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Der weltweit verzeichnete Einbruch der Börsenkurse ist nur eines der Symptome einer krisenanfälligen Weltwirtschaft.

Weltbrankrott" titelt Die Zeit, "Nur die Angst hat Konjunktur" Der Spiegel, "Game Over?" profil. In allen Fällen geht es um Analysen der wirtschaftlichen Situation in diesen Sommermonaten, die im Zeichen eines unfassbaren Einbruchs der Börsenkurse stehen. Allein die an der Wallstreet gehandelten US-Aktien haben in den letzten zwei Monaten sagenhafte 7.000 Milliarden Dollar (=Euro) an Kurswert eingebüßt. Aber auch in Deutschland sind in den letzten Wochen rund 50 Milliarden Euro bei den DAX-Unternehmen verpufft. Der Kurswert dieses Aktien-Index ist seit dem Jahr 2000 auf weniger als die Hälfte gesunken.

"Abwärts ohne Ende", so die Diagnose der Welt am Sonntag. Es werde nicht nur die Börse betroffen sein, sondern auch die Wirtschaft allgemein. Die jetzige Unsicherheit lasse einen Rückgang der Investitionen erwarten. Und weniger Investitionen hießen weniger Umsatz, weniger Gewinn, "vielleicht auch noch mehr Pleiten. Das wiederum trifft die Banken. Eine ausgemachte Bankenkrise könnte die Folge sein ..." (Welt am Sonntag)

Tatsächlich kommt es jetzt schon zu Rückwirkungen auf den Bankensektor. Kein Wunder, wenn man bedenkt: Allein durch den Zusammenbruch von "WorldCom" ist "J.P. Morgan Trust Co". mit 17,2 Milliarden Dollar (!) der größte ungesicherte Gläubiger. Die "MellonBank N.A." kann 6,6 Milliarden Dollar, die "Citibank" 3,29 Milliarden in den Rauchfang schreiben. Das sind Beträge, die auch großen Banken weh tun. Daher lautet die Parole im Bankensektor: Kosteneinsparung. Und das wiederum heißt Personalabbau. Weiters kommen durch die Kurseinbrüche an den Börsen auch die Lebensversicherungen zunehmend in Schwierigkeiten.

Krise in Lateinamerika

Signale einer tief reichenden Krise auch in Lateinamerika: Argentinien musste vor Monaten seine Zahlungsunfähigkeit erklären. In Uruguay hat die Regierung vorige Woche nach Abfluss enormer Geldmittel aus dem Bankensystem vorübergehend die Sparkonten gesperrt. Demonstrationen und Plünderungen von Geschäften im Land waren die Folge. Auch Brasilien ist mittlerweile in den Strudel der Verunsicherung gezogen worden: Seine Währung, der Real, hat seit Jahresbeginn ein Drittel ihres Wertes gegenüber dem Dollar eingebüßt. Die öffentliche Verschuldung des Landes ist heuer stark angestiegen. Sorgen wegen der Zahlungsfähigkeit machen sich breit, vor allem in Spanien, dessen Firmen 60 Milliarden Euro in Brasilien investiert haben und deren Kurse an der Madrider Börse einzubrechen beginnen.

Krisensymptome auch in der EU: Es wachsen die Zweifel, ob der Stabilitätspakt - er verpflichtet die Euro-Länder zur Budget-Disziplin - halten wird. Erstmals wurde ein Verfahren in dieser Frage eingeleitet - gegen Portugal, das im Vorjahr mit 4,1 Prozent Haushalts-Defizit (bezogen auf das BIP) deutlich über den vereinbarten drei Prozent liegt. Aber auch in Deutschland und Frankreich wird zunehmend Kritik an der Budget-Disziplin laut.

Angst vor US-Rezession

Noch hofft man auf einen Aufschwung in den USA, mit dem die Wirtschaftsforscher für heuer gerechnet hatten. Tatsächlich gab es dort ja auch im ersten Quartal 2002 einen beachtlichen Zuwachs: Mehr als fünf Prozent wurden verzeichnet. Massive Steuersenkungen und enorme Ausgabensteigerungen für Wirtschaft und Militär durch die Regierung Bush hatten dieses Aufflackern bewirkt. Aber schon die vorige Woche veröffentlichten Daten für das zweite Quartal dämpfen die Freude an diesem Aufschwung: Nur mehr 1,1 Prozent Zuwachs. Konsumausgaben und Investitionen haben sich deutlich verringert. Die Besorgnis wächst, es könnte zu einer anhaltenden Rezession kommen.

