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Viel Gott im Wahl kampf

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Die USA sind ein Land mit rechtlich strenger Trennung von Kirche und Staat. A her noch nie haben in einem Wahlkampf Religion und Kirchen eine so auffallende Rolle wie in diesem gespielt. Sogenannte fundamentalistische Kirchen und Sekten, in Einzelfällen auch katholische Prälaten, griffen mit deutlichen Empfehlungen ein, die annähernd im gleichen Verhältnis beiden Großparteien zugute kamen - ein bißchen mehr noch freilich dem Republikaner Ronald Reagan.

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Die USA sind ein Land mit rechtlich strenger Trennung von Kirche und Staat. A her noch nie haben in einem Wahlkampf Religion und Kirchen eine so auffallende Rolle wie in diesem gespielt. Sogenannte fundamentalistische Kirchen und Sekten, in Einzelfällen auch katholische Prälaten, griffen mit deutlichen Empfehlungen ein, die annähernd im gleichen Verhältnis beiden Großparteien zugute kamen - ein bißchen mehr noch freilich dem Republikaner Ronald Reagan.

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Kompliziert wird die unübersichtliche Situation durch die Tatsache, daß alle drei Kandidaten - der Südbaptist Jimmy Carter, der Presbyterianer Ronald Reagan und der evangelische Freikirchler John Anderson - sich als „Wiedergeborene Christen” bekennen.

Nachdem mit Carter schon vor vier Jahren der protestantische Konservatismus der weißen Mittelschicht der Südstaaten ins Weiße Haus eingezogen war, haben die Fundamentalisten (die Religion auch als Fundament des öffentlichen Lebens sehen möchten) nun auch den städtischen Mittelstand, die Kleinbürger und Arbeiter jenseits des südstaatlichen „Bibelgürtels” zu mobilisieren versucht. Hier sollten Wahlstimmen vor allem für Reagan lockergemacht werden.

Die Medien der konservativen Religionseiferer sind vor allem Radio und Fernsehen: An die 500 TV- und 2000 Hörfunksender strahlen religiöse Wahlaufrufe aus. Nach empirischen Erhebungen haben etwa 120 Millionen Amerikaner mindestens einmal in der Woche ein solches Programm gesehen oder gehört.

Die Hauptstoßrichtung dieser Gruppen richtete sich gegen den „säkularen Humanismus”, der eine „Empörung gegen Gott” darstelle und zu Abtreibung, Homosexualität, Pornografie, aber auch zum Qualitätsverfall öffentlicher Schulen geführt habe.

Viele der elektronischen Prediger der religiösen Rechten erhoben aber auch konkrete politische Forderungen wie nach mehr Unterstützung der Regierungen Taiwans, Israels, Südafrikas und südamerikanischer Militärdiktaturen.

In der Schlußphase des Wahlkampfes haben führende katholische, evangelische und jüdische Religionsvertreter in gemeinsamen Aufrufen und Erklärungen gegen diese Art der Verquickung von Religion und Politik protestiert.

Zu einer dieser Protestgruppen gehören u. a. der Präsident der angesehenen katholischen Notre-Dame-Universität, Theodore Hesburgh, sowie Rabbi Marc Tanenbaum und der Präsident des Nationalen Rates der Kirchen,”William Howard.

Unter Verspottung derer, die aus der Bibel Anleitungen für konkretes politisches Handeln herauslesen wollen, sagte Pastor William Sloane von der New Yorker Riverside Church: „Die Bibel ist wie ein Spiegel - wenn ein Esel hineinschaut, darf man nicht erwarten, daß ein Apostel herausschaut.”

Die Fundamentalisten schießen auf solche Kritiker mit dem höhnischen Einwand zurück, dies sei die Reaktion der „etablierten Kirchen, die immer mehr die Verbindung mit dem Volk verlieren.”

Dahinter steht freilich die schwer zu leugnende Tatsache, daß immer mehr Amerikaner in dieser Zeit wachsender Verwirrung von ihren Kirchen Halt und Orientierung erwarten - und vielfach vermissen zu müssen glauben. Auf diesen Trend setzte Ronald Reagan, der kritisierte, daß die Kirchen „zuwenig offen sagen, was sie im Staat für richtig halten”.

In einem Punkt zumindest stimmt dieser Vorwurf sicher nicht: Gegen die Legalisierung der Abtreibung etwa hat die katholische Kirche der USA wie in kaum einem zweiten Land bis zum heutigen Tag gekämpft.

Der Erzbischof von Boston, Kardinal Medeiros, hat in einem Hirtenbrief dazu aufgerufen, schon bei den Vorwahlen Kandidaten nicht zu wählen, die die Abtreibung nicht bekämpfen. (Dennoch wurden zwei damit gemeinte Bewerber wieder nominiert.)

Die 1973 vom Obersten Gerichtshof der USA für verfassungsgemäß erklärte Fristenregelung und die folgende Finanzierung von Abtreibungen aus Sozialversorgungsmitteln wurde mittlerweile durch mehrere Gesetze wieder eingeschränkt.

Abtreibung auf Kassenkosten für Minderbemittelte ist heute nur noch bei Vergewaltigung, Blutschande, Eileiterschwangerschaft oder Gefahr für das Leben der Mutter möglich. Reagan will sie auch für diese Fälle beseitigen, was ihm einige katholische Wähler beschert haben dürfte.

Andererseits nahmen die meisten Bischöfe der USA in den Fragen Todesstrafe (dagegen), umfassende soziale Krankenversicherung (dafür) und Kernwaffenbeschränkung (dafür) andere Standpunkte als der republikanische Kandidat ein.

Inwieweit der eine oder der andere Bewerber nun wirklich vom ungewöhnlich starken politischen Engagement vieler Kirchenführer profitiert hat, wird erst eine spätere Analyse der Wählerstimmen offenbaren. Fest steht, daß nach dem starken Engagement von Priestern und Pastoren in der Bürgerrechtsbewegung der sechziger Jahre nun auch der politische Konservatismus als derzeitige Grundströmung im amerikanischen Volk Rückenwind von vielen Kanzeln erhalten hat.

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