Joe Biden - © Foto: picturedesk.com / AP /Patrick Semansky

Religion im US-Wahlkampf

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Erstmals seit John F. Kennedy könnte mit Joe Biden ein Katholik ins Weiße Haus einziehen. Doch Amerikas Katholiken sind tief gespalten – und keineswegs automatisch Biden-Anhänger.

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Erstmals seit John F. Kennedy könnte mit Joe Biden ein Katholik ins Weiße Haus einziehen. Doch Amerikas Katholiken sind tief gespalten – und keineswegs automatisch Biden-Anhänger.

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Die Schlacht um das Weiße Haus ist eröffnet, alles deutet wieder auf ein enges Rennen hin. Auch religiöse Themen spielen in diesem Wahlkampf vermehrt eine zentrale Rolle, insbesondere der Katholizismus in „God’s Own Country“ rückt in den Mittelpunkt des Interesses. Dies dürfte nicht zuletzt seit den beiden Nominierungsparteitagen der Republikanischen und der Demokratischen Partei klar sein.

Die Auftritte von Fr. James Martin SJ (bei der demokratischen Veranstaltung) sowie von Kardinal Timothy Dolan und Sr. Dede Byrne (beim republikanischen Pendant) haben gezeigt, wie religiös aufgeladen dieser Wahlkampf vonstattengehen wird. Dass die beiden Parteien jeweils katholische Galionsfiguren der liberalen Kreise – Martin gilt ja als Vorreiter der LGBT-­Theologie in den USA – und der konservativen Richtung des US-­Katholizismus eingeladen haben, zeigt die innere Fragmentierung der katholischen Wählerschaft. Und die Kraft dieser Inszenierungen hat ihre Wirkung nicht verfehlt.

Zweiter Katholik als Präsident?

Dass genau 60 Jahre nach John F. Kennedy mit Joe Biden wieder ein Katholik das oberste Amt in der US­-Politik bekleiden könnte, wurde aufgrund der innen-­ und außenpolitischen Herausforderungen der letzten Monate lange Zeit nur wenig beachtet. Doch treten das katholische Bekenntnis des demokratischen Bewerbers sowie die religionspolitische Stimmung innerhalb der katholischen Gläubigen besonders in der heißen Phase des Wahlkampfes in den Mittelpunkt.

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Dafür sind mehrere Punkte ausschlaggebend: Zum einen kann sich Donald Trump – anders als 2016 – der weißen evangelikalen Wählerschaft nicht mehr so sicher sein. Zahlreiche vormals tiefrepublikanische Bundesstaaten (etwa Texas, Georgia oder North Carolina) haben sich zu umkämpften Gebieten entwickelt, in denen ein Kopf­-an-­Kopf­Rennen zwischen Biden und Trump erwartet wird. Corona und Trumps Krisenmanagement haben Menschen getroffen, die besonders in wirtschaftlicher Hinsicht enorm angeschlagen sind und an der Amtsführung des umstrittenen US-­Präsidenten zweifeln. Um diesen drohenden Verlust der eigenen Kernwählerschaft zu kompensieren, schielen Republikaner vor allem auf die konservativ-­katholische Wählerschaft.

Unter Katholiken umstritten

Zum anderen ist das persönliche Bekenntnis Joe Bidens bei vielen seiner Glaubensgeschwister nicht unumstritten, vertrat er doch in den letzten Jahren beson­ders in der Abtreibungsfrage eine Position des „Pro Choice“, also ei­ner Gesetzgebung, die den Schwan­gerschaftsabbruch weiter ermög­lichen möchte. Diese Haltung macht Biden in den Augen traditionalistischer Kirchenvertreter nicht nur unwählbar, sondern ihm wird auch öffentlich der katholische Glaube abgesprochen. So wurde Biden schon in der Ver­gangenheit die Eucharistie verwei­gert bzw. ihm sogar von Bischöfen öffentlich seine katholische Identität in Abrede gestellt (etwa von Thomas Tobin aus Rhode Island oder von Joseph Strickland aus Texas). Das katholische Bekenntnis Bidens wird auf diese Weise im Wahlkampf vermehrt zur Zielscheibe von Angriffen, zugleich zum Damoklesschwert für seine Bewerbung ums Oval Office.

Dass die beiden Auftritte katho­lischer Kleriker am Nominierungsparteitag der Republikaner inhaltlich besonders in die Kerbe der Abtreibungsdebatte schlugen, war wenig erstaunlich – gleichzeitig aber offenbarend. Sie machen deutlich, wie weite Teile der religionspolitischen Landschaft in den USA gestrickt sind: Die Haltung politischer Kandidaten zu einigen wenigen moralischen Fragen ist für viele Gruppierungen immer noch ein hinreichendes Kriterium für deren Eignung im politischen Geschehen. Das macht die Haltung der Kandidaten in diesen Fragen umso brisanter, aber auch schwerer vorhersehbar.

