Der Tag nach der Euphorie

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Barack Obama gilt als der Hoffnungsträger - nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern in der ganzen Welt. Doch die Aufgaben, die vor dem neuen US-Präsidenten liegen, sind ebenso groß wie die Erwartungen.

Die weltweite Party voll Euphorie und Hoffnung war noch voll im Gang, da kamen schon die ersten unangenehmeren Gäste, die den neuen Hoffnungsträger vor allem an eines erinnerten: Jetzt wollen wir genauer wissen, wie der versprochene Wandel aussehen wird.

So erinnerte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International den neu gewählten Präsidenten der USA schon einen Tag nach der Wahl an seine Versprechen: Hundert Tage würde Amnesty dem Demokraten nach seinem Amtsantritt geben, um die von seinem Vorgänger George W. Bush "angerichteten Schäden zu reparieren". Vor allem müsse das US-Gefangenenlager Guantánamo auf Kuba geschlossen werden - jenes Symbol, das für die zunehmend verhassten Bush-Jahre steht. An 20. Jänner 2009, dem Tag der Inauguration in Washington, beginnt die harte Bewährungsprobe.

Mindestens hundert Tage Schonfrist wird der 44. Präsident der USA auch in anderen Problembereichen erhoffen, die nun vor ihm liegen. Und so hat Barack Obama bereits in seiner Siegesrede im Grant Park in Chicago vor ca. 150.000 Anhängern auch um die Geduld seiner künftigen Untergebenen gebeten: "Unser Anstieg wird steil sein. Wir werden nicht in einem Jahr oder selbst in einer Amtszeit dort ankommen. Aber, Amerika, ich war nie hoffnungsvoller als heute Abend, dass wir dort ankommen werden", sagte der bisherige Senator von Illinois zu der euphorischen Menge.

"Unser Anstieg wird steil sein"

Die Ausgangslage für Obama ist außergewöhnlich, schrieb die Washington Post am Mittwoch. "Nach einem Sieg von historischer Bedeutung wird Barack Obama Probleme von historischem Ausmaß erben." Seit Franklin D. Roosevelt, der 1933 in der Zeit der großen Depression sein Amt antrat, sei kein Präsident mit solchen Herausforderungen konfrontiert gewesen wie Obama jetzt. Dieser ist sich dessen bewusst und brachte die Last seines Erbes bei der Rede am Wahl- abend auf den Punkt: "Denn selbst, wenn wir heute Abend feiern, wissen wir, dass die Herausforderungen von morgen die größten unseres Lebens sind - zwei Kriege, ein Planet in höchster Gefahr, die schwerste Finanzkrise seit einem Jahrhundert."

Die größte Herausforderung von allen, wird aber eine noch schwerer zu greifende sein: Er müsse die zum Teil unrealistischen und auch vagen Erwartungen und Hoffnungen, die viele Anhänger in ihn setzen, erfüllen, analysieren Beobachter. Das "Erlöserimage", das ihm zum Sieg verholfen habe, könnte auch in einer ähnlichen Dynamik zu großen Enttäuschungen führen.

Was nun erwarten sich die Amerikaner, die EU-Staaten, die ganze Welt von diesem neuen Präsidenten, dessen Wahl als "Zeitwende", als "Zäsur", eben als historisch gewertet wird?

Zunächst ist Obama der erste Afroamerikaner, der in das Weiße Haus einzieht. Wenn auch die Hautfarbe keine Rolle gespielt habe, um Obama in ihren Kommentaren zu unterstützen, so bedeutend sei aber Obamas Hautfarbe nun nach seinem Sieg, schrieb die Washington Post einen Tag nach der Wahl. Obama sei in einer Zeit geboren worden, am 4. August 1961 auf Hawaii, als dessen Eltern - ein Student aus Kenia und eine weiße Frau aus Kansas - in vielen US-Bundesstaaten nicht einmal heiraten hätten dürfen. Viele Afroamerikaner haben die Zeit der Rassentrennung - erst in den 60er Jahren offiziell abgeschafft - noch selbst erlebt.

