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Hartere Drogen

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Je höher die Preisfiut steigt, desto großer wird die Versuchung, die Flucht in den Preisdirigismus anzutreten. Gar nicht deshalb, weil davon Erfolge zu erwarten wären, sondern weil ein, erstaunlich großer Teil der Bevölkerung in verständlichem Ärger über die hohen Inflationsraten — in Österreich dürfte die 10-Pro-zent-Grenze im April überschritten werden — für ein bürokratisches Verbot weiterer Preiserhöhungen eintritt.

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Je höher die Preisfiut steigt, desto großer wird die Versuchung, die Flucht in den Preisdirigismus anzutreten. Gar nicht deshalb, weil davon Erfolge zu erwarten wären, sondern weil ein, erstaunlich großer Teil der Bevölkerung in verständlichem Ärger über die hohen Inflationsraten — in Österreich dürfte die 10-Pro-zent-Grenze im April überschritten werden — für ein bürokratisches Verbot weiterer Preiserhöhungen eintritt.

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Nach der ohnehin für die marktwirtschaftliche Ordnung in Österreich schon schwer zu bewältigenden Droge der Änderung des Preisbestimmungsgesetzes (im Juli 1972), drängt nun die Regierung Kreisky zum Heroin: der Novellierung des Preisregelungsgesetzes, um dann generell oder branchenweise einen Preisstopp verfügen zu können. ÖGB-Präsident Benya hat bald nach Kreiskys Ankündigung gemeint, daß davon nicht viel zu halten sei. Es ist anzunehmen, daß sich auch Doktor Kreisky dieser Tatsache bewußt ist, denn in allen Staaten, die sich bisher zu diesem Eingriff in die marktwirtschaftliche Ordnung entschlossen haben, waren schwere Enttäuschungen zu registrieren. Zuletzt in Italien, wo trotz eines generellen Preisstopps (im Juli 1973) eine In-flationsra'te von 11 Prozent im abgelaufenen Jahr erzielt wurde, und 1974 mit einer Infiationsrate von etwa 15 Prozent zu rechnen ist. Aber auch in den USA, wo seit Mitte 1971 mit preisdirigistischen Maßnahmen experimentiert wurde, ehe sich Präsident Richard Nixon angesichts einer Inflations-Rekordmarke von 8,8 Prozent dazu entschloß, alle Kontrollmaßnahmen aufzuheben.

Doch die Liste der internationalen Mißerfolge mit Preiskontrollen ist bedeutend länger. Frankreich hat seit Ende des Zweiten Weltkrieges nie ganz darauf verzichtet, die Wirtschaft zu steuern und die Preisentwicklung zu kontrollieren. Belgien, die Niederlande, die skandinavischen Staaten und selbst die liberale Schweiz haben zu Preiskontrollen oder gar zum Preis- und Lohnstopp gegriffen — ohne Erfolg. Der britische Premierminister Heath ist gescheitert, das Schwungrad der Inflation hat sich noch viel rascher weitergedreht als zuvor.

Wer von einem Lohn- und Preisstopp durchschlagende und dauernde Erfolge auf dem Gebiet der Geldwertstabilisierung erhofft, sieht nur das letzte Glied einer langen Kette von Wirkungen und zieht aus einer isolierten Betrachtung dieses letzten Glieds falsche Schlüsse. Dieses weitverbreitete Scheuklappendenken wird auch dann nicht schlüssig, wenn falsche Gedankengänge gebetsmüh-lenartig wiederholt werden. Es ist richtig, daß öffentliche und private Unternehmungen ihre Preise in den letzten Jahren beträchtlich erhöht haben, daß sich der Geldwert in wachsendem Tempo verschlechtert hat und weiterhin verschlechtern wird. Die für die Inflationsbekämpfung entscheidende Frage lautet jedoch, was diese Unternehmen in die Situation versetzte, ihre Preise zu erhöhen. Nach Gewinn strebende Unternehmen können nämlich nur unter gewissen Voraussetzungen straflos ihre Preise erhöhen. Das gilt auch für die (öffentlichen) Monopolisten (Bahn, Post, Strom, Zigaretten usw.). Zur Beantwortung der Frage nach den Spielräumen für die Preissteigerungen müssen auch andere Glieder der Wirkungskette betrachtet werden, wobei die Ursachen der Geldentwertung sichtbar werden: die Ansprüche an das Produktionspotential über die Produktionsmöglichkeiten hinaus, wie etwa extrem steigende Budgetausgaben der öffentlichen Hand.

