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Präsidentenwahl Von Abtreibung bis

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Die amerikanische Präsidentenwahl 1984 ist gelaufen, ein Erdrutschsieg schwemmte Ronald Reagan erneut ins Weiße Haus. Was sind nun die Ursachen für diesen Triumph, den die republikanische Partei freilich bei den Kongreßwahlen bei weitem nicht wie erwartet nachvollziehen konnte. Hier eine zugegebenermaßen willkürliche Aufzählung von Stichworten, die am 6. November mitentscheidend waren.

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Die amerikanische Präsidentenwahl 1984 ist gelaufen, ein Erdrutschsieg schwemmte Ronald Reagan erneut ins Weiße Haus. Was sind nun die Ursachen für diesen Triumph, den die republikanische Partei freilich bei den Kongreßwahlen bei weitem nicht wie erwartet nachvollziehen konnte. Hier eine zugegebenermaßen willkürliche Aufzählung von Stichworten, die am 6. November mitentscheidend waren.

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Abtreibung von ungeborenem Leben ist eine Streitfrage, die nicht nur in Österreichs Öffentlichkeit immer wieder heiß diskutiert wird. Eine Zeitlang beherrschte dieses Thema auch den amerikanischen Wahlkampf, und es wird wohl auch in Zukunft Schlagzeilen machen. Die Abtreibung wurde 1973 vom amerikanischen Bundesgerichtshof freigegeben. Die katholische Kirche der USA, aber auch andere Religionsgemeinschaften sowie religiöse Fundamentalisten führen seit damals ihren Kampf. Als nun die demokratischen Spitzenpolitiker Geraldine Ferraro und der New Yorker Gouverneur Mario Cuomo — beides Katholiken — erklärten, sie stimmten zwar persönlich mit der Position der Kirche überein, seien aber dagegen, kirchliche Morallehren in öffentliches Recht zu verwandeln, trugen sie sich die Kritik des New Yorker Erzbischofs O'Connor und anderer Kirchenoberen ein; worauf diese kritisiert wurden, sie unterstützten einseitig Reagans Wahlkampfposition.

Der Präsident der Nationalen Bischof skonferenz, Bischof James Malone, beeilte sich zu erklären, die Kirche habe sich weder auf eine einzige Streitfrage (die Abtreibung) versteift, noch fördere sie die Formierung eines Wählerblocks zugunsten einer Partei.

Budgetdefizit, versprach Ronald Reagan noch 1980, wird es 1983 in den USA keines mehr geben. Das Versprechen hielt der Wirklichkeit überhaupt nicht stand: 1983 betrug das Defizit im Staatshaushalt 195 Milliarden Dollar, im Fiskaljahr 1984 immerhin 174 Milliarden. Die Demokraten wiesen im Wahlkampf zwar immer wieder auf diesen wunden Punkt in Reagans Leistungsbilanz hin, doch ein ausgeglichenes Budget, so meinen die US-Bürger offenkundig in ihrer Mehrheit, kommt eher zustande, wenn man die Republikaner weitermachen läßt. Die argumentieren, eine weiter wachsende Wirtschaft und zusätzliche Ausgaben-Kürzungen würden in Hinkunft zur Verringerung des Defizits beitragen. Die Frage ist nun, welche Ausgabenkürzungen Reagan im Auge hat, nachdem er ja beim Verteidigungsbudget keineswegs gewillt sein dürfte, den Rotstift anzusetzen.

CIAChef William Casey war und ist einer der umstrittensten Mitglieder der Reagan-Regierung. Und er wird es wohl auch bleiben. Erst zwei Wochen vor der Wahl geriet er erneut ins Kreuzfeuer der öffentlichen Kritik, weil Angehörige seines Geheimdienstes für die anti-sandinistischen Guerillas in Nikaragua ein „Lehrbuch" vorbereitet hatten, das die Untergrund-Kämpfer u. a. in Sachen Kidnapping und Mord unterwies. Zuvor war Casey schon wegen der Verminung nikaraguanischer Häfen unter den Beschuß der Opposition geraten. Doch Casey, so lauthals die Demokraten auch seinen „Skalp" forderten, hat bislang alle Attacken unbeschadet überstanden. Denn: Reagan schätzt seine Arbeit für den CIA und beteuerte dem Geheimdienst-Chef: „Du bist mein Mann beim CIA".

