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Carter unter Erfolgszwang

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Wie ein Tornado fegen Präsident Carter und sein Team über die politische Landschaft, hinter sich viele Scherben, mitunter aber auch bebaubares Land zurücklassend. Nach Carter sollte womöglich alles schon gestern gelichtet sein, was in vielen Regierungsperioden vor ihm zaghaft angepflanzt und oft auch überwuchert worden ist. In vier Wochen soll ein neues Energiewirtschaftsprogramm dem Kongreß vorhegen, das Stimulierungskonzept für die langsam sich erholende Wirtschaft wurde den Parlamentariern bereits zugeführt. An Verwaltungsreformen wird gebastelt, die Auswüchse der Sozialprogramme sollen gestutzt werden. Den Großstädten soll Hilfe gewährt, und trotz allem soll bis 1980, bis zur nächsten Wahl, das massive Budgetdefizit abgebaut werden.

Vor allem aber tritt Carter der Skepsis, die vielerorten herrscht, durch symbolische Gesten entgegen. Die „Image-Kosmetiker” haben Hochbetrieb. Dienstlimousinen höherer Beamter wurden stillgelegt; angesichts der im Lande herrschenden Knappheit an Brennstoffen wurde die Temperatur in den Räumen des Weißen Hauses drastisch herabgesetzt, und der Präsident verkündete stolz: „Ich trage warme Unterwäsche.” Bei der Parade marschierten Carter und seine Familie im Zug mit und begaben sich außerhalb des Schutzes der schußsicheren Limousine. Carters Tochter besucht die dem Weißen Haus zunächst gelegene öffentliche Schule, und die Mehrzahl der achüler dort sind Neger. Die Tochter hat, wie viele amerikanische Kinder, eine schwarze „Nanni”. Das wäre noch nichts Außergewöhnliches. Aber Carters .Nanni ist eine Mörderin. Sie hat im Affekt ihren „boy-friend” erschossen und dafür eine lebenslängliche Kerkerstrafe zugemessen erhalten, die jetzt in Bewährungsfrist umgewandelt wurde.

Alle diese Gesten wirken reichlich übertrieben, vor allem, wenn sie mit Carters moralischem Eifer gepaart sind. Carters Image-Pfleger scheinen jedoch der Ansicht zu sein, daß die Sensorien des amerikanischen Publikums bereits so abgestumpft sind, daß mit scharfen Essenzen gearbeitet werden muß.

Da ist auch das Problem der Kom munikation. Wie kommt der Präsident wirklich beim Volk an? Bisher sind noch alle Präsidenten mit periodischen Pressekonferenzen und gelegentlichen Femsehansprachen ausgekommen. Nicht so Carter. Neben Pressekonferenzen,”deitan Technik er übrigens gut beherrscht, hat er die Kamingespräche Präsident Franklin D. Roosevelts reaktiviert.

Hat er dabei übersehen, daß Amerika sich damals im Zweiten Weltkrieg befand? Daß ein ständiges Mahnen zur Disziplin, zu persönlichen Opfern und zu höherem Einsatz notwendig war? Nicht, daß dergleichen nicht auch heutzutage notwendig wäre. Aber die heutige Generation ist Übertreibungen gegenüber äußerst skeptisch; auch will das Volk seinen Präsidenten heute nicht mehr in Strickweste sehen.

Damit aber nicht genug. Der nächste Publizitätsschlager soll ein „Call in” werden. Eine Show, bei der jeder den Präsidenten persönlich anrufen und von ihm Auskunft verlangen kann. Der Präsident will mit dem Volk Konversation machen. Was passiert aber, wenn ihm jemand Obszönitäten zuruft?

Noch hektischer geht es beim Volkspräsidenten Carter im Bereich der Außenpolitik zu. Nicht mehr reitet Henry Kissinger, der „einsame Cowboy”, als den ihn Carter im Wahlkampf bezeichnete, von Krisenherd zu Krisenherd. Vielmehr fliegen jetzt ganze Schwadronen von fähigen Diplomaten und zumeist unfähigen Politikern an die Brennpunkte der Weltpolitik, in Bonn, Paris und anderswo Verstimmung und bitteren Nachgeschmack zurücklassend.

