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Warum keine Franken-Aufwertung?

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Beinahe 80 Mrd. Fr. wird das schweizerische Bruttosozialprodukt dieses Jahr betragen. In den letzten zehn Jahren hat es sich damit ziemlich genau verdoppelt, ein eindringlicher Beweis des stürmischen Wachstums der Wirtschaft. Die leichte Abkühlung der Konjunktur im Jahre 1967 ist schon längst wieder in Vergessenheit geraten. Die Unternehmen wissen kaum noch, wie sie sich der steigenden Auftragsflut erwehren. Alle Anzeichen deuten darauf hin, daß sich die schweizerische Wirtschaft in einem Boom befindet, der die frühen sechziger Jahre noch in den Schatten stellen wird. Um mindestens zehn Prozent übertraf die industrielle Produktion im zweiten Quartal den Vorjahresstand. Allein im Baugewerbe dürfte die Zunahme 1,8 Mrd. Fr. erreichen. Nach vierjähriger Stagnation stiegen damit die Bauvorhaben mit einem Schlag um über dreizehn Prozent.

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Beinahe 80 Mrd. Fr. wird das schweizerische Bruttosozialprodukt dieses Jahr betragen. In den letzten zehn Jahren hat es sich damit ziemlich genau verdoppelt, ein eindringlicher Beweis des stürmischen Wachstums der Wirtschaft. Die leichte Abkühlung der Konjunktur im Jahre 1967 ist schon längst wieder in Vergessenheit geraten. Die Unternehmen wissen kaum noch, wie sie sich der steigenden Auftragsflut erwehren. Alle Anzeichen deuten darauf hin, daß sich die schweizerische Wirtschaft in einem Boom befindet, der die frühen sechziger Jahre noch in den Schatten stellen wird. Um mindestens zehn Prozent übertraf die industrielle Produktion im zweiten Quartal den Vorjahresstand. Allein im Baugewerbe dürfte die Zunahme 1,8 Mrd. Fr. erreichen. Nach vierjähriger Stagnation stiegen damit die Bauvorhaben mit einem Schlag um über dreizehn Prozent.

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Aber nicht nur die Unternehmen profitieren von der erfreulichen Entwicklung der schweizerischen Wirtschaft. Auch die Kleinhandelsumsätze, in denen sich die Ver- braiuchsfreudigkeit der Haushalte spiegelt, weisen steil nach oben. Die Zuwachsrate schnellte in wenigen Monaten von rund 3 auf 7,1 Prozent. Die Zunahme besitzt weitgehend realen Charakter, sind doch die Preise noch kaum in Bewegung geraten. Gegenwärtig beträgt die Geldentwertung auf Jahresbasis umgerechnet nur 3 Prozent.

Ein äußerst günstiges Urteil konnte denn auch der Delegierte des Bundesrates für Konjunkturfragen, Professor Hugo Allemamn, in seinem neuesten Mitteilungsblatt abgeben: „Nach dem derzeitigen statistischen Bild entwickelt sich unsere Wirtschaft in weitgehender Harmonie mit dem Zielviereck .Vollbeschäftigung, außenwirtschaftliches Gleichgewicht, Preisstabilität und Wirtschaftswachstum1. Ein besseres Gleichgewicht dürfte in einer infla- tionierenden und mit Strukturkrisen durchsetzten Umwelt kaum erreichbar sein.” Wohl der beste Beweis für unser wirtschaftliches Wohlergehen ist das völlige Einschlafen der konjunkturpolitischen Diskussion, da beim „besten” Willen niemand Anlaß zum Klagen findet. Aber das auf den ersten Blick so prächtig erscheinende Idyll trügt. Wer das Lagebild genauer betrachtet, stößt auf wenig erfreuliche Warnzeichen. Wie in der Medizin, ist es für eine erfolgreiche Behandlung oft zu spät, wenn die Symptome auch für den Laien offenkundig geworden sind. Den Emst der Lage charakterisierte ein Zürcher Bankier:

„Wenn heute nichts unternommen wird, so wird der dem Kulminations- punkit folgende Preiseffekt die Folgen des letzten Booms bei weitem übertreffen.” Damals erreichte die in allen Kreisen als untragbar betrachtete Teuerung 4 bis 5 Prozent jährlich…

Vor allen Dingen zwei Warnzeichen mahnen zum Handeln. Wie jedes konjunkturelle Hoch in der Schweiz wurde auch der jüngste Boom durch eine Zunahme der Exporte ausgelöst. Darin manifestiert sich die hohe Auslandsabhängigkeit unserer Wirtschaft. Innerhalb Jahresfrist stieg die Zuwachsrate der schweizerischen Ausfuhr von 3,5 auf beinahe 20 Prozent, während die Importe sich normal weiterentwickelten. Je mehr sich die Wirtschaft den Grenzen ihrer Kapazität nähert, desto mehr holen die Importe auf, um schließlich die Exporte wieder einzuholen. Dies traf erstmals für das zweite Quartal 19Ö9 zu.

Noch wichtiger ist das zweite Warnsignal. Wie die Graphik über den Verlauf der Konjunktur in den letzten zehn Jahren zeigt, folgen sich die wichtigsten Konjunkturindikatoren in zeitlicher Staffelung. Mit der hohen Investitionstätigkeit steigen zunächst die Bankkredite. Mit ein bis zwei Jahren Verspätung folgen die Großhandelspreise, und erst weitere ein bis zwei Jahre später die Kon- sumentenpreise. Mit jährlichen Zuwachsraten von 11 bis 13 Prozent übertrifft die Kreditgewährung heute eindeutig das Wirtschaftswachstum von 7,5 Prozent. Und die Großhandelspreise haben mit 3,7 Prozent Zunahme ihr 1963 ver- zeichnetes Maximum von 3,9 Prozent schon beinahe wieder erreicht. Es ist also nur eine Frage der Zeit, wann die Konsumentenpreise ebenfalls in Bewegung geraten.

