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Deutschland, Schweiz …und Österreich

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Die Stirn des Sonnenkönigs umwölkt sich zusehends. Bei seiner letzten Pressekonferenz gab er sich betont pessimistisch und zeigte sich — wie immer, wenn es um prekäre, wenig publikumswirksame Probleme geht, bereit, Verantwortung zu delegieren. Abseits der konzentrischen Diskussion über den Neuwahltermin gibt es nämlich langfristigere wirtschaftliche Probleme, die wahrscheinlich für den Wahlausgang die wirklich entscheidenden sind.

Natürlich sei in Österreich nichts falsch gemacht worden — das wäre ja noch schöner, so etwas auch nur zu vermuten — aber selbst mit dem perfektesten Instrumentarium werde, so konstatierte der Bundeskanzler, eine negative Entwicklung nicht zu stoppen sein.

Was nun geschehen solle, wurde Bruno Kreisky gefragt. Die Antwort: Darüber solle sich die „gesamte ökonomische Intelligenz Österreichs” den Kopf zerbrechen. (Der Bundeskanzler möchte sie offenbar wie bei der Papstwahl so lange zusammensetzen, bis sie zu einem Resultat kommt.) „Dann werde man endlich klar sehen.”

Sieht demnach die Regierung bisher unklar? Wurden trotz dieser Unklarheit so schwerwiegende Entscheidungen getroffen, wie beispielsweise die Aufstellung des Budgets für das laufende Jahr? Warum hat man die „ökonomische Intelligenz” nicht schon längst vergattert? Die Probleme sind ja nicht erst heute entstanden.

Unter solchen Bedingungen ist zu fürchten, daß die Experten wenig Dust verspüren werden, sich zu exponieren. Noch dazu, wenn ihnen ziemlich klar vorgeschrieben wird, in welcher Richtung sie denken dürfen: an eine Ausgabenbremse sei nicht zu denken, nahm Bruno Kreisky die möglichen Resultate der Beratungen seines noch zu formierenden Expertenkonzils vorweg.

Einer Ausgabenbremse — so kommentierte der Kanzler sein Statement — müßte ja sowieso wieder ein „Durchstarten” nachfolgen, wie dies heute in der Bundesrepublik Deutschland der Fall ist.

Immerhin hat der deutsche Kanzler Schmidt mit seiner couragierten Stabilisierungspolitik — die er gegen den vehementesten Widerstand in der eigenen Partei durchgesetzt hat — die Inflationsrate auf zuletzt 5,9 Prozent gedrückt. Es ist aber etwas ganz anderes, von einer solchen Basis aus wieder Konjunkturgas zu geben, als stur auf dem Gaspedal kleben zu bleiben, ohne Rücksicht auf die inflationären Verkehrsfallen. Damit lädt man sich — wie das Beispiel unentwegter expansionistischer Staaten etwa vom Schlage Großbritanniens und Italiens zeigt — genau jene Schwierigkeiten erst recht auf den Hals, denen man mit dem Druck auf das Gaspedal entkommen zu können glaubt. Außerdem kurbelt Schmidt die Wirtschaft an und forciert nicht — was man sich in Österreich leisten zu können glaubt, den Konsum und die staatlichen Luxusausgaben.

Die Angst Kreiskys, eine Sparpolitik könnte zu einer Vertrauenskrise für die Regierungspartei führen, widerlegt das Schweizer Beispiel: Dort wurde am 8. Dezember 1974 ein Referendum darüber abgehalten, ob das Budget 1975 Steuerhöhungen oder Einsparungen bringen soll. Mit mehr als 56 Prozent der Stimmen entschieden sich die Wähler unmißverständlich für die Einsparungen.

Daß die österreichische Bevölkerung in diesem Punkt auch nicht anders denkt, beweist die bereits vor mehr als einem Jahr durchgeführte Meinungsumfrage der Regierung über den Gesundheitsschilling, von der sich diese ein freudiges Ja der Bevölkerung erwartete. Ganz im Gegenteil fand sich aber eine massive Majorität für Einsparungen im Budget — worauf die Regierung dieses Resultat offenbar unauffällig unter den Tisch fallen ließ und den Gesundheitsschilling trotzdem einführte. Hieraus läßt sich durchaus der Schluß ziehen, daß die österreichische Bevölkerung mit einer Ausgabenbremse mehrheitlich einverstanden wäre, wenn — ja wenn die Politiker selbst wollten und auch am richtigen Platz bremsen würden.

Steuererhöhungen werden aber nach den Defizitexplosionen in den Budgets 1973 und 1974 und angesichts der noch viel umfangreicheren, die für dieses Jahr zu erwarten ist, nicht vermieden werden können. Die Regierung Kreisky II wird zwar versuchen, sich vor solchen unpopulären Beschlüssen bis über die Wahlen hinüberzuretten und das Problem der nächsten Regierung — ob es ein Kabinett Kreisky III ist oder nicht — zu überlassen. Ob ihr das gelingen wird, ist zweifelhaft. Erhöht sie aber die Steuern, würde sie in jenen „Klaus-Stil”, über den sie sich immer mokiert hat, verfallen und der Steuersenkung sofort eine Steuererhöhung folgen lassen (siehe auch Seite 5).

Aber es geht nicht nur um die Frage der drohenden Steuererhöhung, sondern auch um die Inflationsimpulse, die aus der österreichischen Ausgabenpolitik resultieren. Zum Jahreswechsel gab es noch viel offizielles Schulterklopfen dafür, daß Österreich zusammen mit Deutschland und der Schweiz die Gruppe jener westlichen Industriestaaten bildete, die eine weniger als zehnprozentige Inflationsrate 1975 aufzuweisen hatte.

Dies gilt wohl retrospektiv für das Gesamt jahr 1975, gegen Jahresende sah es aber schon anders aus: Deutschland konnte seine Rate auf 5,9 Prozent und die Schweiz die ihre auf 7,6 Prozent gegenüber dem gleichen Vorjahresmonat senken, während Österreich noch immer an der 10-Prozent-Marke liegt. Unsere beiden Nachbarn und bisherigen Stabilitätsgenossen distanzieren sich von uns schon sehr deutlich — nicht zuletzt deshalb, weil sich die österreichische Wirtschaftspolitik in den letzten Jahren allzusehr darauf beschränkte, in früheren Jahren angesammeltes Stabilitätskapital zu konsumieren, statt selbst neues zu schaffen. Das aber muß letzten Endas negative Auswirkungen auf Konjunktur und Export Österreichs haben, also gerade auf das, was mit Hilfe der Ausgabenpolitik angekurbelt werden soll.

„Wenn wir die Ausgabenflut in wirtschaftlich guten Zeiten nicht eindämmen können, ist eine Sanierung des Haushalts überhaupt nicht möglich.” Mit dieser Parole waren die Schweizer Steuergegner zum Referendum geschritten. Österreich hat die besten Jahre zur Sanierung verstreichen lassen. Es sollte dies nicht auch mit den zweitbesten tun.

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