Vizepräsident Mondales Tournee durch die Hauptstädte der europäischen Alliierten und Japans hat sich nach den anfänglichen Erfolgsmeldungen doch eigentlich als Rohrkrepierer erwiesen. Mondale war die Aufgabe gestellt, Carters Evangelium zu verkünden, zugleich aber auch die Alliierten wieder mehr „auf Vordermann zu bringen”. Bonn und Tokio sollten, so wurde ihnen geraten, expansivere Wirtschaftspolitik betreiben, lieber etwas mehr Inflation in Kauf nehmen, dafür aber höhere Beschäftigung und industrielle Aktivität erzielen. Bonn und Tokio hatten derartige Rezepte aus Washington bereits befürchtet. Sie waren mit Appellen an die Solidarität des Westens garniert und wurden mit der Verve des jugendlichen, weit links von Kanzler Schmidt stehenden Vizepräsidenten vorgetragen. Doch Schmidt weiß um die Ursachen der Rezession Bescheid. Ihm kann man nicht einreden, daß man auf die Dauer Unterbeschäftigung mit Inflation bekämpfen kann. Nicht nur haben Bonn und Tokio höflich abgelehnt, sie befurchten nun auch Schlimmes von der amerikanischen Wirtschaftspolitik.

Daß dann Carter noch versucht hat, den Export der deutschen Kemanlagen nach Brasilien zu unterbinden, hat in Bonn und Brasilia offene Animosität ausgelöst. Schließlich hatte die Regierung Ford ja die Pakte und Verträge approbiert.

Präsident Giscard d’Estaing hat es da etwas schwerer, „renitent” zu sein. Er weiß, daß die Freilassung des Münchner PLO-Attentäters Daoud den Goodwill für Frankreich bei den einflußreichen jüdischen Kreisen der amerikanischen Großstädte fast ausgelöscht hat.

Der südafrikanische Bereich wird zur Zeit von einem anderen jungen Eiferer, dem schwarzen Baptistenprediger und UN-Botschafter Young bereist. Young mußte bereits mehrmals von Außenminister Vance „berichtigt” werden, nicht zuletzt, als er Kuba als „Ordnungsmacht” in Angola bezeichnete. Die Gefahr, die von seinem Auftreten ausgeht, besteht darin, daß er den schwarzen Nationalisten noch mehr Appetit macht, indem er eine amerikanische Haltung vortäuscht, die nicht vorhanden ist. Statt zu beruhigen, erweitert er die kaum noch überbrückbaren Gegensätze in Rhodesien und Südafrika und wird seinen vollen Beitrag geleistet haben, wenn es in diesem Raum zu weiteren Blutbädern kommt.

Zur Lösung des griechisch-türkischen Konflikts wurde der links-profi- lierte Politiker Clark Clifford eingesetzt. Auch hier dürfte eine lautstark publizierte diplomatische Intervention nur Schaden anrichten.

Außenminister Vance bearbeitet den Mittleren Osten, nachdem dort UNO-Generalsekretär Waldheim in israelisches Sperrfeuer geraten ist. Vance will sich vom Konzept Kissingers dadurch absetzen, daß er die Politik der kleinen Schritte durch eine To- tallösung ersetzen will. Allerdings, so meint er selbst, werde deren Verwirklichung viel Zeit beanspruchen. Niemand würde es daher wundern, wenn auch Vance schließlich mit kleineren Erfolgen vorlieb nehmen müßte.

Neben all dem gibt es noch Einsätze in Panama-City, und es gibt schließlich das Abrüstungsteam unter Paul Wamke, der vielen als zu kompromißbereit gilt.

Es erhebt sich die Frage, warum Carter eine solche Entwicklung in der Außenpolitik zuläßt. Gerade er, der unisono mit seinem Außenminister Vance verkündet hat, Außenpolitik müsse vom Schreibtisch aus von qualifizierten Diplomaten betrieben werden! Die Antwort liegt wohl in der Vorstellung der Regierung, unter Erfolgszwang zu stehen, aber auch in Carters Taktik, Minister und Bevollmächtigte relativ selbständig arbeiten zu lassen und sie dann an ihren Erfolgen zu messen. Daß darunter die Koordination leidet und daß gerade in der Außenpolitik der persönliche Einsatz nur dann erfolgreich sein kann, wenn bereits entsprechende Vorbedingungen geschaffen wurden, wird dabei offenbar übersehen. Es bleibt zu hoffen, daß die jetzt zur Schau getragene Hektik einer reiferen Einstellung zu den Problemen weicht und daß vom derzeit herrschenden Wirbelwind nicht allzuviel unersetzliches Porzellan zerschlagen wird.

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