Damit wäre jedoch eines der wichtigsten Ziele jeder Konjunkturpolitik verletzt. Wie ein roter Faden zieht sich der Kampf um die Erhaltung der Preisstabilität durch die Wirtschaftspolitik sämtlicher. Länder. Eine absolute Preisstabilität gilt heute als Utopie. Man spricht von einer relativen Preisstabilität und meint damit, daß die Teuerung 2 bis 3 Prozent im Jahr nicht übersteigen sollte. Im Vordergrund steht aber aus verständlichen Gründen die Sicherung der Vollbeschäftigung. Prof. Allemann zu dieser Frage: ,Sodann müssen wir uns ehrlich eingestehen, daß der überwiegende Teil unseres Volkes — ich gehöre auch dazu — im Falle eines Konfliktes zwischen dem Stabilitätsziel und dem Vollbeschäftigungsziel dem letzteren den Vorrang gibt.”

Das heißt natürlich auf keinen Fall, daß die Bekämpfung der Teuerung nicht von erstrangiger Bedeutung ist. Die Inflation erschwert nicht nur das reibungslose Funktionieren der Wirtschaft, indem sie die Steuerfunktion der in Geld ausgedrückten Preise beeinträchtigt. Mindestens so bedenklich sind vielmehr die sozialen Folgen, ist doch mit der Teuerung eine ständige, höchst unerwünschte Umverteilung der Einkommen und Vermögen zu Lasten der wirtschaftlich Schwachen (zum Beispiel der kleinen Sparer, Rentner usw.) verbunden.

Drei große Störungsherde gefährden das Gleichgewicht der Wirtschaft: die Geldversorgung, die Ausgaben der öffentlichen Hand und die Verflechtung mit dem Ausland. Drei Bereiche gehören deshalb zu jeder erfolgreichen Konjunkturpolitik: die Geldpolitik, die Finanzpolitik und die Außeniwirtschaftsipölitik. In der Hochkonjunktur müssen die Geldpolitik und die Außenwirtschaftspolitik die Hauptlast tragen, da die finanzpolitische Forderung, daß der Staat möglichst große Überschüsse erzielen soll, in einer Demokratie kaum zu realisieren ist. Bestenfalls kann man die konjunkturpolitische Neutralität der öffentlichen Hand hersteilen, das heißt, wenigstens Budgetdefizite vermeiden. In diesem Sinne sind denn auch am letzten Freitag die Empfehlungen des Bundesrates an die kantonalen Finanzdirektoren ausgefallen.

In der Regel wird daher die der Notenbank anvertraute Geldpolitik zum wichtigsten Instrument im Kampf gegen die Teuerung. Die geldpolitischen Maßnahmen — Diskont- und Lombardpolitik, Mindestreserven und Kreditbegrenzung — haben zudem den Vorteil, daß sie sehr fein dosiert werden können. Greift man beim Vorliegen , der ersteh Warnsignale rasch ein, so genügen noch mäßige Vorkehrungen, um die erforderliche Korrektur zu vollziehen. Um so erstaunlicher ist es, daß die Schweizerische Nationalbank bis Ende August von ihren Kompetenzen nicht den geringsten Gebrauch gemacht hat. Dafür wird jetzt, wenn auch noch im milder Ausführung, mit der Begrenzung der Kreditzuwachsrate auf 6 bis 11,5 Prozent gleich zum schärfsten Mittel gegriffen. Die Politik des Abwartens wird sich vermutlich noch rächen, weisen doch alle Anzeichen darauf hin, daß der richtige Moment für den Einsatz der Geldipolitik bereits verpaßt worden ist.

Dabei wäre gerade jetzt ln diesem Bereich noch eine erfolgreiche Maßnahme möglich: die Aufwertung des Schweizer Franken. Niemand streitet ab, daß der gegenwärtige Boom durch die explosive Zunahme der Exporte ausgelöst wurde. Und die Beliebtheit der Schweizer Produkte ist nicht nur der hohen Qualität, sondern den in der stärker dnfiationierenden Umwelt relativ immer tieferen Preisen zu verdanken.

Das zur Genüge dargestellte deutsche Beispiel der aus dem Ausland importierten Inflation spielt sich heute vor den eigenen Augen der Schweiz ab. Im Juli waren die Großhandelspreise inländischer Produkte 2,1 Prozent höher als vor einem Jahr, diejenigen der Importwaren aber bereits 7,4 Prozent. Und der Uberschuß der Ertragsbilanz wird voraussichtlich den letztjährigen Rekord von 2,35 Milliarden Franken nochmals übertreffen. Den schweizerischen Verhältnissen angemessen wäre aber ein Uberschuß von einigen hundert Millionen Franken.

Die doch einmal fällige Aufwertung der DiMark wird die Situation noch weiter verschärfen. Selbst die in Währtmgsfragen einen konservativen Kurs verfolgende „Neue Zürcher Zeitung” meinte, daß dann auch für die Schweiz der Moment gekommen wäre, „das Tabu ihrer Wechselkurspolitik neu zu überdenken”. Uns scheint, daß jeder, dem die Erhaltung der Preisstabilität ein ernsthaftes Anliegen ist, gut daran tut, dieses Tabu schon heute sehr ernsthaft zu überdenkem.

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