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Carter vor dem Test

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Mit Jimmy Carter ziehen die Demokraten nach achtjähriger Abwesenheit wieder in das Weiße Haus ein. Es hat sich wieder einmal bewahrheitet, daß Wahlen des öfteren nicht gewonnen, wohl aber verloren werden. Carter siegte nicht, Ford verlor. Carter wird im Jänner nicht deshalb in Washington einziehen, weil er ein starkes, universales Mandat erhalten hat. Ford wird ausziehen, weil er die schwere politische Hypothek, mit der er sein Amt angetreten hat, nicht mehr über diese Wahl tragen konnte.

Aber es war nicht nur wegen des noch immer fühlbaren Mißtrauens gegenüber den Republikanern, der „Watergateparty“, und wegen der Pardonierung Nixons — Ford verlor diese Wahl vor allem aus wirtschaftlichen Gründen. Uber 7 Prozent Arbeitslose sind eine zu schwere Belastung, mag auch die Inflationsrate während der Regierungszeit Fords von etwa 12 auf 6 Prozent halbiert worden sein. Seit September hat zudem eine fühlbare Verlangsamung des wirtschaftlichen Erholungsprozesses eingesetzt, die wenige Tage vor der Schicksalswahl den zweiten statistischen Rückschlag im Laufe von zwei Monaten signalisierte. Für die meisten Volkswirtschaftler ist das eine durchaus natürliche Pause im anfänglich dramatischen Konjunkturaufschwung. Für Millionen Arbeitnehmer, für die überwiegende Mehrheit der schwarzen Wähler und vor allem für die Gewerkschaftsführung war es jedoch der drohende Schatten einer möglichen neuen Rezession.

Eine objektive Analyse wird Ford zugute halten, daß er nichts unternommen hat, um die Konjunktur über den Wahltermin hinaus zu beeinflussen, was durch kleinere Injektionen billigeren Geldes oder durch gezielte Ausgaben möglich gewesen wäre. Statt dessen blockierte die Regierung Ford 11 Milliarden Dollar, die der Kongreß für verschiedene Programme beschlossen und die Ford auch mit seiner Unterschrift sanktioniert hatte, wofür der Präsident sogar von Kreisen kritisiert wurde, die das wirtschaftliche Heil nicht nur in steigenden Ausgaben sehen. Ford hat daher auch die Wahlen vor allem in den großen städtischen Zentren verloren, wo die Arbeitslosigkeit groß ist und wo das deprimierende Leben in den Ghettos politischen Wechsel für einen der wenigen Auswege hält. Während die Medien durch Wochen von Apathie und geringem Wahlinteresse berichteten, besiegelte schließlich ein herrlicher Herbsttag, aber auch der Entschluß von Millionen bis zuletzt schwankender Wähler, einen Wechsel herbeizuführen, das Ende einer wenig glücklichen Phase republikanischer Politik.

Carter wird daher wohl auch in erster Linie versuchen, die Konjunktur wieder anzufachen. Seine Wirtschaftsberater haben bereits mitgeteilt, daß diese Politik vor jeder anderen Priorität habe und keine neue Inflationsgefahr darstelle, weil der Produktionsapparat noch beträchtlich unter seiner Kapazität arbeite. Was jedoch Millionen ängstigt und den Ausgang dieser Wahl bis in die frühen Morgenstunden des 3. November offen hielt, ist die Gefahr, daß Carter nun ohne starkes populäres Mandat in die Abhängigkeit des nach wie vor von zum Teil linksorientierten Demokraten beherrschten Kongresses geraten könnte. Es bestehen tatsächlich begründete Zweifel daran, daß Carter stark genug sein wird, die Einlösung seiner im Wahlkampf nach links und rechts ausgestreuten Versprechungen auf ein erträgliches Maß zurückzuschrauben und darüber hinaus noch die Ausgabenfreudigkeit des Kongresses zu bremsen. Nach einer kurzen wirtschaftlichen Scheinblüte müßte eine solche Entwicklung zu einer noch gefährlicheren Rezession führen.

Mit Carter werden nun Scharen von jungen, politisch ambitionierten Experimentatoren aus dem Süden und von den Universitäten nach Washington strömen. Menschen aus dem noch sehr provinziell eingestellten Süden, Menschen, die ihre zumeist auf den Wohlfahrtsstaat ausgerichteten Ideen anwenden wollen. Ob Carter alle diese Kräfte in Schach halten kann, bleibt abzuwarten.

Nun zur Außenpolitik. Trotz heftiger Angriffe auf Kissinger während der Wahlschlacht, schien die, Tendenz einer Carterschen Außenpolitik sich von jener der abgewählten Regierung Ford nicht wesentlich zu unterscheiden. Es kann aber nicht von der Hand gewiesen werden, daß das Setzen sozialer und wirtschaftlicher Prioritäten zu einer Kürzung des Wehretats führen muß, weil hier der geringere politische Widerstand besteht. In diesem Fall dürfte es unter Carter — ganz im Gegensatz zu seinen Ankündigungen — eher mehr Detente als unter Ford geben und die Bestrebungen, die Sowjets für amerikanische Leistungen mehr zahlen zu lassen, dürften im Kreml mit einem gewissen Sar-kasmus aufgenommen werden. Es ist keineswegs auszuschließen, daß der Kreml beabsichtigt, Carter ebenso wie seinerzeit den jungen Kennedy zu testen und daß solche Pläne sowohl Jugoslawien nach dem Ausscheiden Titos betreffen könnten, wie sie wahrscheinlich auch weitere Einmischungen im Süden Afrikas mittels vorgeschobener kubanischer Legionäre umfassen.

Hier wurden vor allem die Gefahren aufgezeigt, denen eine mit geringer Mehrheit gewählte Regierung Carter ausgesetzt ist. Es darf jedoch nicht übersehen werden, daß Millionen Carter deshalb gewählt haben, weil sie ein neues Gesicht im Weißen Haus sehen wollten. Es wurde in diesem oft recht persönlichen und aggressiven Wahlkampf vielfach übersehen, daß Carter in den Vorwahlen noch ein recht gemäßigtes Profil zeigte, was ihm nicht zuletzt die Nominierung einbrachte, weil sich seine linken Gegner bei den Demokraten gegenseitig aufrieben. Denn das Land ist nicht in revolutionärer Stimmung. Es verlangte nach Wechsel, aber nicht nach radikalem Umschwung. Erst durch die Nominierung des stark links orientierten Senators Mpndale zu seinem Vizepräsidentschaftskandidaten gelang es Ford, Carter aus dem politischen Zentrum etwas mehr nach links abzudrängen. Erinnert sich Carter dieser Zusammenhänge als Präsident und gelingt es ihm, seine Unabhängigkeit vom Kongreß zu sichern, so könnte dieser Richtungswechsel für das Land und die freie Welt eine neue kreative Epoche einleiten. Denn daß Ford keine ideale Alternative zu Carter gewesen wäre, wissen alle jene Millionen, die ihn als das kleinere Übel gewählt haben.

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