Den Demokraten bleibt nach ihrer schweren Niederlage bei diesen Präsidentschaftswahlen nicht allzuviel Zeit für eine Neubesinnung und Reorganisation. Schon in zwei Jahren gibt es Halbzeitwahlen, bei denen das ganze Repräsentantenhaus und ein Drittel des Senates neu bestellt werden. Immerhin: Bei den Kongreßwahlen am 6. November schnitten die Demokraten gar nicht so schlecht ab, gewannen im Senat zwei Sitze dazu und sehen sich nun einer republikanischen Mehrheit von 53 zu 47 gegenüber; im Repräsentantenhaus verloren die Demokraten mit 14 Sitzen weit weniger als erwartet und haben mit 260 zu 175 weiterhin eine solide Mehrheit. Das macht es für Ronald Reagan und die Republikaner ziemlich schwierig, ihre politischen Programme ohne Widerstände durchzuziehen, ja zwingt' sie zu einer pragmatischen Politik und zu Kompromissen. Dennoch: , Den Demokraten muß ganz einfach zu denken geben, daß ihnen wiederum traditionell sympathisch gesinnte Wählerschichten bei der Wahl 1984 in Scharen davongelaufen sind. In den fünf Präsidentschafts wählen seit 1968 gewannen die Demokraten nur eine einzige, Jimmy Carter 1976.

Erdrutsch-Wahlen nennen die amerikanischen Medien das, was sich am 6. November in den USA abgespielt hat. Und tatsächlich: Mit 525 zu 13 Wahlmännerstimmen kann Ronald Reagan einen gigantischen Wahltriumph feiern. Nur Washington DC und Mondales Heimatstaat Minnesota wählten mehrheitlich den Verlierer, eine der schlimmsten Niederlagen in der Geschichte der Demokraten. Die Mehrheit der Frauen, der Jungwähler und Weißen wollte Ronald Reagan wieder im Amt haben, nur die schwarze Bevölkerung stimmte mit 89 zu 11 Prozent eindeutig für Mondale. Allerdings: Reagans überwältigende Popularität wirkte sich nicht unbedingt auf die Kongreßwahlen aus, die republikanischen Erfolge dort sind eher bescheiden. Wenn man so will, beweist das die politische Reife amerikanischer Wähler, die sehr wohl zwischen bundesweiten und Einzelstaat-Angelegenheiten zu unterscheiden wußten und deshalb ihre Stimmen nicht stur einer Partei gaben, sondern „aufsplitterten".

Freeze", das gegenseitige und verifizierbare „Einfrieren" der Produktion und der Aufstellung von Atomwaffen, ist ein Schlachtruf der amerikanischen Friedensbewegung, in den auch breite demokratische Kreise eingestimmt haben — inklusive Walter Mondale. In der außenpolitischen TV-Debatte konkret danach befragt, welche Waffensysteme in den Rahmen eines gegenseitigen und verifizierbaren „Freeze" fallen könnten, antwortete Mondale ausweichend und unbestimmt: Alle Waffensysteme, die verifizierbar seien, könnten „eingefroren" werden. Was Carters früheren Sicherheitsberater und Mondales Parteigänger Zbigniew Brzezinski zu der sarkastischen Bemerkung veranlaß-te: „Ich fürchte halt, .Freeze' ist ein Schwindel". Wie auch immer: Wenn Präsident Reagan auch auf die Atomängste vieler seiner amerikanischen Mitbürger Rücksicht nehmen muß, ein „Freeze" ist während seiner zweiten Amtszeit ganz bestimmt nicht zu erwarten. Die US-Friedensbewegung wiederum wird sich wirkungsvollere Initiativen einfallen lassen müssen.

