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Probleme mit der Wende

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Die Wirtschaft der EG wird heuer schrumpfen. Schon vor dem kürzlich in Kopenhagen stattgefundenen EG-Gipfel griff die Erkenntnis um sich, daß Europa zu seiner wirtschaftlichen Belebung selbst etwas tun und einige diesbezügliche Entscheidungen treffen muß. Die lange gehegte Hoffnung auf einen Aufschwung in den USA, der seine wohltuende Wirkung auf Europa ausstrahlt, ist damit abgeschrieben.

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Die Wirtschaft der EG wird heuer schrumpfen. Schon vor dem kürzlich in Kopenhagen stattgefundenen EG-Gipfel griff die Erkenntnis um sich, daß Europa zu seiner wirtschaftlichen Belebung selbst etwas tun und einige diesbezügliche Entscheidungen treffen muß. Die lange gehegte Hoffnung auf einen Aufschwung in den USA, der seine wohltuende Wirkung auf Europa ausstrahlt, ist damit abgeschrieben.

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Die Daten über die amerikanische Wirtschaft bieten derzeit ein sehr widersprüchliches Bild: Einem kräftigen Wachstumsschub im vierten Quartal des Vorjahres in Höhe von fast fünf Prozent, der schon zu kühnsten Hoffnungen Anlaß gab, folgte ein Absturz auf dürftige 0,9 Prozent im ersten Quartal des heurigen Jahres. Zuletzt hat Präsident Bill Clinton jedoch versucht, seine nicht gerade optimale Beurteilung durch die amerikanische Bevölkerung durch das Herausstreichen einiger wieder günstigerer Konjunkturdaten aufzupolieren.

Schlechte Stimmung

Allein im Mai seien mehr als 200.000 Stellen neu besetzt worden, und nach merkwürdigen Teuerungssprüngen zu Jahresbeginn sei die Inflation nun wieder mäßig, nämlich bei derzeit 3,8 Prozent auf Jahresbasis. (Dahinter stehen allerdings groß-teils niedrigere Energiepreise.)

Neu ist dabei, daß der Präsident selbst die Konjunkturlage nun nicht mehr pessimistisch beurteilt: Bisher hatte Clinton diese immer in schwärzesten Farben gemalt. Einerseits, um auf das schwere Erbe hinzuweisen, das er auf ökonomischer Ebene nach den Reagan-Bush-Administrationen übernehmen mußte. Andererseits, um sein Programm zur wirtschaftlichen Belebung in Repräsentantenhaus und Kongreß durchzu-bringen.

Diese Strategie istoffenkundignicht aufgegangen: Aufgrund solcher Äußerungen hat sich die Stimmung bei Konsumenten und Investoren weiter verschlechtert und so möglicherweise zur erwähnten Abflachung der Konjunktur im ersten Quartal beigetragen; andererseits haben sich Abgeordnete und Senatoren davon dennoch nicht besonders beeindruk-ken lassen.

Der Senat hat vielmehr den Entwurf, den der US-Präsident ohnehin nur mit größter Mühe und unter einigen Abstrichen durch das Repräsentantenhaus brachte, noch in einigen Punkten geändert. So ist unter anderem die geplante Energiesteuer unter dem heftigen Druck von Lobbyisten auf lachhafte 4,3 Cents pro Gallone Benzin festgelegt worden. Die Spitzensteuersätze wurden von 31 auf 39,6 Prozent angehoben.

Insgesamt erhofft man sich in Washington von dem jetzt beschlossenen Budget-Gesetz Mehreinnahmen in der Höhe von 240 Milliarden US-Dollar. Zusammen mit Ausgabenkürzungen von 90 Milliarden Dollar soll ein erster Schritt in Richtung Budgetsanierung gesetzt werden.

Der mühsame Weg des Budgetentwurfs zeigt aber nur die großen Schwierigkeiten, unter denen die neue Regierung an die gravierenden wirtschaftspolitischen Probleme des Landes herangehen muß. Gerade das Budget stellt einen Angelpunkt für alle Reformbestrebungen dar. Die Reagan- und Bush-Administrationen, die sich die Konsolidierung des Staatshaushalts großsprecherisch auf ihre Fahnen geheftet hatten, sind daran geradezu grandios gescheitert.

