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Kleine heile Welt

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Die erste der drei großen Debatten zwischen Ford und Carter hat stattgefunden. Die Reaktion der Wähler? Es hat sich nicht viel geändert. Nach wie vor herrschen Apathie und Desinteressement, und ein ungewöhnlich großer Prozentsatz von Wählern hält mit seiner Meinung zurück oder möchte am 2. November nicht wählen.

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Die erste der drei großen Debatten zwischen Ford und Carter hat stattgefunden. Die Reaktion der Wähler? Es hat sich nicht viel geändert. Nach wie vor herrschen Apathie und Desinteressement, und ein ungewöhnlich großer Prozentsatz von Wählern hält mit seiner Meinung zurück oder möchte am 2. November nicht wählen.

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Keiner der beiden Kandidaten spricht die Menschen wirklich an, rüttelt sie aus ihrer Gleichgültigkeit auf, so daß mit großer Wahlenthaltung zu rechnen ist. Wenn man aber schon den Sport in diese politische Arena eindringen läßt, so muß man zugeben, daß die erste Runde ziemlich klar an Präsident Ford gegangen ist. Seine Beantwortung der von drei Journalisten gestellten Fragen war klar, verständlich und es war jedermann möglich, in seinen Ausführungen eine gewisse Logik zu finden.

Ford ist ein Politiker der kleinen Dimensionen. Sein Horizont reicht nicht sehr weit, aber den Bereich, den er übersieht, beherrscht er mit fleißig erarbeitetem Instrumentarium. Sein Gebäude kommt selten ins Wanken. Da die Mehrzahl der Wähler einem verständlichen Duktus gerne folgt, hat Ford in dieser Debatte vermutlich einen klaren Sieg davongetragen.

War dieses Resultat bezüglich Fords eigentlich bereits vor der Debatte gegeben, so ging es bei Carter um die Ausräumung eines in der Wählerschaft wachsenden Mißtrauens.

Den Betrachter befällt ein Gefühl der Unsicherheit, wenn er Carter sieht und zuhört. Es beginnt mit seiner vom südlichen Dialekt geprägten Sprache, mit einem schnellen, wenig artikulierten, leise gesprochenen Vortrag. Die Entwicklung eines Gedankens oder einer Aussage ist nicht konsequent zu Ende geführt. Brillante Formulierungen wechseln mit hingeworfenen Worten, deren Sinn dem Zuhörer erst später aufgeht. Am stärksten wirkt Carter, wenn er von der amerikanischen Vision spricht, wenn er von seiner Verbundenheit mit den Werten des „großen“ Amerika und seiner „großen“ Bevölkerung erzählt — still, andächtig und ohne Pathos wie ein Prediger, der den Menschen ins Gewissen redet.

Es ist aber offenbar gerade dieses Bild, das die Politologen rund um Carter zerstören wollen, weil sie den Zynismus der Wähler fürchten. Man hat den Eindruck, daß die „Imagemacher“ das Bild des Predigers zerstören und mit dem eines gesunden, trivialen, auch zur Sünde fähigen „Führers“ ersetzen wollten.

Ob Carter tatsächlich Führungsqualitäten besitzt (die er übrigens Ford in jedem Satz abspricht), kann nach diesen Debatten ebenfalls nicht beantwortet werden. Zu unsicher, zu synthetisch wirkt der Bannerträger der Demokraten, als daß man sich sagen könnte: „Mit dem möchte ich es versuchen! Der könnte uns einen Weg aus dem Dilemma dieser Zeit weisen.“

Auch wenn Carter mit Zahlen und Statistiken auftrumpft, wirkt es eingelernt und gekünstelt, und selbst, wenn er dem Gegner einen politischen Tiefschlag versetzt, hat man den Eindruck, daß er es ungern tut und nur deshalb, weil es die Spielregeln dieses schmutzigen Kampfes vorschreiben.

Vielleicht wäre Carter viel wirkungsvoller, wenn man ihm erlaubte, seine wahre Natur zu zeigen, sei es als Prediger oder nicht. So aber torkelt er von einem Fehler zum anderen und sein anfänglicher Vorsprung von etwa 30 Punkten ist auf ganz wenige zusammengeschrumpft. Manche Meinungsbefrager glauben sogar, Ford liege bereits in Führung.

Neben dem persönlichen Eindruck, den die beiden Kandidaten hinterließen, und der wahrscheinlich wichtiger ist als das, was sie sagten, glaubte man auch zu spüren, daß Ford ein zwar konservatives, weniger soziales, aber abgeschlossenes Konzept der wirtschaftlichen Sanierung besitzt, während Carter allen etwas bieten will: er möchte sparen, aber doch große Sozialprogramme entwickeln, er möchte die Steuern senken, aber die Reichen zur Kasse bitten und das, nachdem er einige Tage vorher erklärt hat, er wolle alle Steuern erhöhen, die über einem gewissen Durchschnitt liegen. Damit hat er Mittelamerika das Gruseln gelehrt, denn in dieser Mittelzone liegen die Einkommen von Millionen Mittelständlern, die die Wahl entscheiden dürften, über dem Durchschnitt. Zur persönlichen und charakterlichen Unsicherheit kommt auch noch das Gefühl, hier sei ein Mann am Werk, der vieles bietet, um manchem etwas zu bringen ..., was Carters Glaubwürdigkeit sicher nicht erhöht hat. Man kann ihn nicht einordnen, und das macht ihn suspekt. Und weil man offenbar seine Persönlichkeit ändern will, wirkt er unpersönlich und fremd.

Die nächste Debatte wird über Außen- und Rüstungspolitik geführt werden, ein Gebiet, auf dem Präsident Ford mit einiger Erfahrung aufwarten kann und das einen viel geringeren politischen und ideologischen Abstand der beiden Kandidaten voneinander zu zeichnen verspricht.

Was diesen Wahlkampf psychologisch interessant macht, ist die Tatsache, daß der Kandidat der weitaus größeren, Millionen Unzufriedener vertretenden Partei, der Kandidat, der mit einem meilenweiten Vorsprung in diese Wahl zog, mit jeder Woche seinen Vorsprung schrumpfen sieht und sich, ohne eigentlich wesentlich herausgefordert zu werden, in Widersprüche verwickelt, die ihn Stimmen kosten, Ford, der anfängliche Außenseiter, gewinnt durch sein stilles Wirken im Weißen Haus. Er hält nur wenige Wahlreden und gewinnt im gleichem Maße, in dem Carter Einbußen erleidet.

Trotz dieser Entwicklung muß Carter noch immer als Favorit bezeichnet werden. Wer die Unterstützung der großen Massen von „Benachteiligten“ genießt, die Unterstützung der Gewerkschaften, der Farbigen und vieler anderer Minoritäten, kann sich manchen „Ausrutscher“ leisten und kann doch noch gewählt werden.

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