Das zähe Ringen um den Aufschwung

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Das Wirtschaftswachstum der USA erreichte zuletzt mit 5,7 Prozent einen Rekordwert, doch die Aussichten für 2010 bleiben äußerst gedämpft. Viele strukturelle Altlasten werden die Entwicklung bremsen, die Arbeitslosigkeit wird weiter steigen. Die US-Wirtschaft braucht einen grundlegenden Wandel zu mehr Nachhaltigkeit und sozialem Ausgleich.

Das jüngste Experiment der US-amerikanischen Finanzwirtschaft erstaunte in seiner Kaltschnäuzigkeit selbst die krisengesottenen US-Ökonomen. Nachdem die US-Banken gerade mit Immobilien-Gambling die Weltwirtschaft in eine merkliche Schieflage gekippt hatten, laden Investberater nun zu einem neuen Spiel. Das Geschäft heißt in der Umgangssprache: sudden death, vorzeitiges Sterben. Damit ist nun aber nicht Eishockey oder Fußball gemeint, sondern das reale Börsengeschäft mit dem echten Knochenmann.

Es funktioniert nach folgender Logik. Erstens: Nicht wenige Amerikaner brauchen in der Krise Geld. Zweitens: Nicht wenige Amerikaner haben eine Lebensversicherung als Altersvorsorge. Wo sich diese beiden Umstände paaren, tritt der Finanzberater in Aktion. Er kauft den Bargeldbedürftigen ihre Versicherungen ab, natürlich weit unter der Ablebenssumme. Die Versicherungen werden in Paketen gebündelt und in Fonds geparkt. Die Versicherungsraten werden vom Fonds weiterbezahlt. Beim Ableben des Verkäufers kassiert der Fonds dann die gesamte Versicherungssumme. Es ist dies ein kleiner, drastischer Ausschnitt aus der US-Finanzwirtschaft 2010 und er enthält viel Symbolkraft.

Tatsächlich mutet die Volkswirtschaft USA moribund an, trotz der in der vergangenen Woche veröffentlichten Jubelzahlen, wonach die US-Wirtschaft im letzten Quartal 2009 um 5,7 Prozent gewachsen ist. Denn hinter dieser schönen Zahl klaffen die gähnenden Wunden des ökonomischen Desasters: Jeder Bürger der USA schleppt derzeit einen kumulierten Schuldenberg von 40.073 Dollar mit sich herum. Das Budgetdefizit wächst täglich um vier Milliarden US-Dollar. Mit 12,4 Billionen Dollar sind die USA die bei Weitem am höchsten verschuldete Industrienation. Die Sparquote, die zuletzt auf etwas über sechs Prozent stieg, hält schon seit 1990 keinem Vergleich mit anderen führenden Nationen stand: China verzeichnet beispielsweise 45 Prozent. Die eisernen Reserven Washingtons scheinen fast aufgebraucht: An Devisen besitzen die USA umgerechnet 30 Milliarden Dollar. China im Vergleich: 1800 Milliarden. Wie steht es um die Konkurrenzfähigkeit der US-Industrie? Dazu braucht man nur das Handelsbilanzdefizit der USA für November 2009 zu betrachten: 36,4 Milliarden Dollar.

Rettungspakete, wie lange noch?

Die Neuverschuldung der Staatsfinanzen für 2009 liegt bei weit über zehn Prozent. Die Arbeitslosenzahlen sprengten im Jänner die 10-Prozent-Marke. Mit derart negativ geballten Daten können sonst eigentlich nur Nationen wie Griechenland und Island konkurrieren.

Dass es den USA derzeit noch nicht ganz so schlecht geht, liegt zum einen an dem massiven Wirtschaftspaket, mit dem die Regierung Obama das Land aufpäppelt: Der gesamte Wert der staatlichen Förderungen und Garantien beläuft sich laut dem Chef des US-Bankenrettungspaketes Tarp auf 23.700 Milliarden Dollar.

Durch die Hilfe werden Arbeitsplätze gehalten, was wiederum das Rückgrat der US-Wirtschaft stabilisiert: den Konsum. „Die Rezession ist vorüber“, jubelte in der vergangenen Woche der Chef-Volkswirt von Goldman Sachs, Jan Hatzius. Doch das ist anderen Experten dann doch zu optimistisch gedacht: „80 Prozent der Erholung sind auf Staatshilfen zurückzuführen“, sagt Patrick Artus von der Pariser Investmentbank Natixis. Diese Geldorgie könne aber nicht unbegrenzt so weitergehen.

US-Präsident Obama hat zwar versprochen, in den kommenden beiden Jahren keine Ausgabensteigerung im Budget mehr vorzunehmen (Ausnahme: das Verteidigungsressort). Doch auch eine Schuldentilgung scheint außerhalb jeder Möglichkeit zu liegen. Eine Entwicklung wie in früheren Jahren, in denen der Konsum nicht durch Ersparnisse der Bevölkerung, sondern durch Kreditwachstum angetrieben wird, scheint für den Moment ebenfalls undenkbar. Im Durchschnitt ist jeder Haushalt in den Vereinigten Staaten mit 115 Prozent seines Einkommens bei Banken oder Kreditkartenunternehmen verschuldet. Die Administration Obama wird also weiter die Konjunktur mit neuem Geld ankurbeln müssen. So ätzte man auch beim Weltwirtschaftsforum in Davos, der eben wiederbestellte Chef der Federal Reserve Bank, Ben Bernanke, sei mehr wegen seiner Fähigkeiten als Geldverteil-Feuerwehrpilot (Helicopter-Ben) auserkoren worden als wegen seiner Meriten in der Krisenbekämpfung.

Die Abschaffung des New Deal

Der Grund für die Nachhaltigkeit der US-Misere liegt nicht nur in der Immobilienblase, sondern vielmehr in einer bisher wenig beachteten langfristigen Einkommensentwicklung. Seit den 90er-Jahren verdient der US-Mittelstand weniger, Einkommenszuwächse verzeichneten dagegen in geringem Ausmaß das untere Einkommensdrittel (Stichwort McJobs) sowie ganz massiv das oberste Einkommenszehntel.

Nobelpreisträger Paul Krugman meint, „dass dadurch die Errungenschaften des New Deal, die Institutionen der Gleichheit abgeschafft wurden“. Die „New Economy“ und der damit einhergehende Kreditboom hätten diese Entwicklung, also die Auflösung des tragenden Mittelstandes, die sinkende Sparquote und die rasante Verschuldung der Gesellschaft durch scheinbaren Wohlstand verborgen. Die Auswirkungen sich auflösender Sozialsysteme zeigen sich bei den Arbeitslosen: Weniger als die Hälfte der 15,7 Millionen „Jobless“ erhalten Arbeitslosenunterstützung.

Was nun bleibt: die Hoffnung, in einer neuen Revolution von Technologie ganz oben auf der Welle eines Innovationsbooms zu schwimmen und – bis dahin – die Rolle des Dollars als Weltwährung auszunützen. Denn das Ausland, und hier vor allem China, kauft Amerikas Schuldverschreibungen und finanziert dem angeschlagenen Riesen das Überleben. Bei Widerruf droht sudden death.

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