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Der kleine Sieg

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Mit der Vorwahl von New Hampshire hat der amerikanische Wahlkampf begonnen. Es wird jedoch noch viele Monate dauern, bis sich ein klares Bild bei Republikanern sowohl wie bei Demokraten entwickelt haben wird. Vermutlich werden erst die Parteikonvente im Sommer darüber Auskunft geben, welche beiden Kandidaten am 4. November 1976 einander begegnen werden.

Der Grund hiefür liegt vor allem darin, daß sich auf demokratischer Seite viele Kandidaten bewerben und daß es viele Vorwahlen gibt, deren politische Bedeutung unterschiedlich ist. Nicht alle Kandidaten nehmen an allen Vorwahlen teil — ein Kandidat etwa aus dem Norden kann durchaus bei einer Vorwahl im Süden schlechter abschneiden, ohne sein Gesicht zu verlieren. Der Elimi-nierungsprozeß ist langsam, die Interpretation erfordert subtile Kenntnis der lokalen Verhältnisse.

Die Vorwahl von New Hampshire ist bedeutungsvoll, weil sie das erste öffentliche Zusammentreffen mehrerer Kandidaten war, die eigentliche Ouvertüre des Wahljahres. Für Präsident Ford, der sich um die republikanische Kandidatur bewirbt, war New Hampshire ein „mäßiger“ Erfolg. Er besiegte seinen konservativeren Widersacher, den ehemaligen Gouverneur von Kalifornien Reagan, nur um einige tausend Stimmen, aber noch vor wenigen Wochen “schien es, als ob Reagan klar in Führung läge und als ob er Ford in die

Defensive gedrängt hätte. Anderseits hat ein amtierender Präsident alle Vorteile der Publizität für sich, er kann durch seine Handlungen auf den Wähler Einfluß nehmen, während ein nicht amtierender Kandidat immer nur argumentieren kann. Reagan präsentierte sich als die stärkere politische Persönlichkeit und sprach — ohne Ford persönlich anzugreifen — dem Präsidenten Führungsqualitäten ab. Ford bezeichnete Reagan als Exponenten der konservativen Rechten, der im heutigen politischen Klima keine Chance habe, gewählt zu werden. Der Kampf ist nach wie vor offen, doch hat Ford einen kleinen Anfangserfolg errungen, der sich ausweiten läßt. Weitere Vorwahlen, so etwa in Florida, wo sich Reagan sehr stark fühlt, werden mehr Aufschluß geben. Des Präsidenten politische Manager verweisen auf die Tatsache, daß Ford gewonnen habe, obgleich zum Zeitpunkt der Wahl Altpräsident Nixon in Peking war, was manche Wähler gegen Ford aufgebracht habe. Sicherlich strahlt Ford Bescheidenheit und Ehrlichkeit aus, während Reagan seinen Ursprung als Schauspieler nicht vergessen läßt. Aber dann muß sich der Wähler wieder sagen, daß ein Politiker vom Typ Reagans mit dem Chaos in Washington eher fertig zu werden verspricht als ein trockener, korrekter Typ, den man eher noch als einen Bürokraten bezeichnen könnte. Unter der Administration Präsident Fords hat das Weiße Haus

jedenfalls sehr viel an Einfluß verloren und an den Kongreß abtreten müssen, was vor allem in der Außenpolitik zu bedrohlichen Lähmungserscheinungen geführt hat. Reagan würde vermutlich dem Kongreß stärker entgegentreten. Er besitzt das Charisma, das ihm erlauben würde, sich über den Kongreß hinweg an das Volk zu wenden und er

könnte so zur Entkrampfung der Verhältnisse in Washington beitragen. Wie auch immer — auf republikanischer Seite ist die Auseinandersetzung übersichtlich, die Entscheidung liegt zwischen Ford und Reagan, und Ford hat seit New Hampshire einen kleinen Vorsprung.