Von wo aber sollten sonst Wachstumsimpulse ausgehen? Japan befindet sich seit den achtziger Jahren in einer nicht enden wollenden Krise und in Europa gehen die Dinge auch nicht mehr so flott voran, seitdem Deutschland seiner Rolle als Motor der europäischen Wirtschaft nicht mehr gerecht wird. Der kürzlich veröffentlichte Ifo-Geschäftsklima-Index signalisert jedenfalls eine morose Stimmung.

Ohne Wachstum scheint heute nichts mehr zu gehen. Zufrieden sind die Entscheidungsträger nur, wenn die Wirtschaft Zuwächse zu verzeichnen hat. Und zwar nicht irgendwelche, sondern zünftige. Da gelten 1,5 Prozent schon als schwächlich, weil nicht ausreichend für die Aufrechterhaltung des Beschäftigungsniveaus und den Ausgleich der öffentlichen Haushalte.

Wachstum - ein Muss?

Wäre es nicht einmal angebracht zu fragen, ob diese Abhängigkeit vom Wachstum nicht das eigentliche Problem ist, das Anzeichen für eine falsche Konzeption vom Wirtschaften? Nach 50 Jahren unvorstellbarer Akkumulation von Reichtum in den Industrieländern darf doch einmal die Frage erlaubt sein, ob es nicht eine Alternative zu diesem zwanghaften Vermehren des materiellen Wohlstands gibt?

Entsprechen die Wirtschaftstheorien, die das Handeln der Entscheidungsträger prägen, noch den heutigen Herausforderungen? Wie kann es sonst sein, dass ein so systematisch gehätschelter Bereich wie die Wirtschaft sich nach einem halben Jahrhundert bevorzugter Pflege derartig krisenanfällig darstellt, wie wir es heute beobachten?

Geht es in der jetzigen Situation nur darum, ein an sich gesundes System wieder in Gang zu bringen? Oder könnte es nicht sein, dass manche Prämisse, auf der es beruht, fragwürdig ist?

Wachstum - ja, aber für die armen Länder des Südens und des Ostens und Stabilisierung für den reichen Norden. Dafür Konzepte zu entwickeln wäre doch eine Herausforderung für die Wirtschaftswissenschaft! Dann würde wohl auch das Dogma, dass Liberalisierung ein Allheilmittel für wirtschaftliche Entwicklung ist, in Frage gestellt werden. Denn die Fakten sprechen gegen dieses Postulat, wie die in den letzten 40 Jahren gewachsene Kluft zwischen den ärmsten und reichsten 20 Prozent der Weltbevölkerung (1 zu 30 um 1960, 1 zu 75 Ende der neunziger Jahre) nur allzu deutlich zeigt.

Nachhaltigkeit als Ziel

Aufgeholt haben in diesem Zeitraum nur Länder wie Indien, China, Korea, Taiwan, die ihre Grenzen erst dann geöffnet haben, als ihre vorher geschützten Bereiche international konkurrenzfähig waren. Länder wie Uganda, Haiti, Mosambik oder Mali, die brav liberalisiert haben, gehören hingegen zu den Armenhäusern der Welt.

Der Anfang September in Johannesburg stattfindende UN-Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung wäre eine Gelegenheit, eine Kurskorrektur weg vom Wachstumszwang der reichen Länder durchzuführen. Zeit wäre es, denn das vor zehn Jahren bei der Konferenz von Rio abgelegte Bekenntnis zu einer nachhaltigen Entwicklung wurde in den 90er Jahren, die im Zeichen des Wachstums standen, jedenfalls nicht eingelöst - sieht man von dem bedingten Teilerfolg Klimaschutz ab. Jedenfalls spricht einiges dafür, dass die Umsetzung von Prinzipien der Nachhaltigkeit dazu beitragen könnte, aus der sich abzeichnenden weltweiten Wirtschaftskrise herauszufinden.

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