Joe Bidens persönliches Bekenntnis ist bei vielen US-Katholiken umstritten, vertritt er doch zur Abtreibung eine ‚Pro Choice‘-Position.

An diesen Kernpunkten US­-amerikanischer Gesellschaftsdiskussion können sich Sieg und Niederlage entscheiden. Diese Themen haben sich seit Jahrzehnten nicht geändert: Es geht um die Stellung zu gleichgeschlechtlicher Ehe, um Frühdiagnostik, um Abtreibung oder Genderdiskurse. Solche Schauplätze entpuppen sich bei näherem Hinsehen als Dauerbrenner in der politischen Debatte, die den Kandidaten der US­-Politik entweder entscheidende Stimmen bringen oder sie diese kosten könnten. Was sich im Falle John F. Kennedys vor 60 Jahren noch unter den Vorzeichen gesellschaftlicher Vorbehalte gegenüber der katholischen Kirche als Ganzer gezeigt hat, verlagerte sich in den letzten Jahrzehnten verstärkt zu einem innerkatholischen Kampf um die Richtung in Glaubens­ und Lebensfragen.

Dass die katholische Kirche in den USA selbst polarisiert ist wie selten zuvor, wird gerne überspielt. Tatsache ist jedoch, dass Bischöfe, Klerus und Gläubige der USA schon lange nicht mehr mit einer Stimme sprechen. Das macht sie komplex und unkalkulierbar, gleichzeitig aber auch zu einer enorm wichtigen politischen Wählergruppe, die nicht einfach zu einer Partei zuzurechnen ist.

Gefährlich reduzierter Diskurs

Genau dies versuchen die politischen Akteure zu nutzen. Der religionspolitische Diskurs wird so auf wenige Punkte reduziert, die Komplexität des politischen Amtes, um das es eigentlich geht, wird aus den Augen verloren. Es wird suggeriert, dass sich Gläubige anhand einer Thematik für oder gegen einen Kandidaten entscheiden müssten, dies wird von vielen Kreisen zu einer Identitätsentscheidung der katholischen Gläubigen selbst hochinszeniert. Damit soll die Aktualität und Wichtigkeit dieser Themen nicht geleugnet werden. Aber in der religionspolitischen Kanalisierung auf einzelne Punkte liegt eine Gefahr für den theologischen Diskurs, das religiöse Bekenntnis sowie das politische Leben. Zum einen beschneiden sich die Religionsgemeinschaften in ihrer politischen Wirkung und Stimmgewalt selbst, wenn sie sich ausschließlich auf diese Punkte reduzieren lassen.

Die Haltung der Religionsgemeinschaften gleicht einem Drahtseilakt: zwischen der Verantwortung, sich politisch zu äußern, ohne sich instrumentalisieren zu lassen, und dem Anspruch, auf zentrale Themen hinzuweisen, ohne den Blick auf das große Ganze und das Wohl der Mehrheit in einer pluralistischen Gesellschaft aus den Augen zu verlieren. Die nächsten Wochen werden spannend. Nicht nur wenn Joe Biden und Donald Trump direkt aufeinandertreffen, sondern auch wie sich die Themenlage in den jeweiligen Kampagnen noch einmal verschärft.

Während Joe Biden in religionspolitischer Hinsicht vor allem auf den inklusiven Charakter seiner Konfession in Richtung der „Black Lives Matter“­-Proteste, Einwanderungsfamilien und der liberalen LGBT-­Akzeptanz set­zen möchte, wird sein Gegenüber weiter an der Strategie von „Law and Order“ festhalten. Trump versucht sich als der Retter von gesetzlosen Protesten und Unruhen, als Krisenmanager in einer der schwierigsten Zeiten der USGeschichte zu inszenieren. Doch bleibt fraglich, ob er das Ruder angesichts der ständig steigenden Zahl an Konfliktherden, einer nicht enden wollenden Corona­Katastrophe und einer daniederliegenden Wirtschaft noch einmal zu seinen Gunsten herumreißen kann. Keinesfalls sollte man ihn unterschätzen. Er wäre nicht Donald Trump, würde er nicht noch das eine oder andere Ass im Ärmel haben.

Der Autor ist Theologe und Erwachsenenbildner in Salzburg und beobachtet seit Jahren die religiöse Landschaft der USA.

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