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Chaos auf Dauer

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Bei der Beurteilung der wirtschaft-schaftlichen Lage in den USA kann man von zwei Gesichtspunkten ausgehen: Man kann mit Statistiken operieren, ohne die man in der modernen Volkswirtschaft nicht auskommt. Es hat sich jedoch immer wieder gezeigt, daß statistische Daten geduldige Bausteine sind, mit deren Hilfe man jegliches Gebäude bauen kann. Man wird daher ohne „Klimastudie“ nicht auskommen, weil die wirtschaftlichen Impulse in einer freien Wirtschaft von Stimmungen und anderen Imponderabilien beeinflußt werden, die man statistisch gar nicht erfassen kann.

Rein zahlenmäßig geht die amerikanische Wirtschaft im Augenblick durch eine Periode der Rezession. Man kann zwar an Hand der jüngsten Zahlen nachweisen, daß im Monat April wieder ein leichter Anstieg erfolgte (der Produktionsindex stieg um 0,4 Prozent). Aber ein Monat besagt nichts und vom November 1973 bis zum März 1974 ist der Produktionsindex jedenfalls um 8 Prozent (auf das Jahr umgerechnet) gefallen. Überdies wird der Aufschwung im April vorwiegend mit einer Steigerung der Aütomobilpro-duktion motiviert, die einen Anstieg von 14 Prozent (auf das Jahr berechnet) zeigte, nachdem das Öl-embargo der Araber aufgehoben wurde. Dieser Anstieg sagt also noch wenig Gültiges für die Zukunft.

War eine Medizin in Form einer durch Einengung des Notenumlaufes indiziert, so drängten Überlegungen der Wiederwahl, der Vollbeschäftigung und des sozialen Fortschritts in die andere Richtung. Man sollte meinen, daß man nicht zugleich laufen und stehen kann. Der amerikanischen Wirtschaft ist dies aber gelungen. Das Wirtschaftswachstum stagniert, die Preise laufen im Tempo einer jährlichen Inflationsrate von 10 bis 11 Prozent davon. Das ist eine Entwicklung, die für die Vereinigten Staaten völlig ungewohnt und alarmierend ist. Sie hat die Nationalbank veranlaßt, eine

restriktive Geldpolitik zu betreiben, welche die sogenannte Primerate (Zinsfuß der Banken für erste Kunden) in die Nähe von 12 Prozent getrieben hat. Die Börse ist seit Monaten rückläufig, da trotz Inflation eine festverzinsliche Veranlagung bei 9 Prozent sicherer ist als eine Anlage in Aktien von Betrieben, deren Gewinnaussichten undurchsichtig sind. Würde eine restrektive Geldpolitik lange genug und kompromißlos erfolgt werden, so würde eher früher als später der konventionelle Zustand der Alternative zwischen Inflation oder Rezession wiederhergestellt sein. Aber weder kann der politisch durch Watergate angeschlagene Präsident unpopuläre Sparmaßnahmen dekretieren, noch will der von des Präsidenten Gegnern beherrschte „Demokratische“ Kongreß dem Konsumenten auch nur im geringsten wehtun. Im Herbst wird ja wieder gewählt und da ist trotz Watergate immer noch Trumpf, was ein Abgeordneter dem Fiskus entreißen kann. Mithin scheint das Phänomen der Stagflation in den Staaten gute Aussicht auf Dauer zu haben.

Der Kampf oder das Tauziehen zwischen der Notenbank und den Verschwendern im politischen Bereich droht aber Katastrophen heraufzubeschwören. Wenn auf der einen Seite die Verschuldung größer wird, zugleich aber die Geldmittel knapper, so können da und dort Zusammenbrüche von weniger konservativ geführten Unternehmen kaum ausbleiben. Ein Fall dieser Art ereignete sich in New York, wo die mittelgroße Franklin-National-Bank in letzter Minute durch Infusionen der Notenbank gerettet werden mußte. Wenn solche Katastrophen häufiger werden und durch Konzessionen der Notenbank entschärft werden müssen, gibt es keine konsequente, restringierende Notenbank-poli'tik.

Schon sprechen linke „liberale“ Journalisten vom Beispiel Brasilien, wo man gelernt hat, mit der Infla-

tion zu leben. Sie übersehen dabei aber, daß in Brasilien die Inflation fast halbiert wurde und daß dort eben eine relativ vernünftige Staatsführung ohne Querschüsse parlamentarischer Partikularin'teressen regieren kann.

Sicherlich ist ein wesentlicher Teil der Inflation, die heute die freie Welt plagt, energie- und ernährungsbedingt. Aber kein Verantwortlicher der freien Welt hatte bisher den Mut, zur Konsumeinschränkung aufzurufen. Man rationierte zwar die vorhandenen und verfügbaren Benzin- und Heizölvorräte. Aber vor die Autobesitzer zu treten und ihnen zu sagen: Ihr solltet euren Wagen bei den derzeitigen Benzinpreisen einmotten, weil ihr euch ein Auto momentan gar nicht leisten könnt — dazu hätte keiner die politsche Courage. In den Vereinigten Staaten ist überdies das Auto eine Säule der Wirtschaft und ihrer Beschäftigung und die Straße wurde immer der Schiene bevorzugt. In einigen Staaten Westeuropas wäre ein solcher Schritt jedoch angebracht gewesen.

Man hört jetzt in den USA des öffteren den Ruf nach unpolitischen Wirtschafts- und Gewerkschaftsführern, die die Wirtschaft aus der Umklammerung durch die Politik befreien sollten. Das sind für die USA durchaus ungewöhnliche „faschistoide“ Ideen, die sich aus der Ausweglosigkeit der Lage erklären lassen.

So hoppelt zur Zeit die amerikanische Wirtschaft einen Zickzackkurs zwischen Stagnation und Inflation, und sie leidet unter der politischen Lahmlegung des Weißen Hauses durch die Watergateaffäre und unter der Verquickung internationaler Preissteigerungen auf den Energie- und Rohstoffmärkten mit dem Unvermögen, den eigenen Konsum zu beeinflussen. Die Grundlagen der US-Wirtschaft sind freilich gesund und verdienen den Optimismus, der ihnen noch immer aus dem In- und Ausland entgegengebracht wird.

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