Ein genereller oder branchenweiser Preisstopp ändert an den Ursachen der Inflation überhaupt nichts. Damit wird nur das Thermometer zerstört, das das Inflationsfieber mißt, sonst nichts. Damit geht — ahnlich wie bei Rauschgiftsüchtigen — jedes Gefühl für die ökonomische Wirklichkeit verloren. In der Folge kommt es zu Inflations-Dammbrüchen, sobald der Preisstopp aufgehoben wird. Wird aber der Preisstopp über eine unbestimmte Zeit hinweg aufrechterhalten, dann kommt es zu Versorgungsschwierigkeiten (welcher Unternehmer sollte zu nicht kostendeckenden Preisen produzieren und liefern?), zu Hortungskäufen, Produktionseinschränkungen, zur Freisetzung von Arbeitskräften, zu unlösbaren Spannungen. Wie hohe Inflationsraten an der Basis der sozialen Marktwirtschaft nagen, so führt der Preisstopp letztlich zur Außerkraftsetzung dieser Ordnung selbst.

Die Bundesregierung und die Regierungspartei müßten das alles berücksichtigen, wenn ihr „Chef“ zur Zeit von der Notwendigkeit des Preisstopps spricht. Es ist dies ein Ausweg ohne sinnvolles ökonomisches Ziel, wenn man Dr. Kreisky weiter unterstellen will, an der marktwirtschaftlichen Ordnung in Österreich festzuhalten. Möglicherweise aber verbindet Dr. Kreisky mit dieser Ankündigung, die sichimParlament nicht ohne Zustimmung der ÖVP realisieren läßt, ein opportunes politisches Ziel, nämlich, der Bevölkerung weismachen zu wollen, daß die ÖVP ihm ein praktikables Instrument zur Bekämpfung 'der Inflation in Österreich verwehren möchte. Es ist zu hoffen, daß die Bevölkerung dieses vordergründige Spiel durchschaut Einmal, schon vor bald zwei Jahren, meinte Kreisky, daß er mit der Änderung des Preisbestimmungsgesetzes genügend Möglichkeiten zur Verfügung habe, die Inflation wirkungsvoll zu bekämpfen. Seine Forderung zu Ende gedacht, würde bedeuten, daß die Inflation von nun bald 10 Prozent sehr wohl „hausgemacht“ ist, insofern es doch plötzlich möglich sein soEte, sie mit einem Preisregelungsgesetz einzudämmen. Ganz abgesehen davon, daß (außer ökonomischen Gründen, die Kreisky nun aber nicht gelten lassen will) niemand in Österreich die Bundesregierung daran hindert, einen Tarif- und Preisstopp für den eigenen Bereich durchzusetzen. Ein logischer Akt in dieser Richtung wäre die Zurücknahme der Bahn-, Strom- und Pasttarife, nebst einer dezadierten Erklärung Doktor Kreiskys, daß natürlich niemals an eine Erhöhung des Zigaret'tenpreises gedacht sei. Das alles wagt freilich niemand zu hoffen, weil die Österreicher längst durchschaut haben, daß die Regierung ihre Stabilisierungspolitik immer bei den anderen beginnen will. Das reduziert die Glaubwürdigkeit und schafft die Basis für so spektakuläre Niederlagen, wie sie die SPÖ zuletzt in Salzburg und Tirol einstecken mußte.

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