Bei den Demokraten ist alles noch chaotisch. Man kann die Szene am ehesten übersehen, wenn man die Kandidaten in gemäßigte und „liberale“, also Linke, einteilt, was ja auch dem politischen Spektrum der Demokratischen Partei entspricht. Unter den gemäßigten Demokraten hat sich ein bisher wenig bekannter Mann in den Vordergrund geschoben. Er heißt Jimmy Carter und war Gouverneur von Georgia. Er gehört zum Typ der Populisten, ist ein vielredender Politiker ohne Kanten, einer der vielen, die das Syndrom Washington, seine Bürokratie, seinen unfähigen Kongreß und anderes angreift, sehr an der Oberfläche, ein Mann, der seinen Mangel an ideologischer Bildung als Vorteil preist, weil er sich dem Volk in praktischen Fragen nahe fühlt. Er ist eine Art von Wallace, aber ohne dessen rassistische Vorurteile. Beide sind allerdings als Politiker des Südens für große Teile der Negerwähler unakzeptabel.

Von den gemäßigten Demokraten waren in New Hampsire nicht vertreten: Gouverneur Wallace und Senator Jackson, beides Politiker, die bei der Nominierung des demokratischen Präsidentschaftskandidaten ein gewichtiges Wort mitzureden haben. Wallace wird sich in Kürze einer Vorwahl in Massachusets stellen und Jackson wird seine politische Stärke bei der Vorwahl in Florida zu beweisen haben. Es scheint jedoch, daß Carter im gemäßigten demokratischen Lager momentan den Reiz des Neuen genießt. Als Süd-staatler stellt er eine frischere Version von Wallace dar, der durch seine Lähmung, als Folge eines politischen Attentats, einigermaßen gehandikapt ist. Jackson, der Kandidat, der vielelicht unter den Demokraten das größte Präsidentschaftskaliber besitzt, kommt dagegen bei den Wählern nicht gut an. Er verkörpert vielleicht zu sehr den parlamentarischen Politiker, der zur Zeit nicht sehr gefragt ist. Weder Kongreß

noch Exekutive genießen beim Wähler große Gunst.

Das „Uberale“ Wählerreservoir bei den Demokraten machen sich untereinander vier Politiker streitig. Sie sind durchwegs Parlamentarier oder Exparlamentarier, mit Ausnahme Sargent Shrivers, eines Schwagers der Kennedys, der sich als Botschafter in Paris und als Direktor des Peace Corps einen Namen gemacht hat. Seine Aussichten sind jedoch gering. In New Hampshire erhielt er nur 9 Prozent der demokratischen Stimmen. Es scheint, daß die Wähler einen Platzhalter der Kennedys, dem der Charme und die Dynamik fehlt, nicht akzeptieren. Unter den „liberalen“ Demokraten schnitten in New Hampshire am besten ab: der Abgeordnete Maurice Udall aus Arizona sowie Senator Birch Bayh aus Indiana. Beide vertreten die typisch „liberalen“ Grundsätze: verstärkte Ankurbelung der Wirtschaft durch forcierte Ausgaben der öffentlichen Hand, Konzessionen der Industrie zu Fragen der Umweltverschmutzung, weitere Liberalisierung bei der

Schwangerschaftsunterbrechung, Rassenintegration durch Zusammenführen weißer und schwarzer Schüler per Autobus. Der Populistenkandidat der demokratischen Linken, Exsena-tor Harris aus Oklahoma, blieb mit 11 Prozent der demokratischen Stimmen sitzen, so daß nach New Hampshire Shriver und Harris vermutlich eliminiert sind. Ein Kandidat, dessen Chancen sinken, hat Schwierigkeiten, seine Wahlkampagne zu finanzieren und er gibt meist sehr schnell auf.

Nicht übersehen darf man, daß auf demokratischer Seite der ehemalige Vizepräsident Hubert Humphrey durch „Einschreibung“ immerhin 6 Prozent der Stimmen erhalten hat. Er war zwar kein deklarierter Kandidat, er hat auch nicht aktiv geworben, doch haben seine Helfer ein starkes „Einschreibevotum“ zustandegebracht Das Resultat ist verblüffend und beweist vielen, daß der wahre Präsidentschaftskandidat der Demokraten noch gar nicht in Erscheinung getreten ist. Humphrey hat erklärt, er werde nicht aktiv werben, er werde sich nur zur Verfügung stellen, wenn der Parteikonvent sich auf keinen anderen Kandidaten einigen könne.

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