Zugleich ist Obamas Biografie auch ein Signal für eine neue Generation in der ganzen Welt: Seine Lebensgeschichte spricht viele ebenso an wie seine als brillant empfundene Rhetorik und sein Auftreten. Als Sohn einer alleinerziehenden Mutter - der Vater verließ die Familie bald nach Obamas Geburt - arbeitete er sich von ärmeren Verhältnissen nach oben, schaffte es an die Law School an der Harvard University und danach in die Politik.

Der amerikanische Traum

"Jeder schwarze Jugendliche weiß nun, dass auch er Präsident werden kann", freuten sich zahlreiche afroamerikanische Anhänger nach dem Sieg. Es ist die konkrete Geschichte des sprichwörtlich amerikanischen Traums. In den ersten Wahlmotivanalysen zeigen sich aber bereits die eher nüchternen Erwartungen: Sechs von zehn Wählern nannten die Sorge um die Volkswirtschaft als ihr wichtigstes wahlentscheidendes Motiv. Andere Themen wie die Energiepolitik, der Irak-Krieg, der Kampf gegen den Terrorismus und die Gesundheitsversorgung hatten eher geringeren Einfluss auf die Entscheidungen der Befragten, erhob die Nachrichtenagentur AP.

In der Wirtschaftspolitik werden somit die ersten konkreten Taten des neuen Präsidenten erwartet. Bereits in den nächsten Tagen solle Obama sein Wirtschaftsteam zusammenstellen, mahnte etwa Parteikollege Christoher Dodd, der Vorsitzende der Demokraten im Senat-Bankenausschuss. Obama hatte schon während seiner Kampagne ein Sanierungspaket in der Höhe von 175 Milliarden Dollar angekündigt.

Herkulesaufgabe "Wirtschaft"

Gute Ideen dürften gefragt sein, der Spielraum ist aber gering: Nach jüngsten Berechnungen haben die USA in diesem Jahr knapp eine Million Arbeitsplätze verloren. Zugleich wuchs das Haushaltsdefizit auf eine Rekordhöhe. Eine erste, wenn auch noch nicht offizielle Bewährungsprobe dürfte schon am 15. November erfolgen, wenn Bush zum Finanzgipfel nach Washington lädt (siehe S. 6). Obama sollte als sein Nachfolger dabei sein, wenn Bush mit Vertretern der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer Strategien gegen die Krise auf den Finanzmärkten beraten will. Die meisten Gäste werden sich über die Anwesenheit des neuen Präsidenten wohl freuen; außer vielleicht Russland: Moskau reagierte unterkühlt auf Obamas Wahl.

Doch ansonsten überwiegt weltweit vor allem die Hoffnung in Obama - in eine neue US-Politik zu vielen brennenden Fragen, von Klimapolitik bis hin zu den Hotspots wie Irak, Afghanistan und dem Kaukasus. Zudem wird ein neuer Führungsstil erhofft, der mehr von Partnerschaftlichkeit geprägt ist.

Das einende Motiv für diese Freude ist zuallererst die enorme Abneigung gegenüber seinem Vorgänger, George W. Bush. Der Republikaner aus Texas hat das Image der Supermacht in den acht Jahren seiner Amtszeit schwer beschädigt, vor allem durch seinen Anti-Terror-Krieg nach dem Motto: "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns."

Doch wenn führende Vertreter der Welt Barack Obama am 15. November in Washington ihre Aufwartung machen, werden sie sich wohl bei aller Euphorie, so hoffen nüchterne Beobachter, an ein Faktum erinnern: Barack Obama wurde am 4. November zum Präsidenten der USA gewählt, was in erster Linie nur eines bedeutet: Die Wahrung der amerikanischen Interessen. Und genau daran wird auch Obama gemessen werden, wenn er sich im November in vier Jahren zur Wiederwahl stellen sollte.

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