Riesiger Schuldenberg

1981 hatte Reagan bei seinem Amtsantritt in unnachahmlich plakativer Weise vorgerechnet, daß der damalige Schuldenberg des Landes, würde man ihn in Form von 1.000-Dollar-Noten aufeinanderstapeln, eine Höhe von 67 Meilen” erreichen würde - so etwas sei untragbar. Als er nach acht Jahren aus dem Amte schied, vergaß er geflissentlich zu erwähnen, daß der Stapel nunmehr um noch 200 (!) Meilen höher wäre als vor Beginn seiner segensreichen Tätigkeit. Nachfolger George Bush konnte da nur noch resignieren.

Als schwerwiegender Irrtum hatte sich insbesondere die Vorstellung erwiesen, daß eine Senkung von Steuersätzen beträchtliche Impulse für Wachstum und Steueraufkommen bringen werde. Weder Reagan noch Bush waren in der Folge bereit gewesen, diesen Fehler zu korrigieren.

Was die wirtschaftspolitische Wende für Clinton so schwierig macht, ist, daß dazu auch mentale Veränderungen in der amerikanischen Gesellschaft notwendig sind. Die Forderung nach dieser Wende beruht auf der Erkenntnis, daß die industrielle Wettbewerbsfähigkeit und damit letztlich auch die Stellung der USA als führende Weltmacht durch die „Reaganomics” genannte Laissez-faire-Politik der achtziger Jahre schwer in Mitleidenschaft gezogen wurden.

Reaganomics waren eine stark ideologisch motivierte Wirtschaftspolitik, mit deren Hilfe die Wirtschaft zu sogenannter „Abschlankung” und höchster Effizienz gebracht und damit der Sieg über das Böse sichergestellt werden sollte - was ja letztlich auch gelang.*

Für die Wirtschaft aber - und auch die Gesellschaft - bedeuteten die Reaganomics eine Roßkur sondergleichen, die sie an den Rand des Kollaps brachte: Deregulierung um ihrer selbst willen, die Jagd nach Geld als Rechtfertigung für fast alles, ans Kriminelle grenzende Firmenübernahmen, das Auflegen von Junkbonds, rücksichtsloses Insider-Absahnen an den Börsen und so weiter.

Aufgerieben wurde dabei vor allem die Mittelklasse: Klein- und Mittelbetriebe kamen schwer unter Druck, die Verschuldung stieg, Löhne und Gehälter, auch im mittleren Einkommensbereich, wurden gekürzt, die Arbeitslosigkeit stieg trotzdem, die Einkommensverteilung wurde ungleicher als je zuvor.

Man hat daher von den Amtszeiten von Reagan und Bush oft als einer Periode der destruktiven Habgier gesprochen. Ob Clinton einen Wandel dieser Verhaltensweisen herbeiführen kann, darüber mag man angesichts seiner nicht gerade glücklich verlaufenen ersten Monate im Amt skeptisch sein.

Industrie hat überlebt

Dennoch gibt es Hoffnung: Der industrielle Kern der US-Ökonomie darbt zwar, dürfte die Reaganomics aber überlebt haben und in manchen Bereichen besser positioniert sein, als es verschiedene Untergangsszenarien zeichnen wollen. Sicherlich ist die Lage der Auto- und der Stahlindustrie schwierig, verschiedene Schlüsselindustrien halten sich nach einigen neueren Untersuchungen aber wesentlich besser als befürchtet: So ist die Computer-Industrie in den letzten Jahren gegenüber den Japanern nicht nur nicht weiter zurückgefallen, sondern hat in einigen stark wachsenden Segmenten (zum Beispiel Notebooks) Vorsprünge erringen und erweitern können. In der Halbleiterindustrie konnte die Führungsrolle wieder zurückerobert werden. Auch die Autoindustrie konnte inländische Marktanteile von Japanern und Deutschen zurückgewinnen.

Daß die Amerikaner angesichts so vieler eigener Probleme eine Lokomotivfunktion für die Weltkonjunktur übernehmen können, wie man einige Zeit hoffte, kann so wohl kaum erwartet werden. Es ist Zeit, daß sich die Europäer auf ihre eigenen Möglichkeiten besinnen. ”lMeile= 1,6 Kilometer.

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