Grenada war bis im Oktober 1983 eine nur wenigen bekannte kleine Insel in der Karibik; bis am 25. Oktober 7000 amerikanische und karibische Soldaten auf dem Eiland landeten, nach mehrtägigen Gefechten ein linksextremes Regime stürzten und sich danach in der Mehrzahl wieder zurückzogen. Wie immer man nun diese Operation politisch und militärisch bewertet - und in den US-Medien geschah dies durchaus negativ —, psychologisch war sie für die Reagan-Administration ein Riesenerfolg in der amerikanischen Öffentlichkeit, der bis zu diesem 6. November nachwirkte. Und Reagan konnte zum Jahrestag der Grenada-Operation erklären: „Die Periode der amerikanischen Selbstzweifel ist vorüber. Die Geschichte wird aufzeichnen, daß einer der Wendepunkte auf einer kleinen Insel in der Karibik erfolgte, wo Amerika hingekommen ist, um für sich selbst zu sorgen und einen Nachbarn vor der wachsenden Tyrannei zu schützen."

Helms ist ein Name, den man sich auch in Europa gut merken muß: Jesse Helms, ein Führer der Neuen Rechten in Amerika, schlug im teuersten, bittersten und schmutzigsten Se-nats-Wahlkampf der US-Geschichte am 6. November im Bundesstaat North Carolina seinen demokratischen Herausforderer, Gouverneur James Hunt. Helms rückt damit aller Voraussicht nach in den nächsten sechs Jahren auf den Posten des Vorsitzenden des Außenpolitischen Ausschusses des Senates, weil dessen bisheriger Chef, der gemäßigte Republikaner Charles Percy in seinem Heimatstaat Illinois dem demokratischen Herausforderer Simon unterlag. Von der Neuen Rechten wie ein Gott verehrt, ist Helms als Freund des südafrikanischen Apartheidregimes und rechter Militärdiktaturen in Lateinamerika der Buhmann der Liberalen in Amerika schlechthin. Ob die Reagan-Administration mit dem neuen außenpolitischen Senatsvorsitzenden glücklich werden wird, gilt es zu bezweifeln. Gewiß nicht, wenn Reagan in Hinkunft einen außenpolitisch gemäßigten Kurs steuern will, der von beiden Großparteien getragen werden soll.

Inflation und Beschäftigung waren zwei Punkte, auf die Reagan im Wahlkampf in seiner Leistungsbilanz der ersten vier Jahre immer wieder hinwies. In seiner Amtszeit sank die Inflationsrate von 12,4 Prozent (1980) auf 4,2 Prozent. Und dies war in den Augen der Mehrheit der Wähler eines der stärksten Argumente für Reagans Wiederwahl. Die Steuerkürzungen wiederum ließen den US-Bürgern mehr Dollars in ihren Geldbörsen, sie konnten sich wieder mehr leisten. Was die Beschäftigungspolitik anlangt, verwies Reagan auf 6,4 Millionen neue Arbeitsplätze. Noch Anfang 1983 lag die Arbeits-losenr'ate bei rund 12 Prozent, bis Ende September 1984 war sie auf 7,4 Prozent herabgesunken, in etwa die selbe Höhe wie zu Reagans Amtsübernahme. Aber: Gestiegen ist die Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen (19,3 Prozent) und unter der schwarzen Bevölkerung (15,1 Prozent) — eine Entwicklung, auf die Demokraten immer wieder besorgt aufmerksam machten. Ob die „Reagan-Revolution" auch noch den armen Bevölkerungsschichten der USA zugute kommen wird oder aber doch nur die Reichen bevorzugt, bleibt jedenfalls abzuwarten.

