßnahmen der Liberalisierung hinauslaufen, über deren Zustandekommen wir alle so froh waren, weil sie den Internationalen Austausch von Gütern und Leistungen so leicht gemacht haben.

In der jüngsten Krise, die in völliger Übereinstimmung der amerikanischen, britischen und kontinentalen Fachpresse als Dollarkrise gewertet wird, hat jedes Land versucht, seinen eigenen Weg zu finden. Die Schweiz und Österreich haben den Weg einer Aufwertung gewagt, die nach den Intentionen der Verantwortlichen mit einer Devisenkurspraxis verbunden sein soll, welche sich zum Unterschied von früheren Jahren in der Nähe des obersten Interventionspunktes orientiert; das heißt, daß der Schilling gegenüber dem Dollar etwas unterhalb der in US-Cents ausgedrückten Dollarparität von 4.04 Cent pro Schilling notieren wird beziehungsweise der Dollar höher als die Schillingparität, also höher als 24.75 Schilling. Der Schilling wird also technisch gesehen „schwach sein”, ein Umstand, der im Laufe der Zeit sicher zu Mißverständnissen Anlaß geben wird.

In der Wirklichkeit — so wie sie sich unmittelbar nach der Schillingaufwertung präsentiert — wird die Aufwertung weder 5,05 Prozent betragen noch der Schilling im eigentlichen Sinn des Wortes „sehwach” sein, sondern die Aufwertungskomponente wird etwa zwischen 3 und 4 Prozent gegenüber den langjährigen Durchschnittskursen liegen.

Die Deutschen sind den anderen Weg gegangen, den Weg der Freigabe der Devisenkurse. Nachdem sich die Dollamotierung in Frankfurt lange Zeit um den untersten Interventionspunkt von 3.63 D-Mark pro Dollar bewegte, erreichte der Handel am Eröffnungstag Werte zwischen 3.49 und 3.57 D-Mark pro Dollar. Die Dollarschlußkurse lagen, so wie beim Schilling, 3% Prozent unter jenen regulären Kursen des offiziellen Handels vor der Krise. Für die Schweiz gilt das gleiche.

Wenn zwei das gleiche tun, ist es trotzdem nicht dasselbe, und solange das deutsche Exoeriment der flottierenden Kurse anhält — das kanadische dauert schon rund ein Jahr —, bleibt ein Unsicherheitsmoment bestehen. Anderseits ist es mehr als verständlich, daß die Bundesrepublik, die bekanntlich Ende

1969 um 9,3 Prozent aufgewertet hat, nicht schon wieder und endgültig ihre Exporte verteuern und Importe zu verbilligen wünscht. Dennoch steht zu erwarten, daß der Druck auf die Bundesrepublik, zu einem definitiven, wenn auch kleinen Aufwertungssatz zu gelangen, mit der Zeit zunehmen wird.

Die österreichische Entscheidung war richtig. Politologen mögen untersuchen, wie plötzlich politisch möglich wurde, was vor nicht zu langer Zeit noch als politisch unmöglich erschien. Berufspolitiker mögen kritisieren, sofern sie dazu in der Lage sind. Vermutlich ist in den letzten 16 Monaten einfach die Zeit reif geworden für eine Entscheidung zugunsten des österreichischen Schillings, eine Entscheidung, die einen viel größeren Stabilitätseffekt gehabt hätte, wäre sie — nicht im Sinne einer „Nachvollziehung”, sondern im Sinne eines eigenständigen Kursvorgehens — bereits früher gefallen.

Die Entscheidung für die Aufwertung des Schillings oder ein ähnliches De-facto-Vorgehen mit einer Aufwertungskomponente von 3 bis 4 Prozent wurde schon vor eineinhalb Jahren von den Ökonomen und einem Teil der damaligen Regierungspartei vertreten. Pie heutige Regierungspartei stand damals zu diesen Dingen in Opposition. Nur ein heutiger Minister war schon damals dafür, trat aber damit nicht an die Öffentlichkeit.” In dieser Situation stände es den Paulussen, die noch vor kurzer Zeit Saulusse waren, schlecht an, wenn sie sich allzu sehr mit einer Korrektur brüsteten, deren Optik größer ist als ihr Effekt und deren Zustandekommen nicht zuletzt sie selbst noch vor kurzem verhindert haben.

Es zeigt sich jedoch, daß eine ökonomisch richtige Entscheidung, wenn sie von einem entsprechenden politischen Willen getragen und — so wird man hinzufügen müssen — von einer analogen Schweizer Vorgangsweise begleitet wird, nicht ernsthaft anzufechten ist.

Man möchte aber davor warnen, den Stabilisierungseffekt der Schillingaufwertung zu überschätzen. Der Stabilisierungseffekt ist gegeben, ist in der gegenwärtigen Situation notwendig und soll an sich nicht in Frage gestellt werden. Nur sind gewisse Behauptungen, was um wieviel billiger werden wird und wohin man um 5 Prozent billiger in den Urlaub fahren kann, geeignet, Widerspruch hervorzurufen. Die Stabilisierung ist so zu verstehen: Sie agiert primär als Bremse gegen einen weiteren Preisauftrieb und nur in ganz seltenen Einzelfällen (für deren entsprechende Publizität man keine Sorge zu haben braucht) wird sie echt preissenkend wirken. Wenn z. B. von der jüngsten, die ganze Wirtschaft betreffenden Ölimportverteuerung ein Bruchteil abgezwackt wird, soll es uns allen recht sein; nur ist das Öl trotzdem teurer geworden und nicht billiger. Selbst wenn man aber den begrenzten Stabilisierungseffekt in Betracht zieht, so wird die Schillingaufwertung Österreich besser helfen als das gesamte Verhalten der Europäer dem internationalen Währungssystem weiterhelfen wird. Die „New York Times” sprachen in ihrem Leitartikel, „The Dollar Crisiis”, jedenfalls davon, daß sich die jüngste Währungskrise als die ernsteste Währungskrise der Nachkriegszeit erweisen kann; ernst im Sinne von systembedrohend.

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