Justizfragen könnten zu einem der heißesten Eisen der amerikanischen Innenpolitik werden. Konkret geht es um den Obersten Gerichtshof der USA, der darauf zu achten hat, daß das Gesetz mit den Prinzipien der Verfassung im Einklang steht. Dieses Gremium besteht aus neun Mitgliedern, die auf Lebenszeit ernannt sind. Und ernannt werden sie vom Präsidenten — dann, wenn eine Vakanz auftritt. Mit etlichen Vakanzen wird indessen in den nächsten vier Jahren gerechnet und schon' in ihrem Wahlkampfprogramm forderte die republikanische Partei im Einklang mit religiösen Fundamentalisten, daß solche Richter ernannt werden müßten, die traditionelle Familienwerte und die Heiligkeit des menschlichen Lebens respektierten. Jetzt fürchten vor allem liberale Kreise, daß durch die Ernennung konservativer Richter die Abtreibung wieder verboten und das Schulgebet wieder Gesetz werden könnte.

Kirche und Staat beziehungsweise die Rolle der Kirchen im öffentlichen Leben war ein Grundsatzstreit, der ungewollt in die amerikanische Wahlkampfauseinandersetzung geriet. Die Abtreibungs-Debatte innerhalb der katholischen Kirche war ein auslösendes Moment dafür; ein anderes war das immer freimütigere Auftreten des religiösen Fundamentalisten Jerry Falwell und der von ihm gegründeten „Moralischen Mehrheit". Während George Washington vor über 200 Jahren erklärte, „die Regierung der USA basiert in keiner Weise auf der christlichen Religion", postuliert Falwell: „Die Idee, daß Religion und Politik sich nicht vermischen lassen, stammt vom Teufel, um Christen davon abzuhalten, ihr eigenes Land zu regieren". Und so kämpft Falwell gegen die Abtreibung, für das Schulgebet, gegen Homosexualität und Pornographie und findet dabei gerade auch im republikanischen Lager breite Unterstützung. Auch beim Präsidenten? Verbal ja. Trotzdem weiß Reagan ganz genau, daß Falwells Kreuzzug die Mehrheit der Amerikaner eher beunruhigen dürfte. Sie wollen Kirche und Staat auch in Zukunft getrennt sehen.

Libanon war das größte außenpolitische Debakel der Reagan-Administration in den ersten vier Jahren. Reagan sandte seine Marinesoldaten auf dieses heiße Pflaster, um einen Waffenstillstand zu überwachen und erklärte, der Zusammenhalt des Libanon und die Verhinderung einer syrischen Dominanz lägen im „vitalen amerikanischen Interesse". Dann platzte im Oktober 1983 eine Bombe und tötete 241 US-Soldaten. Reagan zog seine Truppen wieder zurück. Kritische Stimmen über die getroffenen Sicherheitsvorkehrungen wurden laut, auch Mondale griff den Prä-' sidenten im Wahlkampf in diesem Punkt wiederholt an. Doch Reagan kam unbeschadet vor der Öffentlichkeit davon, weshalb er auch als „Teflon-Präsident" bezeichnet wird: nichts bleibt an ihm hängen.

Medien spielen im amerikanischen Alltag eine dominierende Rolle — gerade auch in Wahlkampfzeiten. Doch es wäre vermessen, zu glauben, daß sie das Wahlverhalten der Amerikaner entscheidend beeinflußt haben könnten. Tatsächlich waren TV und viele große amerikanische Printmedien eher auf der Seite des „underdog", des Schwächeren und Zeitungsflaggschiffe wie die „New York Times", „Washington Post" oder „Boston Glo-be" empfahlen in Leitartikeln ganz offen die Wahl Walter Mondales. Gerade diese Zeitungen beklagten sich auch mehrfach bitter über die Ignoranz Ronald Reagans den Printmedien gegenüber sowie über die Art und Weise, wie der Präsident die Mechanik der modernen Kommunikation zu seihen Gunsten auszunutzen verstand, während er die Reporter mit ihren harten, bohrenden Fragen im Regen stehen ließ. Steven R. Weisman von der „New York Times" umschrieb Reagans Medienpolitik als die „Kunst des kontrollierten Zugangs". Die amerikanischen Wähler aber scherte das Wehklagen der Presse nicht allzuviel.

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